Nach historischer Pleite
Brexit-Chaos: May übersteht Misstrauensvotum knapp
16.01.2019
Hauchdünn mit 325 zu 305 Stimmen wurde der Premierministerin weiterhin das Vertrauen ausgesprochen.
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Das britische Parlament hat sich einen Tag nach dem Votum gegen das Brexit-Abkommen hinter Premierministerin Theresa May gestellt. Bei dem Misstrauensvotum stimmten am Mittwochabend 325 Abgeordnete für May, 306 votierten gegen sie. Die Premierministerin erklärte, nun müsse beim Brexit ein Weg gefunden werden, hinter dem auch das Parlament stehe. Die Gespräche begännen noch am Abend.
"Ich glaube, dass alle in diesem Haus sich dazu verpflichtet fühlen, die EU zu verlassen." Oppositionschef Jeremy Corbyn sagte, die Regierung müsse nun klarstellen, dass es nicht zu einem ungeregelten Austritt aus der Europäischen Union komme. In einer leidenschaftlichen Debatte hatte Corbyn zuvor eine Neuwahl gefordert. Die heftige Schlappe bei dem Votum über den Brexit-Deal am Dienstag habe gezeigt, dass die Regierung nicht in der Lage sei, weiterzumachen. Die "Zombie-Regierung", deren "Frankenstein-Deal" nun offiziell tot sei, solle den Weg frei machen, sagte der Labour-Politiker.
May warnte vor Neuwahl
May konterte, eine Neuwahl sei "das Schlechteste, was wir machen können". Sie würde die Spaltung im Land vertiefen, Chaos und Stillstand bringen. Die Premierministerin hat angekündigt, am kommenden Montag dem Parlament darzulegen, wie es weitergehen soll, um einen chaotischen EU-Austritt doch noch zu verhindern. Zuvor will sie sich mit den anderen Parteien im Unterhaus beraten.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine neue Volksabstimmung über den EU-Austritt und drohte indirekt mit einem neuen Unabhängigkeitsreferendum. "Ein zweites Referendum ist die einzige Möglichkeit, dass Schottland als Teil des Vereinigen Königreichs in Europa bleibt", sagte Sturgeon der "Bild"-Zeitung (Donnerstag). "Unser Platz in Europa muss geschützt werden. Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei rief May zu: "Um Gottes Willen, Premierministerin, würden Sie bitte einfach gehen?".
EU wäre für Verschiebung des Brexits bereit
Die EU signalisierte Großbritannien unterdessen Verhandlungsbereitschaft über das Brexit-Abkommen. "Falls das Vereinigte Königreich künftig eine Änderung seiner roten Linien zulässt (...), wäre die EU sofort bereit zu einer positiven Antwort", sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier vor dem Europaparlament in Straßburg. Darunter fällt eine noch stärkere Ausrichtung nach EU-Regeln, um künftig eine sehr enge Handelsbeziehung zu gewährleisten. Kein Entgegenkommen sei aber bei einem der zentralen Streitpunkte möglich: Barnier bekräftigte, eine physische Grenze zwischen Irland und Nordirland müsse verhindert werden.
Einem Zeitungsbericht vom Mittwoch zufolge prüfen EU-Vertreter, den Austritt des Vereinigten Königreichs bis 2020 zu verschieben. Dazu würden rechtliche Wege geprüft, berichtete die Zeitung "The Times" unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Quellen. Zuvor war von ein paar Monaten Verzögerung die Rede.
EU-Wahlen als Problem
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) würde den Briten aber - wenn nötig - Zeit lassen, damit es nicht zu einem übereilten EU-Ausstieg kommt. Zwar sei das Brexit-Abkommen nach dessen Ablehnung durch das britische Parlament nicht nachverhandelbar, betonte er am Mittwoch nach dem Ministerrat. Allerdings könnten in einer notwendigen Erklärung mit der EU noch Details geklärt werden. "Der Wunsch muss aber von Großbritannien kommen", so Kurz.
Kompliziert wäre eine Brexit-Nachspielzeit allerdings durch die Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai. Großbritannien ist dann eigentlich nicht mehr dabei, die Sitze des Landes fallen weg. Der Chef der Liberalen im Parlament, Guy Verhofstadt, warnte deswegen vor zu viel Entgegenkommen. "Auch wenn das Königreich mehr Zeit braucht, wäre es ein schlechte Idee, den Austritt auf ein Datum nach der Wahl zum Europaparlament zu verschieben." Der Urnengang ist für den 26. Mai angesetzt
Historische Pleite für May
May hatte am Dienstagabend eine herbe Schlappe einstecken müssen. Das Unterhaus votierte mit 432 zu 202 Stimmen gegen den von ihr ausgehandelten EU-Austrittsvertrag - die schwerste Niederlage für eine britische Regierung in der jüngeren Geschichte. Der Ausgang war zwar erwartet worden, weil auch viele Abgeordnete von Mays Konservativer Partei gegen das Abkommen waren, allerdings nicht in dieser Deutlichkeit. Großbritannien steckt damit in der schwersten politischen Krise seit einem halben Jahrhundert.
Unklar ist das weitere Vorgehen. Möglich wären nach wie vor weitere Verhandlungen mit der EU und ein neuer Anlauf im Parlament, ein ungeregelter Austritt am 29. März, eine zweite Volksabstimmung über den Brexit oder ein Rücktritt von May. May kündigte eine Erklärung bis Montag an. "Es ist meine Verpflichtung, beim Brexit zum Ziel zu kommen."
Österreichs Delegierter bei Brexit-Verhandlungen: "Der Deal ist nicht tot"
Österreichs Delegierter bei den Brexit-Verhandlungen, Gregor Schusterschitz, hält ein geregeltes Brexit-Abkommen zwischen Großbritannien und der EU immer noch für machbar. Ein möglicher Deal sei "nicht tot", erklärte Schusterschitz in Interviews mit der "Wiener Zeitung" (Donnerstag-Ausgabe).
Die EU sei in einer schwierigen Situation, weil die Motive, weswegen die britischen Abgeordneten am Dienstag im Londoner Unterhaus gegen den Deal gestimmt hätten, sehr unterschiedlich seien, analysierte der österreichische Spitzendiplomat. In der ganzen Debatte würden "parteipolitische Überlegungen, die nichts mit dem Austrittsvertrag zu tun haben, eine sehr große Rolle spielen", meinte Schusterschitz in der "Wiener Zeitung". Noch seien aber nicht alle Wege für eine geregelte Scheidung zwischen EU und Großbritannien versperrt.
Großbritannien will die EU nach gut 45 Jahren Mitgliedschaft verlassen. Bis Ende 2020 gibt es eine Übergangsphase, in der dort noch EU-Recht gilt. Die Zeit, die notfalls um zwei Jahre verlängert werden kann, gilt aber nur, wenn London vor dem Austritt den Scheidungsvertrag mit Brüssel unterzeichnet.