Es gibt keine tierfreundliche Wolle auch wenn dies Labels suggerieren wollen.
Immer mehr Standards und Zertifikate versprechen Unternehmen und Konsument:innen einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren für Produkte wie Schafwolle oder Kaschmir, darunter beispielsweise „Responsible Wool Standard“ oder „The Good Cashmere Standard“. Doch die Zertifizierung von Wolle dient, so Johann Fuoß, bei Peta Expertin für Tiere in der Wollindustrie, nicht dazu, Tiere vor Leid und Missbrauch zu bewahren, sondern das Gewissen von Unternehmen und Verbrauchern zu beruhigen.
Die meisten „Tierwohl-Label“ wurden eingeführt, nachdem Enthüllungen von PETA die qualvolle Realität von Tieren in der Wollindustrie ans Tageslicht brachten. Es gibt, so Fuoß keine tierfreundliche Wolle. Die Tierschutz-Organisation appelliert, sich nicht von folgenden Labeln in die Irre führen zu lassen:
- Responsible Wool Standard (RWS)
- Responsible Mohair (RMS)
- The Responsible Alpaca Standard (RAS)
- Sustainable Fiber Alliance’s Cashmere Standard (SFA)
- THE GOOD CASHMERE STANDARD® (GCS)
- ZQ Merino
- CargoraTM
"Mit mehr als 18 Enthüllungsberichten aus über 170 Betrieben auf 4 Kontinenten konnten wir bis heute die systematischen Grausamkeiten gegenüber Schafen, Ziegen, Alpakas und Angorakaninchen in der globalen Wollindustrie aufdecken. Unter anderem ist es uns mehrfach gelungen, Grausamkeiten in Schurbetrieben aufzudecken, die zum damaligen Zeitpunkt mit dem Outdoor-Spezialisten Patagonia in Verbindung standen. Obgleich das Unternehmen behauptet, die strengsten Wollstandards der Welt zu erfüllen, ist es nicht in der Lage, „verantwortungsvolle“ Lieferanten zu finden", erklärt Fuoß dazu.
Blutige Schnittwunden und ausgerissenes Kaschmir
Wer Wolle mit einem Friseurbesuch vergleicht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Schafe, Kaninchen, Alpakas und Ziegen Fluchttiere sind, die uns ihre Haare nicht freiwillig geben. Auch für zertifizierte Wolle werden die Tiere während der Schur gewaltsam fixiert, und Schnittwunden gehören zum Schuralltag. Selbst bei schwerwiegenden Verletzungen verlangen die meisten Zertifizierungsunternehmen nicht zwingend, dass die Tiere mit Schmerzmitteln behandelt werden.
Das Fesseln der Beine von Ziegen oder das Festbinden an Streckbänken ist bei fast jeder zertifizierten Wolle erlaubt und wird routinemäßig während der Schur von Alpakas, Ziegen und Angorakaninchen durchgeführt. Selbst das gewaltsame Ausreißen des Fells wird bei zertifiziertem Kaschmir toleriert. Den Produzenten wird für zertifiziertes Kaschmir lediglich „empfohlen“, das Fell der Tiere zu scheren. [4,5] Da ausgerissenes Fell jedoch als qualitativ hochwertiger gilt als geschorenes Kaschmir und diese Methode in vielen Regionen verbreitet ist, gibt es für die Produzenten keinerlei Anreiz, sich an diese Empfehlung zu halten.
Qualvolle Standardprozeduren auch bei zertifizierter Wolle
Neben den Qualen der Schur sind grausame Standardeingriffe in der gesamten Tierhaltung verbreitet und werden in der Regel auch für zertifizierte Wolle an Schafen, Ziegen und Alpakas durchgeführt. Selbst extrem schmerzhafte Eingriffe wie die betäubungslose Kastration werden den Tieren meist auch für zertifizierte Wolle zugefügt. In der Regel werden hierfür nicht einmal Schmerzmittel verpflichtend vorgeschrieben.
Die Schwanzwirbel von Schafen dürfen beim RWS weiterhin abgetrennt werden, und der RMS erlaubt es, dass Ziegen unter Schmerzen die Hörner gekürzt werden. Zur Kennzeichnung werden die Ohren vieler Lämmer und Ziegen schmerzhaft verstümmelt. Dem ahnungslosen Verbraucher werden diese Grausamkeiten anschließend mit Werbebegriffen wie „verantwortungsvoll“ oder „ethisch produziert“ als tierfreundlich verkauft – sogenanntes Humane Washing.
Unspezifische und vage Kriterien
Fast alle Zertifikate haben gemeinsam, dass die Haltungsbedingungen der Tiere und deren Behandlung durch Mitarbeiter nicht klar geregelt sind. Häufig kommen unspezifische Begriffe wie „routinemäßig“ oder „regelmäßig“ zum Einsatz. Beispielsweise erlaubt der RWS die Elektroejakulation, solange diese nicht „routinemäßig“ angewendet wird. Bei diesem für Tiere stressigen und schmerzhaften Eingriff wird männlichen Schafen eine Elektrosonde ins Rektum eingeführt und die Ejakulation durch elektronische Impulse erzwungen.
Derartige Eingriffe sollten keinem einzigen Lebewesen zugefügt werden. Einige Zertifizierungen wie ZQ Merino sind zudem äußert intransparent, da keine öffentlich einsehbaren Vorgaben zu den Haltungsbedingungen der Tiere existieren. Dennoch wirbt ZQ mit Produkten, für die Tiere „human“ behandelt werden. Was das Unternehmen darunter versteht, bleibt für Konsumenten ein undurchschaubares Geheimnis.
Unsere Tiere – Das große oe24.TV-Tierschutzmagazin von Sonntag, 5. Dezember 2021, hier in voller Länge sehen.
Nächste Ausgabe Unsere Tiere: 12. Dezember 2021, 18:30 Uhr.