Das hochpathogene H5N1-Grippevirus kursiert nicht nur weltweit unter Vögeln, sondern es hat auch bereits seit Längerem den Sprung in Richtung Säugetiere geschafft.
Aktuell grassiert es zum Beispiel stark in Rinderherden in den USA. Für den Virologen und Impfstoffforscher Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York und der Medizinischen Universität Wien könnte genau diese Schnittstelle zwischen Tier und Mensch in den Vereinigten Staaten entscheidend werden.
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"Wir arbeiten bereits seit einiger Zeit auch in Wien an H5N1", erklärte Krammer, der ab 1. Jänner die operative Leitung des neuen Ignaz Semmelweis Instituts für Infektionsforschung (ISI) übernimmt, im Gespräch mit der APA. Hier beschäftigt sich das Team mit der Frage, warum die seit der Ausbildung der sogenannten "Klade 2.3.4.4" um das Jahr 2021 auch unter Säugetieren - im negativen Sinne - sehr erfolgreiche Grippe-Variante noch zu überschaubaren Ansteckungen von Menschen geführt hat. Diese sind alle auf direkten Tier-Kontakt zurückzuführen.
"Glaube nicht, dass uns sofort Pandemie ins Haus steht"
Das Neuraminidase-Protein "des momentanen H5N1-Erregers ist ein wenig anders als jenes der historischen H5N1-Stämme", erklärte Krammer. Das könnte mit den relativ wenigen und relativ milden Fällen unter Menschen bisher zusammenhängen. Man dürfe nicht vergessen, dass vor 2020 die meisten humanen H5N1-Fälle schwer verliefen: Von rund 900 bestätigten Patienten starb in etwa die Hälfte. "In den USA gibt es mittlerweile 50 Fälle und keiner davon verlief schwer", so der Wissenschafter.
Ein Grund dafür könnte sein, dass es gegen die nun kursierende Abwandlung des N1-Proteins relativ viel Immunität in der Bevölkerung gibt - "einfach aus dem Grund, weil viele relativ zeitnahe mit der saisonalen Influenza H1N1 infiziert wurden". Das nunmehrige N1-Protein präsentiert sich ein Stück weit exponierter und könnte daher besser vom Immunsystem erkannt werden, so Krammer: "Ich glaube zwar nicht, dass das eine Pandemie aufhalten könnte, aber es könnte die Erkrankungen sehr stark abschwächen. Im Generellen ist die H5N1-Situation weiter bedenklich. Ich glaube aber auch nicht, dass uns sofort eine Pandemie ins Haus steht."
Virenvermischungen bei Co-Infektionen bereiten Sorgen
Kürzlich sorgte in dem Zusammenhang eine Studie von US-Forschern um Ian Wilson und Ting-Hui Lin vom Scripps Research Institute für Aufsehen, in der gezeigt wurde, dass bereits eine Mutation am Hämagglutinin - also der Struktur, die für das H in der Variantenangabe steht - ausreicht, damit das Virus deutlich leichter an menschliche Zellen binden und von Mensch zu Mensch springen kann. "Normalerweise werden Influenzapandemien nicht von Vogelgrippe-Stämmen direkt ausgelöst. 2009, 1968 und 1957 war es der Fall, dass es zu einer Vermischung mit entweder saisonalen, humanen Influenzaviren oder mit Viren, die schon lange in Säugetieren zirkulieren, kam - also zum Beispiel Schweineviren", sagte Krammer. Das bereite ihm auch am meisten Sorge.
Da nun in den USA sehr viele Rinderherden infiziert sind und auf den Farmen sehr viele Menschen arbeiten, ist davon auszugehen, dass Menschen in der winterlichen Grippesaison mit einer Influenzainfektion zur Arbeit gehen werden. "Da kann es zu Co-Infektionen kommen", so Krammer. Wenn das der Fall ist, könnten sich neue Kombinationen bilden, die zum Beispiel H5 an der Oberfläche haben, dessen Replikationsmaschinerie aber von einem humanen Virus stammt, "das sich sehr gut in menschlichen Zellen vermehren kann", sagte der Wissenschafter: "Das sehe ich als Gefahr."