Sozialdemokratischer Ministerpräsident fordert Änderung in Flüchtlingspolitik.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering fordert von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. "Ich meine in der Tat, dass die Kanzlerin umsteuern muss und nicht einfach sagt 'ich bleibe dabei: wir schaffen das'", sagte der SPD-Politiker am Sonntag nach der Landtagswahl in Schwerin.
Merkel könne nicht so tun, als ob das alles ganz einfach sei. "Die Menschen haben große Sorgen, und darauf muss man eingehen." Auch sein bisheriger Koalitionspartner, Landesinnenminister und CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier, mahnte einen Wechsel an: Er habe Merkel gesagt, es gebe bei den Menschen eine große Verunsicherung, sagte er im ZDF: "Darauf muss der Bund reagieren. Er ist zunächst erst einmal für die Frage der Flüchtlingsaufnahme zuständig." Im Ergebnis der AfD spiegle sich ein massiver, grundsätzlicher Protest, sagte Sellering. "Da spielt die Flüchtlingspolitik eine große Rolle." Die Erfolge der AfD seien in erster Linie bundespolitisch zu erklären. Deswegen müsste ein Signal vom Bund kommen und nicht aus dem Land.
+++ Zum Nachlesen: AfD sorgt für Wahl-Beben - erstmals vor CDU +++
Gabriel sieht sich und seinen Kurs bestätigt
Die SPD ist trotz deutlicher Verluste weiter stärkste Partei in dem ostdeutschen Bundesland. Die CDU des Landesverbandes von Kanzlerin Merkel erzielte ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern und wurde von der AfD als zweitstärkste Partei abgelöst.
Der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel wertete den Wahlsieg seiner Partei am Sonntagabend als Bestätigung für einen Kurs der sozialen und inneren Sicherheit . "Niemand soll die Sorge haben, dass er darunter leiden muss, dass wir Flüchtlinge aufgenommen haben", sagte Gabriel am Sonntagabend in Berlin. Politik der SPD sei es, dass alle in Deutschland bessere Chancen hätten. Dafür sei ein Solidarpakt nötig für auskömmliche Pensionen, bezahlbare Wohnungen, Gesundheit und Pflege wie auch für mehr Polizei. Mit dem Abschneiden der rechtspopulistischen AfD könne man "nicht zufrieden" sein, sagte Gabriel.
Die AfD sei sich "nicht zu schade" gewesen, "mit der NPD gemeinsame Sache zu machen". Ministerpräsident Erwin Sellering habe mit seinem Kurs Erfolg gehabt: "Erwin Sellering war und ist das Bollwerk gegen solche braunen Parolen, wie wir sie in Mecklenburg-Vorpommern gehört haben."
Unmut & Protest
CDU-Generalsekretär Peter Tauber führt die schwere Schlappe seiner Partei auf weit verbreiteten "Unmut und Protest" in der Bevölkerung zurück. Dies habe offensichtlich zu großen Teilen "mit der Diskussion über die Flüchtlinge" zu tun, sagte er in Berlin. "Dieses Ergebnis und das starke Abschneiden der AfD ist bitter", sagte Tauber.
Die Union hatte in den vergangenen Wochen vor allem auf die Karte der inneren Sicherheit gesetzt - aber mit unklarem Effekt. Forsa-Chef Manfred Güllner wirft der Union vor, damit nur der AfD in die Hände gespielt zu haben. CDU-Generalsekretär Peter Tauber dagegen führt an, dass es richtig war. Allerdings bräuchten Maßnahmen etwa in der Flüchtlingspolitik oder bei der Kriminalitätsbekämpfung eben Zeit, um zu wirken.
Auch wenn Tauber nicht erwartet, dass nun ein Streit über Merkels Flüchtlingspolitik oder ihre vierte Kanzlerkandidatur losbrechen wird: In der Partei rumort es schon länger. Mit den Hinweisen Taubers und des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer, die Politik der Merkel-Regierung müsse nur besser erklärt werden, sei es nicht getan, deuteten am Wahlabend konservativen CDU-Politiker hinter vorgehaltener Hand an. Spätestens ab Montag werden neue Querschüsse aus der CSU erwartet - auch gegen die Kanzlerin, die die Wahl vom G20-Gipfel in China aus verfolgte.
SPD gewinnt mit Attacke gegen CDU-Flüchtlingspolitik
Mit Sorge wurde in der Union noch ein anderer Umstand vermerkt: So habe die SPD gemerkt, dass sie der CDU und Merkel schaden könne, wenn sie gegen die von ihr mitbeschlossene Flüchtlingspolitik schießt. Das könnte Vorbild für den Bundestagswahlkampf sein. Zum anderen habe die SPD in Mecklenburg-Vorpommern mit vielen russland-deutschen Wählern die "Pro-Russland"-Karte ausgespielt. Sellering hatte mehrfach Position gegen die EU-Sanktionen bezogen - und SPD-Chef Gabriel gegen das Wirtschaftsabkommen mit den USA (TTIP).
Bereits im März zeigte sich, dass die AfD nicht nur einen neuen Ton in politische Debatten gebracht hat. Die Parteien müssen sich auch von der alten Gewissheit verabschieden, dass hohe Wahlbeteiligungen vor allem den moderaten Parteien nutzen. Wie bei den letzten drei Landtagswahlen half die gestiegene Wahlbeteiligung auch diesmal der AfD, die am stärksten bisherige Nicht-Wähler mobilisieren konnte. Das könnte der Trend auch bei den nächsten Wahlen werden.
SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering konnte offenbar von einem Effekt profitieren, der sich bereits bei den drei Landtagswahlen im März zeigte. Damals setzten sich in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt jeweils die Amtsinhaber durch, obwohl sie drei verschiedenen Parteien angehören. Auch Sellerings SPD legte im Nordosten vor allem in den letzten Wochen vor der Wahl zu, nachdem sie zuvor noch hinter der CDU gelegen hatte. Das wird etwa die nordrhein-westfälische SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aufmerksam verfolgen, die 2017 wiedergewählt werden will - möglicherweise aber auch Merkel, wenn sie bei der Bundestagswahl wieder antreten sollte.