15 Milliarden Umsatz
11.000 Euro für Todes-Ticket nach Europa
22.04.2015Milliardengeschäft mit der „Ware Flüchtling“. So funktioniert der Sklavenhandel.
Mohammed Ali Malek (27), tunesischer Kapitän des Todesschiffes, wurde ebenso verhaftet wie sein erster Steuermann. Aber sie sind nur Handlanger der Menschenschmuggler. Die wahren Drahtzieher der Schleppermafia sind nicht zu fassen, sitzen im Bürgerkriegsland Libyen.
Bis zu eine Million Menschen warten in Libyen auf die Flucht nach Europa, schätzt das UNHCR. Die Häfen, von denen sie starten, liegen in Misrata, Sirte, Bengasi. Zu kontrollieren ist die 1.840 Kilometer lange Mittelmeerküste nicht. Dutzende Milizen, Clans und ISIS-Verbände teilen sich seit dem Sturz von Diktator Gaddafi das Land auf. Eine Staatsmacht gibt es nicht. Und die EU zog ihre Flüchtlingsmission 2014 aus Libyen ab – zu gefährlich.
Grafik: Lebensgefahr bei Fluchtrouten nach Europa
2,4 Millionen Euro Umsatz pro Schlepper-Schiff
Mafia. Zwischen 15 und 18 Mrd. Euro werden jährlich mit der „Ware Mensch“ umgesetzt, ein grausames Geschäft mit enormen Dimensionen: 219.000 Flüchtlinge kamen 2014 über das Mittelmeer. 2015 waren es bis 20. April bereits 35.000.
Grafik: Heuer 15-mal mehr Tote auf den Fluchtrouten von Afrika nach Europa.
Millionen
Ein Schiff wie das jetzt gesunkene Boot bringt zwischen 1,2 und 2,4 Mio. Euro. Cash. Zu bezahlen ist die Überfahrt im Voraus: „1.000 bis 3.500 Euro kostet eine Reise von Libyen nach Italien“, so Flüchtlingsexperte Michael Jürgs im ÖSTERREICH-Interview: „Familien zahlen bis zu 11.000 Euro“, rechnet Jürgs vor. Wer als Drogenkurier fungiert, erhält Rabatt. Und: „Wer eine Niere spendet“, so der Experte, „erhält 2.000 Euro und einen Gratisplatz.“
(wek)
M. Jürgs: "Pro Schiff cashen Schlepper 2,4 Mio."
ÖSTERREICH: Was zahlen Flüchtlinge für Fahrten von Libyen übers Mittelmeer?
Michael Jürgs: Erst bringen Schlepper Menschen aus ganz Afrika durch die Wüste nach Libyen. Einzelpersonen zahlen schon dafür bis zu 2.300 Euro, ganze Familien bis zu 11.000 Euro. Für die reine Überfahrt werden zwischen 1.000 und 3.500 Euro gehandelt. Das hängt davon ab, wie viele Menschen auf ein Boot gepfercht werden können. Es wird immer vorher kassiert. Pro Schiff verdienen sie so zwischen 1,2 und 2,4 Millionen Euro.
ÖSTERREICH: Wie hoch ist der Umsatz der Schlepper?
Jürgs: 15 bis 18 Milliarden Euro pro Jahr, schätzt die UN. Hier geht es um Menschenhandel, Drogengeschäfte, Arbeitssklaven, Zwangsprostitution und letztlich sogar um Organhandel. Für Spendernieren kassiert die Mafia bis zu 250.000 Euro. Das ist organisierte Kriminalität.
ÖSTERREICH: Warum ist Libyen der Hotspot?
Jürgs: Libyen ist ein kaputtes Land, das Chaos, zerrissen zwischen sich bekämpfen Gruppen. Das nützen die Schlepper aus.(wek)
VIDEO: Milliardengeschäft mit der Ware "Flüchtling"
Die Preise der Schlepper
Überfahrt von der Türkei/Syrien nach Italien im großen Schiff (meist ein alter Frachter):5.000 Euro.
Von Ghana (Westafrika) nach Spanien (Kanarische Inseln):
3.500 und 5.000 Euro.
Von Libyen nach Italien (Fischerboote, Schlauchboote):
1.000 Euro bis 3.500 Euro.
Von Afghanistan, Pakistan, Iran via Landweg nach Griechenland zwischen3.500 und 11.000 Euro.
Landweg Türkei nach Österreich, zehnköpfige Gruppe:8.500 Euro.
Kapitän war betrunken und bekifft
Knalleffekt nach der Flüchtlingskatastrophe mit 800 Toten: Überlebende erzählen, dass der tunesische Kapitän Mohammed Ali Malek (27) unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden haben soll, als er das Boot gegen das Frachtschiff King Jacob lenkte. „Der Kapitän war betrunken und er hat Haschisch geraucht, kurz bevor das Boot das Containerschiff rammte“, sagte ein Flüchtling zur Zeitung La Repubblica. Laut Zeugen kam es deshalb zur Kollision.
Tunesier verriet sich bei der Rettung selbst
Malek gab zuvor zu, dass er sich vor der Besatzung des anderen Schiffes verstecken wollte, „abgelenkt“ war. Die Justiz ermittelt gegen ihn wegen vielfachen Totschlags, Verursachen eines Schiffsuntergangs und Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Am Freitag kommt er vor Gericht. Grausam: „Wer am wenigsten Geld hatte, wurde in den Laderaum gestopft und eingeschlossen“, schilderte ein Überlebender.
Malek mischte sich unter die Flüchtlinge, wurde aber mit seinem Komplizen Mahmud Bikhit (25) enttarnt. Malek verriet sich, weil er seinen Tarnnamen vergessen hatte. Sanitäter Enrico Vitiello erzählt: „Wir wussten sofort, dass sie die Schlepper waren. Es steht in ihren Gesichtern geschrieben, und Schlepper sind immer in besserer körperlicher Verfassung als die anderen.“