Selten gefallen sich Senatoren so wie in ihrer Rolle als Inquisitoren, öffentliche Ankläger und Aufdecker von Missständen – alles zum Wohle der Bürger ihrer Wahlkreise.
"Hearing" heißt ihre Waffe, vor laufenden CSPAN-Kameras nehmen sie betrügerische Firmenchefs, Steroide schluckende Baseball-Stars oder korrupte Beamte in die Mangel.
Schlecht geschlafen muss deshalb wohl JPMorgan-Chase-CEO Jamie Dimon vor seiner Anhörung vor dem Finanz-Komitee des Kongress-Oberhauses haben: Seine Bank hatte mit hochspekulativen Derivatgeschäften eines Händlers mit dem Spitznamen "London Whale" mindestens $2 Mrd. vergeigt (einige Reports sprechen sogar bereits von $7 Mrd.). Besonders peinlich für den Top-Banker: Die Verluste wären durch die vorgeschlagene "Volcker-Regel" zur Beschränkung der Eigenhandelstätigkeit von Banken gar nicht erst entstanden - und gerade Dimon hatte sich in reinlich arroganter und alter "Master of the Universe"-Manier am lautstärksten gegen diese und andere Bankenregulierungen gestellt.
Deshalb muss es ihn fast selbst gewundert haben, wie sanft er mit Glaceehandschuhen angefasst wurde. Aus der erwarteten öffentlichen Auspeitschung wurde ein wahres "Lovefest". "Nehmt euch ein Zimmer", ätzte die "Huffington Post". "Der schärfste Kritiker", witzelte TV-Komiker Jon Stewart, "an Jamie Dimon war – Jamie Dimon". Immerhin entschuldigte sich der für die Verluste, er nannte den London-Deal riskant und dämlich, geißelte sich selbst, dass er frühe Warnungen über das komplexe Wettgeschäft von Broker Bruno Michel Iksil, der sich kühn "Voldemort" nannte, so leichtfertig in den Wind schlug. Dimon gab sogar zu, dass weiterhin bei den Too-Big-To-Fail-Banken ein Klima aus "Gier, Arroganz, Größenwahn und wenig Liebe zum Detail" herrsche.
In so kühne Anschuldigen wollten sich freilich die "Volksvertreter" nicht versteigen: Die Republikaner huldigten Dimon als "Rockstar" der Bankenszene, aus den Verlusten solle man keine zu große Sache machen angesichts der Tatsache, dass Washington "pro Tag $27 Mrd. an neuem Defizit anhäufe", wie Senator De Mint (R) sinnierte. Gerne wollten sie auch von seiner Wall-Street-Exzellenz auch erfragen, was der weise Banker vom Kongress erwarte. Geehrt gab Dimon wenig überraschende Ratschläge: Keine Volcker-Regel jedenfalls, das wäre fein. Und auch sonst nicht all zu viel an von dieser lästigen Übersicht...
Die Demokraten wollten von Dimon wissen, wie die USA am besten ihr Staatsschuldendefizit in den Griff kriegen könnte. Dabei hätte es genug echte Fragen gegeben, so die NYT: Bis heute hat Mr. Dimon nämlich nicht erklärt, ob die London-Geschäfte als Absicherung ("hedge") ausgelegt waren - oder die Milliarden doch nur wegen altgewohnter Zockerei eines größenwahnsinnigen Traders aus den Büchern verschwanden.
Natürlich sind wir alle nicht ganz blöd: JPMorgan ist von allen Banken am großzügigsten, wenn es ums Füllen der Wahlkampfkassen der Senatoren geht. Dazu haben die millionenschweren Abgeordneten Teile ihres Vermögens dort angelegt, oder besitzen Aktien (Demokrat Frank Lautenberg gar eine statte Million Dollar...).
Der Freipass für die Finanzwirtschaft, die 2008 die Welt in die Megarezession stürzte, beschränkt sich nicht auf den Kongress: Obama etwa hat sein Konto bei JPMorgan, auch er blieb echte Finanzreformen schuldig. Kein einziger der Players des 2008-Crash wurde dazu bisher angeklagt. Dass sich die 99 Perzent weiter etwas einsam und durch nun wirklich niemanden mehr vertreten fühlen (zuletzt packte auch die Protestbewegung "Occupy Wall Street" ihre Zelte ein), darf nicht wundern. Die Dimon-Farce fühlte sich jedenfalls an wie ein Schlag in die Magengrube.
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