Muslimbrüder wollen bei Stichwahl Führungsposition ausbauen.
Islamistische Kräfte werden im ersten freigewählten ägyptischen Parlament eine deutliche Mehrheit haben. Am Montag begann die zweite Wahlrunde in Bezirken, in denen im ersten Durchgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht hatte. Bisher liegen die Muslimbrüder unter Mohammed Badie in Führung, gefolgt von den Salafisten, den von Saudi-Arabien finanzierten Fundamentalisten. Der Ägyptische Block, eine Allianz der Linken und Liberalen, muss sich mit dem dritten Platz begnügen, er erhielt knapp 1,3 Millionen der insgesamt etwa zehn Millionen abgegebenen gültigen Stimmen.
Das staatliche Fernsehen rief die wahlberechtigten Bürger mit dem Slogan "Das zweite Mal ist genauso wichtig wie das erste Mal" auf, ihre Stimme abzugeben. Die Stichwahl findet in der Hauptstadt Kairo, in Alexandria und sieben weiteren Provinzen statt. In den übrigen Provinzen wird erst in den kommenden Wochen gewählt. Das Endergebnis des langwierigen und komplizierten Prozesses wird für den 13. Jänner erwartet. Es ist die erste Wahl seit der Entmachtung von Präsident Hosni Mubarak, der das Nil-Land drei Jahrzehnte lang autokratisch regierte, im vergangenen Februar. Das zu wählende Parlament soll eine neue demokratische Verfassung ausarbeiten.
Muslimbrüder
Die Muslimbrüder als stärkste organisierte politische Kraft des Landes haben Anspruch auf die Regierungsführung erhoben, sollten sie erwartungsgemäß die größte Parlamentsfraktion stellen. Um ihre enormen Privilegien zu sichern, streben Kräfte im Militär unter Juntachef Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi offenbar ein Bündnis mit den Muslimbrüdern an. Große Teile der ägyptischen Öffentlichkeit, insbesondere die Jugend, sind unzufrieden mit der Entwicklung seit Mubaraks Sturz und dem Einbruch der Wirtschaft seit Beginn der Volkserhebung. Jugendgruppen werfen den Streitkräften vor, Mubaraks alte Seilschaften an der Macht zu halten. Dem Militär, das über ein Industrieimperium verfügt und von 1,3 Milliarden Dollar US-Militärhilfe jährlich profitiert, wird vorgeworfen, Mubaraks alte Seilschaften an der Macht zu halten. Den Sicherheitskräften werden Menschenrechtsverletzungen und Folter angekreidet.
Die Muslimbruderschaft (arabisch: "Jamiat al-Ikhwan al-Muslimun"), die in zahlreichen islamischen Ländern Ableger hat, war 1928 von dem ägyptischen Lehrer Hassan al-Banna gegründet worden. Sie folgt der Devise: "Gott ist unser Ziel, der Koran unsere Verfassung". 1954 war die Muslimbruderschaft vom ägyptischen Revolutionsregime unter Gamal Abdel Nasser verboten worden, zahlreiche ihrer Führer wurden zum Tode verurteilt, danach wurde sie aber wieder vorübergehend legalisiert. Nach der Ermordung des Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 ging dessen Nachfolger Mubarak gegen islamistische Gruppen vor.
Wahlsystem
Das Wahlsystem sieht vor, dass zwei Drittel der 498 Parlamentsmandate anteilsmäßig an die Parteien entfallen. Der Rest der Sitze geht an die Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis über 50 Prozent der Stimmen erhalten. Für Juni sind Präsidentenwahlen zugesagt. Anders als vor einer Woche, als sich vor den Wahllokalen lange Schlangen bildeten, lief die Wahl am Montag in Kairo, Alexandria und Port Said nur schleppend an. In der ersten Runde lag die Wahlbeteiligung bei 62 Prozent, der Stimmenanteil der islamistischen Parteien bei über 65 Prozent.