Davutoglu sagt Teilnahme an EU-Flüchtlingsgipfel ab - Erdogan pocht auf "Recht auf Selbstverteidigung".
Gut einen Monat nach dem Selbstmordattentat auf Urlauber in Istanbul ist die türkische Hauptstadt Ankara von einem schweren Bombenanschlag erschüttert worden. Bei dem Anschlag auf einen Armeekonvoi sind am Mittwochabend mindestens 28 Menschen getötet und 61 verletzt worden, wie Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sagte. Es handle sich um einen Angriff "auf die gesamte Nation".
Kurtulmus sagte, es gebe noch keine Informationen darüber, wer für die Tat verantwortlich sei. Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK hatte angekündigt, Angriffe auf staatliche Institutionen auszuweiten. Zunächst bekannte sich aber niemand zu der Tat. Seit dem bislang blutigsten Anschlag in der Türkei, bei dem im Oktober bei einer prokurdischen Friedensdemonstration in Ankara 103 Menschen getötet worden waren, gilt im Land die höchste Terrorwarnstufe.
Autobombe explodierte
Ziel des Anschlags im Regierungsviertel Cankaya in der Nähe des Parlaments waren nach Angaben der Armee Fahrzeuge, die Angehörige der Streitkräfte transportierten. Auf Fotos vom Anschlagsort waren ausgebrannte Busse zu sehen. Zu der Detonation sei es gekommen, als die Fahrzeuge gegen 18.30 Uhr (Ortszeit/17.30 MEZ) an einer Ampel gehalten hätten, teilte das Militär mit. Es handle sich um einen "niederträchtigen und verräterischen Angriff".
Das Militär bestätigte, dass unter den Toten Soldaten seien, machte jedoch keine Angaben zu deren Anzahl. Nach Angaben des Provinzgouverneurs detonierte vermutlich eine Autobombe.
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Mini-Gipfel abgesagt
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte nach dem Anschlag seinen Besuch in Brüssel zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise ab, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Davutoglu wollte am Donnerstag in Brüssel mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras zusammenkommen. Außerdem sollte er die Staats- und Regierungschefs der Koalition der "Willigen" treffen. Auch dieser Mini-Gipfel, der in der österreichischen EU-Vertretung stattfinden sollte, wurde abgesagt, teilte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) mit.
Der Anschlag wurde international scharf verurteilt. "Die Bundesregierung verurteilt diesen neuerlichen terroristischen Akt auf das Schärfste", sagte die deutsche Kanzlerin Merkel nach einer Mitteilung des Bundespresseamtes. Auch Frankreichs Präsident François Hollande verurteilte das "schändliche Attentat" und versicherte der Türkei seine Unterstützung. Bundeskanzler Faymann zeigte sich "erschüttert". Auch die iranische Regierung sprach der Türkei ihr Mitgefühl aus. "Dieser Anschlag hat erneut bewiesen, wie wichtig und notwendig der gemeinsame Kampf gegen die Terroristen sei", sagte Außenamtssprecher Jaber Ansbari nach Angaben der Agentur ISNA.
Erdogan kämpferisch
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan berief ein Sicherheitstreffen ein und sagte eine Reise nach Aserbaidschan ab. Erdogan sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und kündigte an, der Kampf gegen den Terror werde noch entschlossener weitergeführt.
"Die Türkei wird nicht zögern, von ihrem Recht auf Selbstverteidigung jederzeit, überall und unter allen Umständen Gebrauch zu machen", hieß es in einer Mitteilung Erdogans. Die Regierung verhängte aus Gründen der "nationalen Sicherheit" eine Nachrichtensperre über den Anschlag, die aber nicht offizielle Verlautbarungen betrifft.
Zu der Detonation kam es im Regierungsviertel Cankaya vor dem Hauptquartier der Luftwaffe in der Nähe des Parlaments. Auf Fernsehbildern waren ein großes Feuer und zahlreiche Krankenwagen zu sehen. Über Ankara stieg eine Rauchwolke auf. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP - der Erdogan eine Nähe zur PKK vorwirft - verurteilte den Anschlag von Ankara am Mittwochabend.
Türkische Sicherheitskräfte sind in den vergangenen Monaten vor allem in der Südosttürkei immer wieder Ziel von Anschlägen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK geworden. Im September starben bei einem PKK-Anschlag im südosttürkischen Ort Daglica 16 Soldaten.
Die Armee geht seit Mitte Dezember mit einer Offensive gegen PKK-Kämpfer vor, die sich in Städten im überwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei verschanzt haben. In mehrere Bezirken gelten seitdem Ausgangssperren. Zuletzt hatte die Armee ihren Einsatz auf die Stadt Idil ausgeweitet. Dort kam es in der Nacht zu Mittwoch zu schweren Gefechten. Ein mehr als zwei Jahre anhaltender Waffenstillstand zwischen PKK und türkischer Regierung war im Juli gescheitert. Seitdem eskaliert der Konflikt.
In der Vergangenheit kam es jedoch auch immer wieder zu Anschlägen, die nicht von der PKK verübt wurden, sondern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) oder linksterroristischen Gruppen angelastet wurden. Im vergangenen Monat riss ein Selbstmordattentäter in Istanbul elf deutsche Touristen mit in den Tod. Die Regierung machte den IS für diese Tat verantwortlich.