Ehrgeizige Pläne

China will bis spätestens 2049 erste Weltmacht werden

07.11.2023

Den vom chinesischen Staatschef Xi Jinping verfolgten Kurs zur führenden Weltmacht hat das "Expertenforum" der Zeitschrift "Der Pragmaticus" am Montagabend im Wiener Museumsquartier behandelt. 

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© Mark Schiefelbein
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 Zum Thema "Ist China noch zu bremsen?" diskutierten vier Außenpolitik- und Wirtschaftsspezialisten. Laut dem Ökonomen Harald Oberhofer hat das Land das Ziel, spätestens im Jahr 2049 "Nummer Eins in der Welt zu werden und die Vormachtstellung der USA zu beenden".

2049 feiert die Volksrepublik China ihr 100-Jahr-Jubiläum. Pekings Führung wolle beweisen, dass "die Kombination aus staatsgesteuerter Marktwirtschaft und autoritärer Gesellschaftspolitik der westlichen Demokratie überlegen ist", sagte der Ökonom am Wirtschaftsforschungs-Institut (Wifo) und Professor für Empirical Economics an der WU Wien.

Velina Tchakarova, Sicherheitspolitik-Expertin in Wien, betonte eine feste Allianz aus China und Russland mit dem Ziel, "eine neue Weltordnung nach ihren Vorstellungen zu schaffen", wobei beide Staaten eine "geopolitische und geoökonomische Konvergenz" gefunden hätten. Sogar manche Regionen der Welt wären schon aufgeteilt worden. So habe Russland die Einflusszone Chinas im Indopazifischen Raum anerkannt. Umgekehrt respektiere China den Machtanspruch Russlands in Europa. Beim Krieg Russlands gegen die Ukraine sei China längst nicht mehr neutral wie offiziell von der Führung in Peking behauptet werde. So gingen die neuen Munitionslieferungen aus Nordkorea an die russische Armee über China, das "längerfristig auch direkt Waffen an Russland" schicken könnte, nicht wie jetzt bloß "dual use"-Güter, wie etwa Chips, die man für zivile und militärische Zwecke einsetzen kann.

Hohes Risiko

Michael Paul, Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und Autor mehrerer Bücher über China, wies auf einen militärischen Wandel hin. Pekings Führung strebe eine Kontrolle des südlichen indo-pazifischen Raums an und habe sich deshalb militärisch zu einer "hybriden Land- und Seemacht" entwickelt. China verfüge bereits mit 356 Kriegsschiffen doppelt so viele wie die USA, aber noch blieben die Vereinigten Staaten die wichtigste Seemacht, weil dort das Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen besser funktioniere. Einen militärischen Angriff auf Taiwan werde Chinas Führung vorläufig "wegen des hohen Risikos und Blutzolls" nicht wagen, so Paul.

Für dieses Ziel würde auch Chinas Handelspolitik eingesetzt, etwa durch Investitionen in Afrika, durch den Handel mit Südamerika und das Projekt der "Neuen Seidenstraße" mit Investitionen in Zentralasien bis nach Europa. So kaufte China den griechischen Hafen von Piräus und wollte auch beim Hamburger Hafen einsteigen. Im Gegenzug für Investitionen in die Infrastruktur - etwa die Hochgeschwindigkeits-Eisenbahn in Kenia - würde sich China Schürfrechte auf wichtige Rohstoffe in afrikanischen Ländern sichern. China habe vom Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 stark profitiert. Aber die WTO sei durch die Einstimmigkeit nicht mehr handlungsfähig. China sei auch nicht bereit, den Status als Entwicklungsland in der WTO aufzugeben, weil es damit Auflagen für Umwelt und Industrieausbau akzeptieren müsste.

Der Unternehmer Michael von Liechtenstein, Herausgeber des Magazins "Der Pragmaticus", das in seiner Novemberausgabe Chinas Aufstieg eine Titelgeschichte widmet, verwies auf Krisen im Reich der Mitte: China benötige dringend ausländische Direktinvestitionen, um aus der gegenwärtigen wirtschaftlichen Flaute zu kommen. Die Inlandsnachfrage gehe zurück, viele Provinzen seien hoch verschuldet und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit sei stark gestiegen. Dazu drohe eine riesige Immobilienblase zu platzen. Die KP-Führung habe angekündigt, auch die Finanzindustrie stärker durch die Partei kontrollieren zu wollen. All dies würden bei ihm Zweifel ansteigen lassen, ob China laut Prognose bereits 2030 tatsächlich die USA als Wirtschaftsmacht überholen könne.

Schrumpfende Bevölkerung

Experte Michael Paul verwies auf die sinkenden Geburtenzahlen in China und dadurch schrumpfende Bevölkerung. "China wird alt, bevor es reich wird." Laut UNO-Prognose geht die Bevölkerung Chinas von 1,4 Milliarden (2021) bis zum Jahr 2100 um die Hälfte zurück. China verfolge den Anspruch, "eine sinozentrische Welt nach eigenen Vorstellungen zu schaffen", so Paul.

Liechtenstein sieht Chinas Vormachtstellung in der Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) nicht als dauerhaft an. Dieser Staatengruppe gehörten inzwischen auch neue Länder an, die sich nicht mehr von den USA oder Europa dominieren lassen wollten, aber auch nicht von China.

In der Einschätzung von Michael Paul gelte in China "das Recht des Stärkeren." Daher würden alte, auf westlichen Grundwerten basierende Strukturen wie die UNO auf wachsenden Widerstand stoßen, weil dort eine Gewichtung der Stimmen, die auf kleinere Staaten Rücksicht nehme, vorgenommen werde. "In China herrscht dazu eine ganz andere Denke", so Paul. Derzeit versuche Peking, auch Teile der Arktis und Antarktis für sich zu reklamieren. "Man kann China nicht stoppen." Die von der EU angewandte Methode, anstelle der Entkopplung das "De-Risking" - also eine Minderung der Risiken durch Diversifizierung der Handelsströme - anzuwenden, sei nicht zielführend. Derzeit steige etwa das Handelsdefizit Deutschlands mit China weiter an. "Die De-Risking-Strategie wird das gleiche Schicksal erleiden wie 'Wandel durch Handel' mit Russland", so Paul.

Tchakarova sieht beim Aufstieg Chinas auch eine Schuld der westlichen Welt. Trotz der 20 Jahre lang andauernden Präsenz der USA in Afghanistan seien dort keine nennenswerten Infrastrukturprojekte verwirklicht worden. Jetzt mache China das über Kontakte zur Taliban-Regierung und sichere sich Zugriff auf seltene Erden. Auch in Afrika hätten die USA und die EU wenig investiert, zum Teil auch mit Rücksicht auf die koloniale Vergangenheit.

Indien komme eine "Brückenbauer-Funktion" beim Verhältnis des Westens zu China zu. Denn trotz militärischer Grenzkonflikte mit China verfüge Indien, das China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt hat, über gute politische und wirtschaftliche Kontakte zu China.

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