Die internationale Truppe hatte sie mit Taliban-Kämpfern verwechselt.
Bei einem NATO-Luftangriff in Zentralafghanistan sind Regierungsangaben zufolge 27 Zivilisten getötet und zwölf verletzt worden. Zunächst war von 33 Toten die Rede, die Zahl wurde aber vom Büro von Präsident Hamid Karzai nach unten korrigiert.
Unter den Toten waren demnach vier Frauen und ein Kind. Die Besatzung der Maschine habe die Passagiere von drei Kleinbussen im Grenzgebiet der Provinzen Uruzgan und Daykundi am Sonntag fälschlicherweise für Aufständische gehalten, teilte die Regierung in Kabul am Montag mit. Der Kommandant der Afghanistan-Schutztruppe ISAF, Stanley McChrystal, drückte am Montag sein Bedauern über den Vorfall aus.
Luftangriff außerhalb der Großoffensive
Das
afghanische Kabinett verurteilte den schwersten Angriff auf Zivilisten seit
Monaten "in schärfster Form" und nannte ihn "unverantwortlich".
Der Ministerrat rief die NATO-geführte Internationale Schutztruppe ISAF in
einer Mitteilung des Präsidentenpalastes vom Montag erneut eindringlich dazu
auf, größtmögliche Vorsicht walten zu lassen. Der Vorfall könnte das
Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die ausländischen Truppen weiter
schwächen. Nach ISAF-Angaben war der Luftangriff nicht Teil der seit Mitte
Februar laufenden Großoffensive gegen die Taliban in der Nachbarprovinz
Helmand.
ISAF-Kommandant McChrystal drückte dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai sein "Leid und Bedauern über den tragischen Vorfall" vom Sonntag aus. "Wir sind zutiefst betrübt über den tragischen Verlust unschuldigen Lebens", sagte McChrystal der ISAF-Mitteilung vom Montag zufolge. "Ich habe unseren Soldaten klar gemacht, dass wir hier sind, um die afghanischen Menschen zu schützen, und dass das versehentliche Töten oder Verletzen von Zivilisten ihr Vertrauen und ihren Glauben in unsere Mission untergräbt. Wir werden unsere Anstrengungen, dieses Vertrauen wiederzugewinnen, erneut verdoppeln." Die ISAF machte keine Angaben zur Zahl der zivilen Opfer bei dem Vorfall.
ISAF-Raketen treffen Wohnhaus
Karzai hatte die Truppen bereits
zu Beginn der Großoffensive in der Provinz Helmand am vorvergangenen Samstag
dazu aufgerufen, vorsichtig vorzugehen. Auch die Vereinten Nationen hatten
an die Konfliktparteien appelliert, Unbeteiligte zu schützen. Nach Beginn
der Operation "Mushtarak" (Gemeinsam) waren dennoch zwölf
Zivilisten getötet worden, als zwei ISAF-Raketen das Haus einer Familie
trafen. McChrystal hatte sich bereits damals bei Karzai entschuldigt und
einen besseren Schutz der Zivilisten angekündigt. Trotzdem waren am Montag
vergangener Woche bei einem Luftangriff der ISAF erneut fünf Zivilisten
getötet worden.
Die Provinz Daykundi, wo es nun erneut zu zivilen Opfern kam, liegt geografisch im Zentrum Afghanistans. Die Provinz gehört aber zum Regionalkommando Süd der ISAF und wird daher militärisch dem unruhigen Süden des Landes zugerechnet.
Großoffensive "Modell für die Zukunft"
Afghanistan-Kommandant
McChrystal will unterdessen die radikalislamischen Taliban als nächstes aus
dem benachbarten Kandahar vertreiben. "Wir werden dahin gehen, wo
erhebliche Teile der Bevölkerung gefährdet sind", sagte der
Oberkommandierende der US- und NATO-Truppen in Afghanistan der britischen
Zeitung "The Times" vom Montag. Die Taliban-Hochburg Kandahar sei "sehr,
sehr wichtig", nicht nur für den Süden, sondern für das ganze Land. Um
welche Regionen in der Provinz Kandahar es genau gehen soll, sagte
McChrystal allerdings nicht.
Die laufende Großoffensive in Helmand sei in vielerlei Hinsicht "ein Modell für die Zukunft", sagte McChrystal. Es handle sich um einen Einsatz afghanischer Soldaten, der von den internationalen Truppen unterstützt werde und in engem Kontakt zur Bevölkerung erfolge, erläuterte der General. Im vergangenen Jahr hatte der Konflikt in Afghanistan mehr Zivilisten das Leben gekostet als je zuvor seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hatte im vergangenen Monat mitgeteilt, 2009 sei die Zahl der getöteten Unbeteiligten verglichen mit dem Vorjahr um 14 Prozent auf 2412 gestiegen. Aufständische wie die Taliban seien für rund zwei Drittel (67 Prozent) dieser Toten verantwortlich gewesen. 25 Prozent der zivilen Opfer hätten Militäroperationen verursacht. Die restlichen acht Prozent ließen sich keiner Konfliktpartei zuordnen.