Freilassung abgelehnt: Assange bleibt in Großbritannien in Haft.
London/Kabul. WikiLeaks-Gründer Julian Assange bleibt in Haft. Ein Londoner Gericht lehnte am Mittwoch einen Antrag ab, ihn gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß zu setzen. Es bestehe Fluchtgefahr, erklärte Richterin Vanessa Baraitser. Am Montag hatte sie entschieden, dass der 49-Jährige nicht an die USA ausgeliefert werden darf. Das US-Justizministerium will dagegen aber in Revision gehen. Baraitser sagte am Mittwoch, der Ausgang der Berufung sei noch offen.
Bei einer Verurteilung in den USA drohen Assange laut seinen Anwälten Jahrzehnte Haft. Die Vereinigten Staaten werfen ihm unter anderem Verstoß gegen ein Spionagegesetz vor. Assange hatte vor rund zehn Jahren über seine Enthüllungsplattform WikiLeaks Hunderttausende geheime US-Berichte und Diplomatendepeschen veröffentlicht, die er von Informanten bekam. US-Ermittlern zufolge gilt der gebürtige Australier damit als Staatsfeind. Für seine Anhänger ist er dagegen ein Held, der Machtmissbrauch sowie Fehlverhalten der USA in den Kriegen in Afghanistan und im Irak aufgedeckt hat.
Juristischer Streit um Assange
Der juristische Streit um Assange begann damit, dass Schweden in Großbritannien ein Auslieferungsgesuch wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen den WikiLeaks-Gründer stellte. Um seiner Auslieferung zu entgehen, flüchtete sich Assange 2012 in die Botschaft Ecuadors und lebte dort sieben Jahre lang. 2019 wurde ihm aber das Asyl entzogen. Das schwedische Verfahren wurde inzwischen eingestellt. In Großbritannien wurde Assange jedoch vorgeworfen, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben. Er wurde deshalb festgenommen und in ein Londoner Hochsicherheitsgefängnis gebracht.
Am Montag hatte Baraitser geurteilt, Assange dürfe nicht an die USA ausgeliefert werden, weil es die Sorge gebe, dass er Suizid begehen könne. In Isolation eines US-Hochsicherheitsgefängnisses drohe Assanges psychische Gesundheit so zu leiden, dass er sich womöglich das Leben nehme. Assange, bei dem Autismus und Asperger-Syndrom diagnostiziert worden seien, habe wiederholt unter schweren Depressionen gelitten und gegenüber Medizinern Selbstmordgedanken geäußert.
Assanges Partnerin Stella Moris, die mit dem 49-Jährigen zwei Kinder hat, zeigte sich am Mittwoch enttäuscht, dass der WikiLeaks-Gründer nicht auf freien Fuß kommt. Sie rief das US-Justizministerium dazu auf, die Vorwürfe fallen zu lassen, und forderte den US-Präsidenten auf, Assange zu begnadigen.
Assange seit 15 Monaten in Haft
Assange sitzt seit 15 Monaten in Belmarsh im Südosten Londons in Haft. Kritiker bemängeln die Zustände in dem Hochsicherheitsgefängnis stark. Anwalt Edmund Fitzgerald wies vor Gericht darauf hin, dass es in Assanges Zellentrakt einen starken Corona-Ausbruch gegeben habe. Richterin Baraitser allerdings betonte unter Berufung auf aktuelle Zahlen der Gefängnisleitung, dass derzeit nur drei Gefangene infiziert seien.
Mit Blick auf ihr erstes Urteil erklärte die Richterin: "Aus Fairnessgründen muss es den USA gestattet sein, meine Entscheidung anzufechten, und wenn Herr Assange während dieses Prozesses flüchtet, verlieren sie die Gelegenheit dazu." Assange verfüge weiterhin über ein riesiges Netzwerk, auf das er sich stützen könne, falls er erneut untertauchen wolle, begründete sie ihre Entscheidung.
Kritik von Amnesty International
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte das Urteil. "Die heutige Entscheidung, Julian Assanges Antrag auf Kaution abzulehnen, macht seine fortgesetzte Inhaftierung zu einem Akt der Willkür und verschlimmert die Tatsache, dass er seit mehr als einem Jahr unter harten Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert ist", betonte der Europa-Direktor von Amnesty, Nils Muiznieks, laut einer Aussendung seiner Organisation. "Es ist klar, dass Julian Assange gar nicht erst in Auslieferungshaft hätte genommen werden dürfen. Die Anschuldigungen gegen ihn sind politisch motiviert, und die britische Regierung hätte die USA niemals so bereitwillig bei ihrer unerbittlichen Verfolgung von Assange unterstützen dürfen."
Auch die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte das Urteil scharf. Der Richterspruch sei "eine unnötig grausame Entscheidung", twitterte die Londoner Vertreterin der Organisation, Rebecca Vincent. "Assange sollte nicht einen Moment länger ungerechtfertigterweise seiner Freiheit beraubt sein."
Dennoch erwartet Reporter ohne Grenzen ein positives Ende des Verfahrens. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Berufung der USA Erfolg haben wird", sagte Vincent noch vor dem neuen Urteil der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Ich sehe nicht, welche neuen Argumente die Anwälte vor Gericht einbringen könnten." Sie hofft, dass der gewählte US-Präsident Biden nach seinem Amtsantritt die Strafverfolgung Assanges beilegen könnte. Biden soll am 20. Jänner in den USA vereidigt werden und damit die Ära Donald Trumps beenden.
Österreichischer Journalisten Club (ÖJC) kritisiert Urteil
Kritik an dem Urteil kam auch vom Österreichischen Journalisten Club (ÖJC). "Jetzt ist die österreichische Bundesregierung gefordert. Als neutraler Staat mit einem hervorragenden Gesundheitssystem soll Österreich Assange politisches und humanitäres Asyl anbieten, um das Leben des WikiLeaks-Gründers zu retten", so ÖJC-Präsident Fred Turnheim laut einer Aussendung.
Anwalt Fitzgerald hatte auch aus familiären Gründen für eine Freilassung plädiert. "Es ist die erste Möglichkeit, mit seinen jungen Kindern zusammenzuleben", hatte er gesagt. Assange hat mit seiner Partnerin zwei Kinder, die während seines fast siebenjährigen Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft geboren wurden.
Ein Erfolg ist das Urteil für die USA. Deren Gerichtsvertreterin Clair Dobbin hatte erfolgreich vor einer Haftentlassung gewarnt. "Er hat gezeigt, dass er sehr viel auf sich nehmen kann, um einer Auslieferung zu entgehen", sagte sie und verwies auch auf Hilfs- und Asylangebote vor allem lateinamerikanischer Staaten wie zuletzt Mexiko. Dobbin sagte, Assange habe das Vertrauen derjenigen ausgenutzt, die sich auf ihn verlassen hätten. Er betrachte sich als über dem Gesetz stehend.