Nach dem Sturz des Diktators kommen immer mehr Gräueltaten ans Tageslicht. In den Gefängnissen Assads wurde gnadenlos gefoltert und Menschen systematisch vernichtet.
Syrien. Aus dem Militärgefängnis Saidnaya bei Damaskus wurden seit dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad (59) bereits zehntausende Menschen befreit. Jetzt gibt es erste Berichte aus einem anderen Höllengefängnis: Der Knast Mezzeh. Dieser befindet sich ebenfalls in der Nähe der syrischen Hauptstadt und hier soll ein Mann besonders sadistisch gefoltert haben.
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Laut US-amerikanischen und britischen Medienberichten nannte der Folterknecht des Regimes sich selbst Hitler. Eine seiner sadistischen Praktiken war, dass Gefangene bei einem "Abendessen" die Rollen von Tieren einnehmen mussten – so sollten sie zur "Unterhaltung" seiner Kollegen einen Hund, einen Hahn oder eine Katze imitieren. Sie mussten bellen, miauen und krähen. Weitere Insassen mussten mit ihren Körpern Tische und Stühle simulieren. Wer nicht mitmachte, wurde härter geschlagen.
Gefangene in Reifen gepfercht und geschlagen
Im Höllenknast von Mezzeh wurden Gefangene außerdem in Reifen gepfercht und geschlagen oder an ihren Handgelenken aufgehängt und mit Säure verbrannt. Insassen mussten ihre Zellen mit Leichen teilen. In kalten Nächten wurden Gefangene nackt an einem Zaun aufgehängt und mit Wasser besprüht.
Bereits seit 2019 gibt es US-Medienberichte über Folter im Mezzeh-Gefängnis. Jetzt zeigen Aufnahmen vom Mezzeh-Gefängnis, die auf X kursieren, dunkle Gänge, kleine schmutzige Zellen, in denen oft nichts als eine Decke lag. Toilette gab es keine, auch kein Bett und kein Licht – nur ein winziges hohes Fenster.
So soll das Innere einer Zelle im Mezzeh-Gefängnis aussehen.
Assad bestritt stets die systematische Folter seines Volkes. Aktuelle Fotos und Berichte von Überlebenden des syrischen Gefängnis-Systems zeigen aber, dass die Zustände in Wahrheit noch viel schlimmer und grausamer waren als angenommen.
"Schlachthaus"
Um das eigentlich unbeschreibliche Grauen irgendwie greifbar zu machen, haben Ex-Häftlinge für das Militärgefängnis Saidnaya bald einen besonderen Spitznamen benutzt: "Schlachthaus". Wie wohl kein anderes Gebäude im Land ist es zum Symbol geworden für den blanken Horror aus Zeiten der nun gestürzten Regierung von Bashar al-Assad. Auf "industriellem Maßstab" sollen Assads Offiziere hier und in anderen Gefängnissen gefoltert und getötet haben.
Nach der Blitzoffensive der Aufständischen, angeführt von der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), kommen aus Saidnaya jetzt Tausende Menschen frei. Die Zivilschützer von den Weißhelmen schätzen, dass 20.000 bis 50.000 Häftlinge an nur einem Tag aus dem Gebäudekomplex nördlich der Hauptstadt Damaskus gerettet wurden. Bis zu 150.000 könnten dort inhaftiert gewesen sein - viele werden weiterhin vermisst.
Ein Mann kümmert sich nach der Befreiung des Saidnaya-Gefängnisses um die Leichen.
Mit der Befreiung kommen neue Details ans Licht zu den Zuständen in Saidnaya, wo nach Schätzungen der Weißhelme wohl jeden Tag 50 bis 100 Menschen hingerichtet und dann in Öfen verbrannt wurden.
Suche nach einem "Funken Hoffnung"
Für die Angehörigen beginnt eine fieberhafte Suche nach Hinweisen zu inhaftierten oder verschwunden Verwandten, von denen sie Jahre oder Jahrzehnte nichts gehört haben. Mohammed Abel Asis, der aus Aleppo nach Damaskus gekommen ist, suchte in Saidnaya etwa nach seinem Vater. Als die Sicherheitskräfte diesen im Jahr 2000 verhafteten, war Mohammed sieben Jahre alt. "Wir haben nach einem Funken Hoffnung gesucht", sagt er der Deutschen Presse-Agentur, vergeblich.
Einige, die mit leeren Händen vom Gefängnis heimkehren, halten danach symbolische Beerdigungen und Trauerfeiern ab für ihre wohl für immer verlorenen Angehörigen, wie Augenzeugen berichten.
Andere wandern wie Schatten ihrer selbst in die unerwartete Freiheit, nach teils Jahrzehnten in Haft. Der Nachrichtensender Al Jazeera zeigt einen Mann, der nach mutmaßlich schwerster Folter sich nicht an seinen eigenen Namen erinnern kann. Andere, die noch zur Regierungszeit von Assads Vater Hafiz inhaftiert wurden, erfahren nun, dass dieser im Jahr 2000 verstarb und dass der - nun gestürzte - Sohn Bashar die Macht damals übernahm.
Der britischen Zeitung "Guardian" zufolge ist ein Ex-Pilot unter den Befreiten, der sich während eines Aufstands gegen Hafiz al-Assad in den 1980er Jahren weigerte, die Stadt Hama zu bombardieren - und der jetzt nach 43 Jahren ein völlig anderes Syrien betritt.
"Tötungen auf industriellem Maßstab"
Die Methoden der Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden müssen so brutal gewesen sein, dass der Jurist und frühere UN-Chefankläger David Crane, der Folterbilder des syrischen Überläufers "Caesar" sichtete, sie mit der Nazi-Herrschaft verglich. 2014 sprach er von "Tötungen auf industriellem Maßstab".
Die "Menschenpresse" war ein Folterinstrument im Saidnaya-Gefängnis, um Menschen zu töten.
Der Organisation Amnesty International zufolge gab es in Saidnaya einen Raum mit 30 Schlingen, um Häftlinge zu erhängen, und nach Angaben der US-Regierung ein Krematorium neben dem Hauptgebäude, um Leichen zu verbrennen. Auch Weißhelme-Leiter Raid al-Saleh sagt, er und sein Team hätten Leichen in Öfen entdeckt.
Bis zum möglichen Tod in dem Komplex müssen Häftlinge unzählige weitere Tode gestorben sein. Überlebende und frühere Aufseher berichteten Amnesty International von einer Menschenpresse, bekannt als "fliegender Teppich", und der "Reifen"-Methode, in der Opfer mit dem Kopf zwischen den Knien in einen Autoreifen gezwängt und dann geschlagen wurden. Häftlinge seien vergewaltigt und geprügelt worden, andere in Psychosen verfallen und in ihrer Zelle verstorben. Schon seit den 1970er Jahren existierten in Syrien Gefängnisse, in denen Oppositionelle verschwanden wie in schwarzen Löchern.
Verhaftet vor 30 Jahren - Befreiung als Großvater
Die Assad-Regierung hatte die Vorwürfe als "haltlos" und falsch bezeichnet. Menschenrechtler schätzten dennoch, dass allein zwischen 2011 und 2018 mehr als 30.000 Häftlinge allein in Saidnaya entweder hingerichtet wurden oder nach Folter, Verweigerung von ärztlicher Versorgung oder an den Folger von Hunger starben. Zivilschützer und Angehörige, die in diesen Tagen nach angeblich versteckten unterirdischen Zellen suchen, könnten noch weitere grauenvolle Entdeckungen machen.
Die Befreiten bemühen sich, im neuen Leben Fuß zu fassen. Suhail Hammuyi wurde vor mehr als 30 Jahren verhaftet und verbrachte etwa die Hälfte der Zeit in Saidnaya. "Wir lebten Stunde für Stunde. Die größte Sorge war, am Leben zu bleiben", sagt er der dpa nach seiner Rückkehr in sein Heimatland Libanon. "Als ich ins Gefängnis kam, hatte ich einen zehn Monate alten Sohn. Mein Sohn ist jetzt, nach meiner Rückkehr, verheiratet, und ich bin ein Großvater."