Weiterreise Timanowskajas nach Warschau noch am Mittwoch wahrscheinlich.
Wien/Tokio/Minsk. Die belarussische Athletin Kristina Timanowskaja ist am Mittwochnachmittag auf dem Flughafen Wien gelandet. Das bestätigte Luftfahrtsstaatssekretär Magnus Brunner (ÖVP), der die Sportlerin in Empfang genommen hatte, gegenüber Journalisten. "Das wichtigste ist, dass sie sich sicher fühlt." Timanowskaja werde noch am Mittwochabend nach Warschau weiterreisen, sagte er. Die Sportlerin wolle sich in Wien nicht vor der Presse äußern, so Brunner.
Laut Agenturberichten ist aber voraussichtlich am Donnerstag in der polnischen Hauptstadt eine Stellungnahme vor der Presse geplant. Auf ihren Weiterflug in die polnische Hauptstadt wartete sie im VIP-Terminal des Flughafens. Laut Flugplan des Flughafens Wien-Schwechat gibt es nach der Ankunft des Fluges aus Tokio am Nachmittag noch zwei Möglichkeiten (um 18.05 und um 19.05 Uhr), um von Wien nach Warschau zu fliegen. Der Luftfahrtsstaatssekretär hielt sich in der Frage bedeckt, welcher Flug in die polnische Hauptstadt für die 24-jährige Sprinterin geplant war.
Humanitäres Visum
Polen hatte der Athletin, die nach Konflikten mit Sportfunktionären von den Olympischen Spielen in Tokio nicht in ihn Heimatland zurückkehren will, ein humanitäres Visum ausgestellt. Brunner bestätigte, dass Polen Timanowskaja während des Fluges von Tokio nach Wien Begleitung zur Verfügung gestellt hatte.
Der Sportlerin ging es den Umständen entsprechend gut. Sie sei müde und natürlich nervös wegen der Ereignisse, fühle sich aber auch in Sicherheit, berichtete Brunner.
Während ihres Zwischenaufenthaltes in Österreich wurde die Sportlerin von österreichischen Polizeibeamten geschützt. "Für uns ist oberste Priorität, dass Kristina Timanowskaja jetzt in Sicherheit ist. Das ist das Entscheidende", sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Ob die Belarussin letztlich in Polen, Österreich oder anderswo Schutz finden werde, "wird sich weisen und hängt auch von ihr ab", so der Minister. Österreich stehe jedenfalls bereit, ihr zu helfen, wiederholte er.
Timanowskaja könne auf Unterstützung zählen
Bereits am Vormittag hatte es aus dem Außenamt geheißen, dass Timanowskaja "selbstverständlich" auf Unterstützung zählen könne, solle sie doch in Österreich einen Asylantrag stellen wollen. In den vergangenen Tagen hatten mehrere Staaten angeboten Timanowskaja aufnehmen zu wollen. Die Sportlerin sei in Österreich "herzlich willkommen und kann auf unsere bestmögliche Unterstützung zählen". Das Innenministerium in Wien äußerte sich in einer Mitteilung in ähnlichen Worten: Falls die Athletin einen Asylantrag stellen wolle, wird dieser im Rahmen der geltenden Gesetzeslage abgewickelt. Beide Ministerien bestätigten gleichzeitig, dass die Sportlerin nach österreichischen Informationen noch am Mittwoch nach Warschau weiterreisen werde.
Auch der Ehemann Timanowskajas, Arseni Sdanewitsch, soll noch am Mittwoch nach Warschau kommen, wie eine Organisation der belarussischen Opposition in Polen mitteilte. Auch Sdanewitsch habe ein humanitäres Visum für Polen erhalten, bestätigte ein Regierungssprecher am Nachmittag.
Sicherheitsbedenken
Ursprünglich hatte es geheißen, dass Timanowskaja mit der polnischen Airline LOT aus der Olympia-Stadt Tokio nach Warschau fliegen werde. Konsulatsmitarbeiter hätten ihre Flugroute aber aufgrund von Sicherheitsbedenken geändert, hieß es in der Früh aus Kreisen der belarussischen Gemeinschaft. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass ist die Entscheidung von der polnischen Botschaft getroffen worden, da auf dem ursprünglichen Flug auch mehrere ausländische Journalisten einen Platz gebucht hätten. Ein österreichischen Fluggast, der der von den Sommerspielen im gleichen Flieger wie Timanowskaja nach Wien reiste, berichtete gegenüber der APA von geschätzten 100 Medienvertretern, die vor dem Abflug in Tokio am Gate warteten.
Polen zeigte sich eher unglücklich darüber, dass die Reiseroute der Athletin über Wien bekannt geworden war. Aus polnischen Regierungskreisen hieß es gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dieser Umstand sorge für "Sicherheitsbedenken". Die Quelle erinnerte dabei an die erzwungene Landung eines Ryanair-Fluges in Minsk im Mai. Der Flieger war damals zwischen den EU-Ländern Litauen und Griechenland unterwegs gewesen. Der im Flugzeug befindliche regierungskritische belarussische Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin wurden von den belarussischen Behörden festgenommen.
Disziplinarkommission untersucht Vorfälle
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) setzte seinerseits eine Disziplinarkommission zur Untersuchung der Vorfälle rund um die mutmaßlich von belarussischen Behörden versuchte Entführung der Leichtathletin ein, sagte IOC-Sprecher Adams am Mittwoch. Verantworten sollen sich vor allem der Leichtathletik-Cheftrainer von Belarus und der stellvertretende Direktor des nationalen Trainingszentrums.
Die beiden Funktionäre sollen Timanowskaja bei den Olympischen Spielen in Tokio mitgeteilt haben, dass sie wegen kritischer Äußerungen in den Sozialen Medien vorzeitig in ihre Heimat zurückkehren müsse. Die 24-Jährige hatte sich dann am Flughafen Haneda an die japanische Polizei gewandt und den Rückflug verweigert.
Es sei "bedrückend, aber leider keine wirkliche Überraschung, dass das belarussische Regime selbst vor dem olympischen Gedanken kein Halten kennt. Während die internationalen Athletinnen und Athleten in Tokio sportliche Höchstleistungen aufstellen, scheint Minsk auf einen traurigen Rekord an Repressionen abzuzielen", kritisierte Schallenberg.
Kritik in Online-Medien
Der 24-jährigen Sprinterin ging es nach eigenen Angaben nicht um Politik. Sie hatte Kritik in Online-Medien an den belarussischen Sportfunktionären geübt, weil sie bei den Spielen in Japan ohne Rücksprache mit ihr für das 4x400-Meter-Rennen statt für den 200-Meter-Lauf aufgestellt worden war. Das belarussische Nationale Olympische Komitee (NOK) erklärte daraufhin, Timanowskaja scheide wegen ihres "emotionalen und psychologischen Zustands" aus dem Wettbewerb aus.
Unterdessen wollen weitere Athleten aus Belarus ihre Heimat verlassen. Die Siebenkämpferin Jana Maximowa schrieb auf Instagram, sie und ihr Ehemann, der Zehnkämpfer Andrej Krawtschenko, wollten künftig in Deutschland leben. In Belarus könne man seine Freiheit und sein Leben verlieren. "Hier ist die Chance, tief durchzuatmen und zu denjenigen zu gehören, die für die Freiheit ihres Volkes, ihrer Freunde, Verwandten und Lieben kämpfen", schrieb sie zu einem Bild, das sie gemeinsam mit ihrem Kind zeigt.
Angst vor Verfolgung
Auch der Betreuer der Handballmannschaft "Witjas" in Minsk, Konstantin Jakowlew, flüchtete aus Angst vor Verfolgung aus Belarus. Er halte sich bereits den zweiten Tag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf, sagte er dem ukrainischen Nachrichtensender Ukrajina 24. Der Aktivist der Unabhängigen Sportlerassoziation habe bereits 15 Tage im Gefängnis gesessen für die Absicht, offene Trainings abzuhalten. Diese würden von den belarussischen Behörden als "politische Versammlungen" angesehen, sagte er.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki attackierte die belarussische Spitze um Machthaber Alexander Lukaschenko scharf. Er forderte, die "Aggression der belarussischen Sicherheitsdienste auf japanischem Gebiet" müsse auf "entschiedenen Widerspruch der internationalen Gemeinschaft stoßen". Lukaschenko schweigt bisher zum Fall der Olympia-Sprinterin Timanowskaja.
Menschenrechtsverletzungen
In Belarus regiert seit 1994 Präsident Lukaschenko, der mit harter Hand gegen Kritiker vorgeht. Laut Amnesty International mussten bereits viele belarussische Sportlerinnen und Sportler ihre Karriere und ihre Freiheit aufgeben, weil sie sich gegen die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land aussprachen. Nach Angaben der Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) sind bisher 95 Athleten wegen der Teilnahme an friedlichen Protesten inhaftiert worden. Sieben belarussische Sportler seien aufgrund ihrer friedlichen Regierungskritik wegen politischer Vergehen angeklagt, 35 Athleten und Trainer aus dem Nationalteam ausgeschlossen worden.