Unter der Meeresoberfläche spielt sich eine der größten Naturkatastrophen ab - Weltweit sterben die Korallenriffe und mit ihnen Tausende teils noch unentdeckte Arten.
Über 38 Grad Wassertemperatur vor den Florida Keys sind eine tödliche Gefahr für die Korallen an der Südspitze des US-Bundesstaates. Umweltschützer und Unternehmer sind alarmiert – laut ihnen sei es 5 vor zwölf.
Die Korallenriffe bringen Floridas Wirtschaft jährlich zwei Milliarden Dollar (rund 1,8 Mrd. Euro) ein und garantieren mehr als 70.000 Jobs. Wissenschaftler des Korallenrestaurierungsprogramms der Rosenstiel School of Marine, Atmospheric, and Earth Science in Key Biscayne sammeln Korallen ein und legen die bedrohten Meeresbewohner in temperierte Wassertanks.Sie bemühen sich, einige Korallen aller Genotypen sowie 100 Prozent ihrer vom Aussterben bedrohten Elchhornkorallen ins Labor zu bringen.
Korallenbleiche: ein ernstzunehmendes Problem
Man werde es wohl "mit einer schlimmen Bleiche zu tun haben", sagte die Wissenschaftlerin Liv Williamson vom Coral Reef Futures Lab der Universität von Miami der Nachrichtenagentur AP.
Die Wahrscheinlichkeit einer großen Bleiche an vielen Riffen entlang der Pazifikinseln am Äquator bis nach Florida betrage 90 Prozent. "Wir haben erst Juli, die Hitze wird sich noch weiter aufstauen, und die Korallen werden gezwungen sein, viel länger als normal mit gefährlich warmen Bedingungen zurechtzukommen", erklärte Williamson. "Wir erhalten bereits Berichte über Bleiche aus Belize, was so früh im Sommer sehr alarmierend ist."
Die globalen Meeresoberflächentemperaturen im Golf von Mexiko und im Südwestatlantik sind seit April mit weit über 30 Grad Celsius rekordverdächtig hoch. Ursachen sind Wissenschaftlern zufolge der Klimawandel und das Wetterphänomen El Niño.
Für Korallen sind die hohen Temperaturen ein Problem, erklärte Voolstra: Sie leben in einer Symbiose mit Mikroalgen, die Photosynthese betreiben und die Koralle mit Nährstoffen versorgen. Ist die Wassertemperatur für längere Zeit höher als in dem Gebiet üblich, können die Mikroalgen die Fähigkeit zur Photosynthese verlieren und von der Koralle abgestoßen werden. Es kommt zur Bleiche: Die Koralle lebt weiter, verliert jedoch ihre Färbung.
Nordamerika erlebt bereits seit mehreren Monaten beispielloses Extremwetter: Im Norden - vor allem in Kanada - brennen riesige Wälder, Regen fällt wie sonst nur einmal im Jahrtausend, Städte sind überschwemmt und der Süden leidet unter Rekordhitze.
Verantwortlich für die Rekordhitze über dem Süden der USA ist eine sogenannte Hitzekuppel. Ein Hochdruckgebiet, das sich gebildet hat und die Hitze wie ein Deckel in einer Region gefangen hält. Hitze ist in den Vereinigten Staaten in den meisten Jahren bereits das Wetterphänomen mit den meisten Todesopfern.
Grundsätzlich können sich die Korallen von der Bleiche erholen, entscheidend ist nach Angaben von Wissenschaftlern die Dauer der Wärmephase. Hält die Hitzeperiode zu lange an, so sterben die Korallen auf Dauer aus.
Fossile Korallen eröffnen Blick in die Klimazukunft
Die letzte erdgeschichtliche Warmzeit, in der sich die Temperatur ähnlich entwickelte wie heute aufgrund des menschengemachten Klimawandels, liegt etwa 125.000 Jahre zurück. Eine Forschungsgruppe der Universität Wien untersucht fossile Korallen aus dieser urzeitlichen Hitzeperiode. Das Ziel ist unter anderem, Vorhersagen über die künftige Entwicklung der Biodiversität in den Riffhabitaten treffen zu können. Denn vor etwa 125.000 Jahren, in der letzten Warmzeit vor dem gegenwärtigen Holozän, stiegen die Temperaturen auf ein Niveau, das heute einem Anstieg von etwa zwei Grad über dem vorindustriellen Wert entspricht. Der Anstieg in der damaligen sogenannten Eem-Warmzeit ging aber längst nicht so schnell vonstatten wie beim derzeitigen menschengemachten Klimawandel.
Fossile Riffe sind Boten aus der Zeit dieses vergangenen Klimawandels. Martin Zuschin und Angelina Ivkić vom Department für Paläontologie der Universität Wien arbeiten mit ihren Kollegen daran, die Nachrichten, die sie überbringen, zu entschlüsseln. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt untersuchten sie fossile Riffe am Roten Meer und vergleichen die Erkenntnisse zur damaligen Diversität mit aktuellen Korallenpopulationen. Die Forschung soll einen Blick in eine Zukunft erlauben, in der die Veränderung der Biodiversität an den Riffen durch den Klimawandel bereits weit fortgeschritten ist. "Eine These zur Entwicklung der Riffe im Roten Meer ist, dass die zunehmende Hitze zur Abwanderung der Korallenpopulationen in den etwas kühleren Norden des Gewässers führt", erklärt Zuschin. Es liege also nahe, in diesem nördlichen Teil auch nach fossilen Riffterrassen zu suchen.
Im Zuge ihrer Feldforschungen haben die Paläontologen deshalb eine Reihe von Orten entlang des Roten Meeres in Ägypten und im Sudan besucht. Im Norden wurden fossile Riffterrassen an Land, im Süden dagegen die gegenwärtigen Korallenriffe unter Wasser untersucht. "Vor 125.000 Jahren lag der Meeresspiegel einige Meter über dem aktuellen Niveau. Deshalb kann man heute entlang der Küstenlinie die fossilen Korallenbänke finden", erläutert Zuschin.
Linientransekte als Standardmethoden
Das Forscherteam untersuchte unter anderem, mit welchen Methoden sich die Korallen - fossil oder lebendig - am besten erfassen lassen. Zu den Standardmethoden gehören sogenannte Linientransekte. Dabei wird eine Leine in gerader Linie entlang eines Riffs gespannt, um die darunterliegenden Strukturen sehr genau zu vermessen.
Die Forschenden untersuchten die Riffe also mittels Linientransekten auf zwei Höhenstufen. Gleichzeitig wurden Proben genommen, die im Labor datiert werden. Zuschin betont, dass seine Wiener Forschungsgruppe nur eine von wenigen weltweit sei, die Fossilien aus Ägypten ausführen durfte. Eine für das Rote Meer charakteristische Gattung, die Feuerkoralle oder Millepora, verhalf den Paläontologen zu einer wichtigen Erkenntnis. "Wir konnten Behauptungen widerlegen, wonach Millepora ein sehr schlechtes Erhaltungspotenzial im fossilen Riff hat", erklärt Zuschin.
In ihren bisherigen Auswertungen der fossilen Daten konnten die Forschenden nun tatsächlich einen leichten, von Süden nach Norden zunehmenden "Diversitätsgradienten" in beiden Habitaten - also sowohl an den Riffkanten als auch an den Riffhängen - identifizieren. "Das bedeutet, dass in der Eem-Warmzeit die Diversität in den Habitaten Richtung Norden leicht anstieg", erklärt Zuschin. "Die Untersuchung umfasst bisher zwar lediglich drei Breitengrade - man muss also weitere Resultate abwarten. Dennoch ist das Ergebnis ein starkes Signal, dass die These der Abwanderung der Spezies im Zuge des Klimawandels Richtung Norden zutreffend ist."
Angelina Ivkić macht sich gleichzeitig auch Gedanken über eine adäquate Wissenschaftskommunikation, die schon Schulkinder auf die gefährdeten Korallenriffe aufmerksam macht. "Die Idee ist, ein Spiel für junge Detektiv:innen ab 13 Jahren zu entwerfen, die die Gefahren für gegenwärtige Korallenriffe besser verstehen lernen, indem sie fossile Riffe, Riffbewohner:innen und Wissenschaftler:innen 'befragen'. Das Ziel ist, mit Hilfe des neuen Wissens das letzte verbliebene Riff im Roten Meer zu retten."
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