Großedemo in Kiew - EU setzt Verhandlungen über Freihandelsabkommen aus.
Kurz vor einer Russlandreise des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch haben etwa 200.000 Bürger gegen die Abkehr der Regierung von der Europäischen Union demonstriert. Wenige Minuten vor Beginn der Demonstration kündigte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle am Sonntag zudem an, die Verhandlungen über eine engere Bindung des Landes an die Gemeinschaft auszusetzen.
Janukowitsch hatte im November nach Druck aus Russland seine Unterschrift unter ein Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU kurzfristig verweigert. Füle signalisierte, dass der Staatengemeinschaft mit der Ukraine die Geduld ausgeht und die EU sich nicht in einen Bieterkrieg mit Russland hineinziehen lassen will. Die Versuche der Regierung in Kiew, günstigere Klauseln auszuhandeln, seien unrealistisch, erklärte der Kommissar über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die Ukraine will jedoch weiter mit der EU über ein Partnerschaftsabkommen verhandeln. Die Regierung werde nur offizielle Mitteilungen der EU berücksichtigen, sagte der Sprecher von Regierungschef Nikolai Asarow laut der Agentur Interfax.
US-Senator McCain bei Protesten
Auf der Demonstration in Kiew, an der am Sonntag nicht ganz so viele Menschen wie vor einer Woche teilnahmen, trat überraschend auch US-Senator John McCain auf. Er forderte die Bürger der ehemaligen Sowjetrepublik auf, sich Europa statt Russland zuzuwenden. "Die Ukraine wird Europa verbessern und Europa die Ukraine."
Die russische Regierung, die gemeinsam mit der Ukraine sowie Weißrussland und Kasachstan eine Zollunion gründen will, hatte Treffen westlicher Politiker mit ukrainischen Oppositionellen als Einmischung kritisiert, nachdem unter anderem der deutsche Außenminister Guido Westerwelle auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew mit Oppositionellen zusammengekommen war.
Klitschko hofft auf Deutschland
Oppositionspolitiker Vitali Klitschko setzt in dem Konflikt dagegen auf die deutsche Diplomatie. "Deutschlands Wort hat hier großes Gewicht", sagte der Boxweltmeister in einem "Spiegel"-Interview. "Ich wäre froh, wenn sich die Bundesregierung als Vermittlerin einschalten würde." Schon der Besuch Westerwelles sei sehr wichtig gewesen. Auch der Kontakt zu Kanzlerin Angela Merkel sei ermutigend.
Die Opposition protestiert seit Wochen gegen Janukowitsch und verlangt inzwischen den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen. Am Wochenende versammelten sich aber auch Zehntausende Anhänger Janukowitschs in der Hauptstadt. Das Staatsoberhaupt hat besonders im russischsprachigen Osten des Landes großen Rückhalt, während viele Ukrainer in der Mitte und im an Polen grenzenden Westteil ihre Zukunft in der EU sehen.
Am Dienstag will Janukowitsch nach Moskau reisen. Dabei dürfte er mit seinem Kollegen Wladimir Putin über günstigere Erdgaslieferungen und Kredite sprechen. Die Opposition fürchtet, dass es um erste Schritte hin zur Zollunion und damit eine engeren Anbindung an Russland geht. Die Wirtschaft der Ukraine ist angeschlagen, die Regierung kämpft gegen eine Staatspleite. Die Absage an das Abkommen mit der EU hatten Politiker auch mit dem Druck aus Russland begründet. Später erklärte die Regierung, sie benötige einen Kredit über 20 Milliarden Euro, um die Folgen des Abkommens bewältigen zu können.