Angeblich ist auch der Innenminister zu Tode geprügelt worden.
Nach einem Umsturz in der zentralasiatischen Republik Kirgistan mit Dutzenden Toten hat die Opposition nach eigener Darstellung die Macht übernommen. Ministerpräsident Danijar Ussenow und sein Kabinett hätten ihren Rücktritt eingereicht, sagte Oppositionsführer Temir Sarijew. Die neue Regierung werde von der früheren Außenministerin Rosa Otunbajewa geführt. Die 59-Jährige sagte, es gehe nun darum, Ruhe zu bewahren und das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.
Präsident geflüchtet
Der autoritäre Präsident
Kurmanbek Bakijew hat sich nach Angaben kasachischer Sicherheitskreise in
die Nachbarrepublik Kasachstan abgesetzt. Auch Medien hatten berichtet, dass
er Kirgistan verlassen hat. Als heißer Kandidat für das höchste Staatsamt
gilt nach Einschätzung von Beobachtern der Chef der Oppositionspartei Ata
Meken, Omurbek Tekebajew.
Bis zu 100 Tote
In dem an China grenzenden Kirgistan hatten sich
den ganzen Tag über wütende Regierungsgegner Schießereien mit der Polizei
geliefert. Dabei kamen nach Angaben der Opposition allein in der Hauptstadt
Bischkek etwa 100 Menschen ums Leben. Das Gesundheitsministerium sprach von
40 Toten und mehr als 400 Verletzten. Die Demonstranten brandschatzten
Regierungsgebäude, es gab Plünderungen und schwere Zerstörungen. Unter den
Toten ist vermutlich auch Innenminister Moldomussa Kongantijew.
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Die Demonstranten plünderten am späten Abend (Ortszeit) ein Anwesen von Präsident Bakijew in Bischkek und trugen Geschirr sowie Bettwäsche heraus. Später steckten sie das Gebäude in Brand.
Proteste im ganzen Land
Die Opposition hatte seit Beginn der
Proteste am Dienstagabend mehrere Städte im Norden des Landes in ihre Gewalt
gebracht, darunter die regionalen Zentren Talas und Naryn.
Otunbajewa hatte sich nach Angaben einer Sprecherin während der stundenlangen Ausschreitungen vorübergehend in Sicherheit gebracht, um ihrer Festnahme zu entgehen. Die Fraktionschefin der Sozialdemokratischen Partei im Parlament galt schon vor fünf Jahren als Anführerin der sogenannten Tulpenrevolution. Damals war Bakijew an die Macht gekommen. Otunbajewa hatte ihm dann aber wegen autoritärer Tendenzen den Rücken gekehrt. Seine Kritiker warfen Bakijew gewaltsame Repressionen gegen Andersdenkende vor. Sie beklagten zudem extreme Günstlingswirtschaft sowie gewalttätige und korrupte Clanstrukturen. Die Menschen in der Ex-Sowjetrepublik leiden unter extremer Armut.
Schüsse und Geiselnahmen
Die Polizei erschoss in Bischkek
Dutzende Demonstranten. Dort brachten die Regierungsgegner mehrere
staatliche Gebäude wie das Rathaus sowie staatliche Medienanstalten unter
ihre Kontrolle. Unbestätigten Berichten zufolge nahmen die Demonstranten
mehrere Regierungsmitglieder als Geiseln. In Bischkek zog eine Menschenmenge
mit erbeuteten Waffen durch die Straßen und zündete Fahrzeuge an.
Innenminister tot?
Innenminister Kongantjew wurde nach Angaben
aus seinem Ministerium in Talas getötet. Örtliche Medien hatten zuvor
berichtet, der Innenminister sei von Demonstranten als Geisel genommen
worden. Sie hatten den Politiker demnach verprügelt und er sei auf dem Weg
in ein Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Die Nachrichtenagentur
Interfax dagegen zitierte am Mittwoch den Sprecher des Ministers, dass
Kongatijew nicht getötet worden sei. Berichten über dessen Tod seien falsch.
Medienzensur
Viele Internetseiten waren tagsüber lange Zeit
nicht erreichbar. Die Opposition beklagte schon in den vergangenen Monaten
eine zunehmende Medienzensur. Bakijew hatte sich im vergangenen Jahr
wiederwählen lassen. Westliche Beobachter kritisierten die Abstimmung als
gefälscht. Die Lage in dem Land hatte sich seither immer weiter zugespitzt.
Schock im Ausland
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon äußerte sich
bei einem Besuch im Nachbarland Kasachstan "schockiert" über die
Situation. Versammlungsfreiheit sei ein "wichtiges Element jeder
demokratischen Gesellschaft", sagte er. Zugleich forderte Ban beide
Seiten zum Gewaltverzicht auf. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton
zeigte sich "tief besorgt". Die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bot sich als Vermittler an.
Russland und die USA, die Militärstandorte in dem Nachbarland zu China unterhalten, mahnten alle Beteiligten zur Besonnenheit. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin erklärte in Smolensk, seine Regierung habe mit den Unruhen nichts zu tun. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Washington sagte, das Weiße Haus beobachte die Situation sehr genau. Die USA haben einen Militärstützpunkt in Kirgistan, der wichtig für die Versorgung ihrer Truppen in Afghanistan ist.
Präsident Bakijew war nach der sogenannten Tulpenrevolution im Jahr 2005 mit dem Versprechen demokratischer Reformen Staatschef geworden. Im vergangenen Sommer wurde er in einer umstrittenen Wahl im Amt bestätigt. Die Opposition und Menschenrechtsorganisationen werfen ihm Korruption, Machtmissbrauch und Unterdrückung der Meinungsfreiheit vor.