Erdogans Rachewelle: ÖSTERREICH-Reporterin Isabelle Daniel berichtet aus der Türkei.
„Für den Islam, für das Volk, für den Präsidenten“, brüllten Tausende Anhänger von Erdogan am Taksim-Platz in Istanbul. So „feierten“ türkische Nationalisten und Islamisten den gescheiterten Militärcoups. Immer wieder riefen sie nach der Todesstrafe.
Rache
Und Erdogan will diese wieder einführen. Seine Rachewelle gegen die Putschisten ist schon jetzt einzigartig: 103 Generäle wurden festgenommen. 30 Gouverneure abgesetzt. Zu den bisher 6.000 Verhafteten wurden mehr als 8.000 Polizisten vom Dienst suspendiert. Anführer der Putschisten soll der Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk gewesen sein.
Flucht
Die Stimmung im Land ist ein Mix aus Rachelust, Triumphalismus und Angst. Tausende tatsächliche oder vermeintliche Putschisten könnten exekutiert werden.
Tausende Militärs und Minderheiten auf der Flucht
Erdogan, der sein Volk aufrief, bis Freitag weiter zu demonstrieren, „säubert“ (Erdogan) nun offenbar sämtliche Institutionen von potenziellen Kritikern. Seine Partei AKP, so ein Türkei-Insider aus Istanbul zu ÖSTERREICH, habe diese Listen mit „Regierungskritikern“ bereits „vor Monaten erstellt“.
Nun zieht er die Umwandlung seines Landes in eine autoritär anmutende präsidentielle Regierungsform in schwindelerregendem Tempo um. Ein säkularer Student aus Istanbul fürchtet: „Erdogan will einen islamistischen Gottesstaat errichten, er greift nach der absoluten Macht. Die EU muss uns helfen.“
Tausende Militärs sollen bereits auf der Flucht sein. Die säkularen Türken, die gegen den Militärcoup waren, wenden sich mit Grauen vom Racheplan Erdogans ab. Er „entferne alle Säkularen aus Militär, Polizei, Justiz und Schulen“. Und er drehe „Medien ab“. Auch die Minderheiten im Land – Kurden, Aleviten und Armenier – wurden in den vergangenen Tagen von Nationalisten und Islamisten bedroht. Eine neue Flüchtlingswelle – diesmal von Türken – kommt auf uns zu. Bis zu 100.000 könnten sich aus Furcht vor Erdogan absetzen.
Erdogan hat 8 Stunden vor Putsch von Coup gewusst
Klar scheint: Erdogan wurde gewarnt. Er habe „7 bis 8 Stunden vor dem Coup Bescheid gewusst, dass ein Coup geplant“ sei, sagte er gestern. Andere glauben, dass er sogar länger Bescheid gewusst und säkulare Teile der Armee in die Falle rennen ließ: „Hinter dem Coup steckten Kemalisten, die wussten, dass Erdogan sie entfernen wollte. Und sie wollten verhindern, dass weitere ISIS-Terroristen ins Land kommen.“
I. Daniel, Istanbul