USA
Boston: Liefern Bomben-Teile eine Spur?
16.04.2013
1.000 Ermittler im Einsatz - Hoffnung auf "Fingerabdruck" der Bombe.
Bei Terroranschlägen wie beim Boston-Marathon ist es nicht anders als bei ganz "normalen" Verbrechen, meint Ray Kelly, der Polizeichef von New York. "Die ersten 24 Stunden sind die wichtigsten." Doch in Boston ist auch am Mittwoch - zwei Tage nach dem Massaker mit drei Toten und über 180 Verletzten - nicht einmal ein Verdächtiger in Haft. Selbst Präsident Barack Obama muss eingestehen, dass die Ermittler im Dunklen tappen. Einen Durchbruch erhofft sich die Polizei jetzt vom Klein-Klein der Forensiker: gesucht wird der "Fingerabdruck" der Bombe.
"Signature of a bomb" - wörtlich: die Unterschrift einer Bombe - heißt das neue Schlagwort der Experten. Simpel gesprochen bauen die Forensiker darauf, dass selbst millimeterkleine Einzelteile des zerfetzten Sprengsatzes ihnen wichtige Hinweise geben, erklärt Barbara Starr, die Sicherheits- und Pentagonexpertin des TV-Senders CNN. Es geht dabei um das Explosivmaterial und Zünder - bis hin zu jedem kleinsten Draht, der verwendet wurde.
"Diese Hinweise werden mit Hunderten, wenn nicht tausenden "Fingerabdrücken" von Bombenresten verglichen", die die USA rund um die Welt gesammelt haben. Am Ende der Puzzlearbeit könnte es dann Hinweise auf den oder die Täter geben - die Betonung liegt auf: könnte.
Erste Erkenntnisse haben die FBI-Spezialisten bereits zutage gefördert: Der Zünder soll durch eine Art Eieruhr, wie man sie in der Küche benutzt, in Gang gesetzt worden sein, berichtet die "New York Times". Das Explosivmaterial sei zusammen mit Nägeln und Metallkugeln in einen Schnellkopftopf gefüllt worden, der wiederum vermutlich in einem schwarzen Nylonrucksack versteckt wurde. Ziel sei es eindeutig gewesen, möglichst viele Menschen zu verstümmeln.
Topf-Deckel auf Hausdach gefunden
Ermittler fanden am Mittwoch ein möglicherweise entscheidendes Puzzlestück auf der Suche nach dem Täter: Auf einem Hausdach in der Nähe des Anschlagsortes wurde der Deckel jenes Schnellkochtopfs gefunden, in dem einer der beiden Sprengsätze detonierte.
Doch die Frage ist: Wie heiß sind solche Hinweise wirklich? Offenbar in Ermangelung echter Fahndungserfolge klammert sich die Polizei derzeit an jeden kleinsten Strohhalm. So wurde es US-Fernsehsendern am Mittwoch gestattet, Fotos von Einzelteilen der Bomben zu veröffentlichen. Jetzt soll der Mann von der Straße weiterhelfen.
"Dies ist eine sehr komplizierte Ermittlung", räumt Richard DesLauriers, Special Agent des FBI am Dienstagabend (Ortszeit) erstaunlich ungeschminkt ein. Soll das heißen: Die Polizei tappt im Dunklen?
Bomben primitiver Bauart
Eines scheint sich zu erhärten: Die Bomben sind ganz offenbar eher simpler und primitiver Natur. Bombenbauer von Al-Kaida etwa gelten eher als Profis, die etwa raffiniertere Zünder als eine Eieruhr verwenden. Steckt "home-grown terrorism" dahinter - einheimische Terroristen also, die die Bombe legten?
Andererseits verweist Michael McCaul, Kongressabgeordneter mit Zugang zu Geheimdienstinformationen, darauf hin, dass der Sprengsatz Ähnlichkeiten mit Bomben auf US-Truppen im Irak und Afghanistan hätten, wie die "New York Times" berichtet. Könnten also doch islamistische Gruppen mit im Spiel sein?
Weitere Hoffnungen setzten die Ermittler auf ihre elektronischen Ohren. Zehntausende oder gar Hunderttausende Telefongespräche, E-Mails, Facebook-Nachrichten und andere Kommunikationen rund um den Globus werten die Spezialisten derzeit aus. Es gilt, das sogenannte "pre-attack chatter" zutage zu fördern - Gespräche der Täter oder Helfershelfer, die kurz vor dem Anschlag geführt wurden.
17 Menschen schweben noch in Lebensgefahr
Chirurgen mehrerer Krankenhäuser berichteten, sie hätten Verletzten Metallkugeln und Nägel herausoperieren müssen. Klinikmitarbeitern zufolge wurden mindestens zehn Opfern Gliedmaßen amputiert. Am Mittwoch schwebten noch 17 Verletzte in Lebensgefahr. Bei dem Anschlag am Montagnachmittag (Ortszeit) waren drei Menschen getötet und 175 weitere verletzt worden. Bis Dienstagabend wurden alle drei Todesopfer identifiziert. Neben dem achtjährigen Martin Richard wurden eine 29-jährige Restaurantangestellte sowie eine chinesische Studentin getötet.
Fehlalarm in New York
In allen amerikanischen Großstädten gelten seit dem Anschlag vom Montag erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. In New York wurde am Dienstag ein Räumkommando wegen eines verdächtigen Pakets zum Flughafen La Guardia geschickt. Auf dem Flughafen von Boston wurde das Gepäck von zwei Passagieren aus einem Flugzeug geholt. Beide Fälle erwiesen sich als Fehlalarm.
Rätsel um Motive
Ermittler sprachen von einem breiten Spektrum möglicher Motive. Es sei auch unklar, ob es sich um einen oder mehrere Täter gehandelt habe. Der Zeitpunkt des Angriffs spreche für einheimische Extremisten, die einen mächtigen Staat ablehnten. Am Montag wurde in Massachusetts der Patriots' Day begangen, der an den Unabhängigkeitskrieg erinnert. Am 15. April läuft in den USA zudem die Frist für die Abgabe der Steuererklärung ab. Steuern sind für einige amerikanische Extremistengruppen ein Reizthema.