"Gesicherte Korridore"
Assad-Armee fordert Flucht aus Ghouta
16.03.2018
Streitkräfte bieten "gesicherte Korridore" für Bevölkerung an.
Die syrische Armee hat die Bewohner der umkämpften Rebellen-Enklave Ost-Ghouta zur Flucht aufgerufen. Das Oberkommando der Streitkräfte fordere die Zivilisten auf, das Gebiet über "gesicherte" Fluchtkorridore zu verlassen, hieß es in einer am Freitag vom syrischen Staatsfernsehen verbreiteten Erklärung.
Bereits am Donnerstag waren zehntausende Menschen vor den Kämpfen aus der Region vor den Toren der Hauptstadt Damaskus geflohen.
Laut Berichten 1.340 Zivilisten getötet
Seit dem Beginn ihrer Großoffensive auf die Rebellenenklave vor einem Monat haben die Truppen von Machthaber Bashar al-Assad mit Unterstützung der russischen Luftwaffe rund 70 Prozent von Ost-Ghouta zurückerobert. Laut der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei der Offensive bereits mehr als 1340 Zivilisten getötet. Allein am Freitag gab es demnach knapp 80 Tote.
Die in Großbritannien ansässige Organisation bezieht ihre Informationen von Ärzten und Aktivisten vor Ort. Für Medien sind die Angaben kaum zu überprüfen.
Nachdem am Tag zuvor bereits mehr als 13.000 Zivilisten aus dem Rebellengebiet Ost-Ghouta nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus geflohen waren, hätten am Freitagmorgen erneut knapp 2000 Menschen das Gebiet verlassen, teilte das russische Außenministerium mit. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach sogar von knapp 20.000 Menschen, die Ost-Ghouta zuvor verlassen hatten.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich besorgt über die neuen Entwicklungen. Die Verzweiflung dieser Menschen sorge ihn sehr, sagte Guterres am Freitag. Er bedauere sehr, dass die vom UN-Sicherheitsrat geforderte Waffenruhe nach wie vor nicht umgesetzt sei.
Der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura warnte davor, die Waffenruhe als "Wahlmenü" anzusehen. Sie könne nicht nur stückweise umgesetzt werden, sagte de Mistura, per Video aus Brüssel zugeschaltet, am Freitag dem Sicherheitsrat in New York.
Russland setzt Luftangriffe fort
Nach Angaben der Beobachtungsstelle setzte Russland nach der Massenflucht seine Luftangriffe auf Ost-Ghouta fort. Aktivisten aus Ost-Ghouta berichteten der Deutschen Presse-Agentur, dass Kampfjets vier Raketen auf einen Markt abgefeuert hätten. "Überall hat es gebrannt, Menschen liefen teilweise brennend herum und schrien", sagte der Aktivist Abu Ahed.
Die Angriffe erfolgten, nachdem es Rebellen der Gruppe Faiyaq al-Rahman gelungen war, verlorenes Gebiet von syrischen Regierungstruppen zurückzuerobern.
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, kritisierte nach einem Besuch in Ost-Ghouta den anhaltenden Bruch internationalen Menschenrechts. Dazu zählte er "Belagerungen, Blockaden, unverhältnismäßige Attacken in städtischem Gebiet und der gezielte Angriff auf Zivilisten".
Auch in der nordsyrischen Stadt Afrin ging die Massenflucht von Zivilisten angesichts heftiger Kämpfe am Freitag weiter. Seit Mitternacht seien mehr als 2500 Zivilisten geflohen, berichtete die Beobachtungsstelle, die ihre Informationen von einem breiten Netzwerk an Informanten in Syrien bezieht, am Freitag. Damit habe sich die Zahl der Geflohenen in den vergangenen Tagen auf mehr als 35 000 alleine in Afrin erhöht. Die meisten Menschen seien in Richtung der weiter entfernt liegenden Orte Nubul und Zahra geflohen.
Afrin von Türken belagert
Afrin steht seit Beginn der Woche praktisch unter Belagerung von türkischen Truppen und mit ihnen verbündeten Rebellen. Das türkische Militär warf am Freitag Flugblätter über der Stadt ab und warnte die Bewohner, sich von "Terroristen" fernzuhalten. Die Zettel riefen dazu auf, "der türkischen Armee zu vertrauen" und den "Schutz des türkischen Militärs" zu suchen. Seit dem 20. Jänner geht die Türkei zusammen mit Verbündeten gegen die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG in Afrin vor. Sie sieht darin einen verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in Syrien.
Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros sind in der Region Afrin hunderttausende Menschen in Gefahr. "Wir sind tief besorgt über das hohe Risiko für die praktisch eingekesselten Zivilisten, getötet, verletzt, belagert, vertrieben oder als Geiseln zum Schutz gegen Angriffe genommen zu werden", sagte Sprecherin Ravina Shamdasani am Freitag in Genf. Die Wasserzufuhr soll abgeschnitten sein. Zivilisten sollen, wenn sie nicht über gute Kontakte zu den kurdischen Behörden verfügen, an der Flucht gehindert worden sein.
Bei Artillerie- und Luftangriffen auf Wohngebiete in Afrin seien mindestens 27 Zivilisten getötet worden, berichtete die Beobachtungsstelle.
"Garantiemächte" zufrieden mit Entwicklung in Syrien
Russland, der Iran und die Türkei, die sich selbst als Garantiemächte für die Überwachung eines Waffenstillstands in Syrien sehen, haben sich zufrieden mit der Entwicklung in dem Land gezeigt. Besonders die gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus seien hervorzuheben, hieß es am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung, die das kasachische Außenministerium nach einem Treffen der Konfliktparteien in Astana verbreitete. Darin drückten die Außenminister zugleich ihre Sorge über andauernde Verletzungen der Feuerpause aus.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu rief in Astana zu verstärkten Bemühungen der Türkei, Russlands und des Irans für die Durchsetzung eines Waffenstillstands in Syrien auf. "Wir glauben, dass die Garantiemächte ihre gemeinsamen Bemühungen verstärken müssen, damit die Verstöße gegen den Waffenstillstand beendet, Zivilisten geschützt werden und die Lieferung von humanitärer Hilfe gewährleistet wird." Die Türkei bestreitet, dass bei ihren Angriffen Zivilisten getötet wurden.