300.000 Menschen auf der Straße. Größte Demo in der Geschichte Israels.
Seit Wochen wächst die Zahl der Menschen, die gegen hohe Mieten und andere Missstände auf die Straße gehen. Tel Aviv erlebte nun am Samstag die bisher größte Kundgebung gegen soziale Probleme in Israel, die "Mutter aller Demonstrationen".
"Das Volk will soziale Gerechtigkeit" und "Schluss mit dem Raubtier-Kapitalismus", skandierten etwa 250.000 Teilnehmer. Auch in anderen Orten gab es Demos, 300.000 Menschen sollen sich insgesamt beteiligt haben - immerhin einer von 25 der 7,8 Millionen Israelis. Israelische Medien hatten sogar von 350.000 Teilnehmern berichtet.
"Israelischer Sommer"
Oft ist vom "arabischen Frühling" die Rede, der einen "israelischen Sommer" ausgelöst habe. Und vereinzelt waren bei der Großkundgebung am Samstag in Tel Aviv Plakate wie "Marschiert wie die Ägypter" oder - an die Adresse des konservativen Ministerpräsidenten Benjamin "Bibi" Netanyahu gerichtet - "Tritt zurück, Ägypten ist da" zu sehen.
Demo wie Volksfest
Aber anders als im Nachbarland Ägypten oder gar in Libyen oder Syrien geht es in Israel nicht um den Sturz der Regierung. Und niemand muss sein Leben riskieren, nur weil er gegen die Regierung demonstriert. Die Atmosphäre gleicht eher einem Volksfest, wo sich Eltern mit Kinderwagen durch die Massen drängeln, gesungen und gelacht wird und höchstens ab und an ein paar verloren wirkende Streifenpolizisten zu sehen sind. Keine Bereitschaftspolizei, keine Wasserwerfer, von Soldaten oder Panzern ganz zu Schweigen.
"Es ist gut, dass die Israelis endlich aus ihrer Lethargie erwacht sind", sagt der 65-jährige Ben. Er ist mit seiner Schwiegertochter zur Demo in Tel Aviv gegangen. "Mir selbst geht es gut, dieses Land ist wundervoll. Aber die Jungen haben es schwer, und deshalb unterstütze ich sie, indem ich hier demonstriere", fügt er hinzu. Die Protestbewegung sei nicht politisch in dem Sinne, dass sie einen Sturz Netanyahus wolle. Das sei eher eine Minderheit, ist er überzeugt.
Auslöser sind hohe Lebenserhaltungskosten
Auslöser der Proteste waren fehlende Wohnungen und die immens hohen Mieten in Tel Aviv, die sich viele Menschen nicht mehr leisten können. Inzwischen ist der Strauß der Forderungen bunter, die einen fordern eine bessere Gesundheitsversorgung, andere wollen das Bildungssystem reformieren oder Steuern senken.
Obwohl viele Demonstranten Netanyahu kritisieren, könnten ihm die sozialen Proteste nützen, schrieb die liberale Zeitung "Haaretz". Bis zu den nächsten Wahlen 2013 bleibe ihm noch genügend Zeit, auf die sozialen Forderungen einzugehen. "Viel mehr Wohnungen, dann geht der Preis runter, richtig? Dieses Gesetz wird das Land in den nächsten eineinhalb Jahren mit Wohnungen überschwemmen", zitierte ihn das Blatt nach der Verabschiedung eines Gesetzes für Wohnungsbau. Und sollte sich der Konflikt mit den Palästinensern wieder verschärfen, würden die sozialen Probleme ohnehin schnell wieder in den Hintergrund geraten. Und aus Israel wieder die "normalen" Schlagzeilen kommen.