Cameron steuert sein Land an den Rand der EU

23.01.2013

Innenpolitische Motive kollidieren mit EU-Status.

Zur Vollversion des Artikels
Zur Vollversion des Artikels

Als am Mittwoch der Proteststurm der Kontinentaleuropäer über David Cameron niederging, dürfte er nicht sonderlich überrascht gewesen sein. Denn der britische Premierminister hatte seine "Europa-Rede" in London vor allem mit Blick auf die innenpolitischen und innerparteilichen Europa-Skeptiker gehalten. Dass die Ankündigung eines Referendums über Verbleib oder Austritt seines Landes bei den EU-Partnern keine Begeisterung auslösen würde, war ihm klar - und in Telefonaten von einigen Staats- und Regierungschefs auch angedeutet worden.

Doch was als genialer Streich geplant war, um die EU-Kritiker in den eigenen Reihen ruhig zu stellen, geht nicht nur nach Ansicht des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nach hinten los. Da half auch seine Beteuerung nicht, dass er persönlich Großbritannien in einer reformierten EU halten wolle. "Cameron ähnelt immer stärker einem Zauberlehrling, der die Kräfte, die er heraufbeschworen hat, nicht mehr zähmen kann", sagte Schulz. "Der Geist ist aus der Flasche", jubelt in seltener Übereinstimmung auch der Chef der nationalistischen britischen Unabhängigkeitspartei UKIP, die einen Austritt aus der EU anstrebt.

Seit Mittwoch ist für alle offensichtlich, dass die Züge in der EU mit immer größerem Tempo auseinanderfahren. Cameron machte nur ein Tag nach den 50. Jahrestag des Elysee-Vertrages klar, dass er weniger Europa will. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande kündigten dagegen eine noch tiefere Integration bis hin zur Politischen Union an. Sie wollen mehr Europa. Cameron führt sein Land dagegen bewusst an den äußerten Rand der EU - und vielleicht darüber hinaus.

So erinnerte Schulz daran, dass sich Großbritannien bereits heute aus der gemeinsamen Währung, dem Schengen-Abkommen, dem Fiskalpakt, nun auch der Bankenunion ausgeschlossen hat und auch nicht bei der neuen Finanztransaktionssteuer mitmachen wird. Nun sollen auch - von London mitbeschlossene - EU-Zuständigkeiten im Innen- und Justizbereich zurückgeholt und die EU-weiten sozialen Rechte auf der Insel eingeschränkt werden. Was bleibt, ist das, was Cameron als eigentlichen Grund für die britischen Beitritt und Zugehörigkeit zur EU bezeichnet - der Binnenmarkt sowie gemeinsame Militäreinsätze.

Das Problem für Cameron: Er ist mehrfach auch von wohlmeinenden EU-Partnern und übrigens auch der US-Regierung gewarnt worden, dass die "Rosinenpickerei" den britischen Interessen schaden wird. Wirtschaftsverbände auf der Insel und auf dem Kontinent warnten am Mittwoch erneut vor Investitionsunsicherheit bis zum Referendum, das erst nach 2015 abgehalten werden soll.

Cameron hat sich zudem bereits mehrfach verschätzt, wer den britischen Weg an den Rand EU eigentlich mitgehen will. Zwar äußerte etwa der tschechische Ministerpräsident Sympathie für die geforderte "flexiblere und offenere" EU. Aber Tschechien ist auch das einzige Land neben Großbritannien, das beim Fiskalpakt nicht mitmacht. Alle anderen distanzieren sich. Denn Großbritannien gilt immer mehr als unsolidarisches EU-Schmuddelkind. Im Grunde gibt derzeit nur noch eine politische Schlacht, die die EU-Nettozahler gemeinsam mit London schlagen wollen oder besser müssen - das ist die Verabschiedung des EU-Finanzrahmens bis 2020.

Das ist auch einer der Gründe, warum Merkel so zurückhaltend reagierte. Die Kanzlerin weiß, dass sie die Zustimmung Londons für einen Durchbruch beim EU-Sondergipfel am 7. und 8. Februar braucht. Bei einem Veto droht das Scheitern des siebenjähriges Finanzrahmens.

Der zweite Grund für die nachsichtige Reaktion auf die Cameron-Rede ist aber, dass Merkel in einer ähnlichen Situation steckt wie Kanzler Ludwig Erhard vor fast 50 Jahren nach der Verabschiedung des Elysee-Vertrages. Auch dieser fürchtete zu enge Umarmungsversuche des meist sehr staatswirtschaftlich denkenden französischen Nachbarn. Hollande macht wie schon sein Vorgänger Nicolas Sarkozy auch keinen Hehl daraus, dass er auf eine engere Zusammenarbeit vor allem in der Euro-Zone pocht. Das nach Freihandel strebende, Richtung USA schielende und die riesigen EU-Agrarausgaben kritisch betrachtende Großbritannien stört dabei nur. Frankreich Außenminister Laurent Fabius stichelte am Mittwoch sogar, man werde den Briten für den Austritt den "roten Teppich" ausrollen. Gerade die schwarz-gelbe Bundesregierung wünscht dagegen London als wirtschaftsliberales Gegengewicht zu Frankreich in der EU.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel