Nach einem Gewaltverbrechen in einer Familie in Detmold wurde die Tatverdächtige am Freitag dem Haftrichter vorgeführt.
Detmold. Im Fall einer 15-Jährigen, die ihren schlafenden Halbbruder mit 28 Messerstichen ermordet haben soll, warnen deutsche Experten vor vorschnellen Schlüssen. Dass jemand seine Wut nicht unter Kontrolle habe, liege immer in einen Mix an Gründen, sagte etwa Mareike Schüler-Springorum, Ärztliche Direktorin des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Marsberg in Nordrhein-Westfalen.
"Das ist ein komplexes Zusammenspiel", erklärte die Gerichtsmedizinerin. Die Psychologische Psychotherapeutin Gisela Dreyer aus Bonn sagte: "Wut ist das intensivste und am schwierigsten zu kontrollierende Gefühl." Selbst Erwachsenen falle die Kontrolle darüber schwer. "Kontrolle der Wut gelingt allein über Selbstreflexion und über Sprache", meinte Dreyer. Defizite bei diesen Punkten würden zum Problem.
Nach der Tötung eines dreijährigen Buben in Detmold im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen am Mittwoch sitzt eine 15-Jährige wegen Mordes in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Ermittler hält sie sich selbst für die Täterin, beruft sich aber zugleich auf Erinnerungslücken. Nach ersten Erkenntnissen hatte das Mädchen eine tiefe Abneigung gegen den Halbbruder entwickelt.
15-Jährige schrieb Botschaft mit Blut
Wie die "Bild" am Freitag berichtete, habe die mutmaßliche Täterin eine Botschaft nach der Tat hinterlassen - aus dem Blut des Opfers. Was genau die Botschaft enthielt, ist unklar, sie soll jedoch in englischer Sprache an einer Wand gestanden haben. Die Staatsanwaltschaft soll die Existenz der Botschaft bestätigt haben, sagte aber nichts zum Inhalt.
Die beiden Expertinnen Schüler-Springorum und Dreyer betonten übereinstimmend, dass zu dem Detmolder Fall bisher zu wenig bekannt sei, um sich konkret zu äußern. Ihre Einschätzungen beziehen sich daher allgemein auf das Wutgefühl aus Expertensicht.
Schüler-Springorum, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sagte: "Jeder von uns geht damit anders um. Bei dem einen muss schon viel passieren, bevor er wütend wird. Das ist eine Frage der Impulskontrolle." Die Impulskontrolle müsse sich erst langsam entwickeln. "Bei einem Baby ist sie nicht vorhanden. Und auch Kleinkinder können im Supermarkt noch den berühmten Wutausbruch bekommen und sich auf den Boden werfen", sagte Schüler-Springorum.
Areale für die Verhaltens- und somit Impulskontrolle
Die Wissenschaft wisse, dass sich Hirnareale bei Jugendlichen zu unterschiedlichen Zeiten entwickeln. Areale für die Verhaltens- und somit Impulskontrolle reiften relativ spät, Areale wie das Belohnungszentrum relativ früh. "Das führt bei Jugendlichen zu Disharmonien in der Entwicklung. Eltern von Pubertierenden können das bestätigen", erklärte Schüler-Springorum.
"Bei Wut als Auslöser für Gewalt ist die Frage, warum sie sich so massiv entwickelt. War niemand da für den Betroffenen? Wie schaut das Familiensystem aus? Kann der Jugendliche Lösungsstrategien für sich entwickeln? Wie schaut seine soziale Kompetenz aus? Wie geht er mit Kritik um?", zählte die Fachärztin auf.
Bei jugendlichen Straftätern müssten Experten verschiedene Punkte klären: "Kann der Täter Unrecht überhaupt verstehen? Kann er sein Handeln steuern? Liegt eine psychische Störung vor?", sagte Schüler-Springorum. Außerdem müsse ein Gutachter prüfen, wie der Jugendliche mit Gefühlen umgeht, wie mit Frust oder Stress mit den Eltern. Das Lernumfeld in der Schule sei ebenfalls zu beleuchten.
Zum Fall der 15-Jährigen aus Detmold hieß es bereits von der Staatsanwaltschaft, ein Gutachter müsse nun prüfen, ob das Mädchen schuldfähig und wie die geistige Entwicklung einzuschätzen sei. Mit 15 Jahren ist das Mädchen vom deutschen Gesetz her strafmündig.