Der Linkspolitiker ruft die zerstrittene Oppositionspartei zur Einheit auf.
Der in der eigenen Unterhaus-Fraktion umstrittene Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn ist mit großer Mehrheit als Chef der britischen Oppositionspartei im Amt bestätigt worden. Labour verkündete am Wochenende auf dem Parteitag in Liverpool das Ergebnis der Urwahl, wonach Corbyn satte 61,8 Prozent einfuhr. Der 67-jährige Parteilinke rief die zerstrittene Partei zur Einheit auf
Doch der erbitterte interne Konflikt dürfte so schnell nicht lösbar sein. Corbyn konnte sein Ergebnis im Vergleich zu seiner ersten Wahl im September 2015 noch einmal steigern. Damals war er mit einem Anti-Sparprogramm-Kurs und der Ablehnung von Atomkraft angetreten und hatte 59,5 Prozent erhalten. Sein einziger Herausforderer war diesmal Owen Smith, der bei der Urwahl auf 38,2 Prozent der Stimmen kam.
"Reinen Tisch machen"
"Wir haben viel mehr gemeinsam, als uns trennt", sagte Corbyn dann nach der Bekanntgabe des Ergebnisses unter dem donnernden Applaus seiner Anhänger in Liverpool. Jetzt komme es darauf an, die Kräfte auf Opposition gegen die neue konservative Premierministerin Theresa May zu konzentrieren. "Arbeiten wir gemeinsam für einen echten Wandel!" Die Partei müsse "reinen Tisch machen" und sollte einen Schlussstrich unter den Streit der vergangenen Monate ziehen. Corbyn sitzt seit 1983 für Labour im Parlament. Die Basis und die Gewerkschaftsseite stützen ihn, in der Fraktion ist er allerdings unbeliebt.
Am Sonntag bekräftigte Corbyn im Gespräch mit dem Sender BBC, er wolle seinen Kritikern die Hand reichen. "Mehr Macht für die Mitglieder, mehr Macht für Unterstützer", das wolle er. Nur so könnten politische Maßnahmen ergriffen werden, "die von der ganzen Partei unterstützt werden".
Ausweg aus Führungskrise
Die Urwahl war angesetzt geworden, um einen Ausweg aus der seit Monaten anhaltenden Führungskrise zu finden. Viele Abgeordnete fürchten, dass Labour mit dem linksgerichteten Corbyn an der Spitze nicht an die Macht zurückkehren kann. Die Moderaten warfen Corbyn zudem vor, sich vor dem Brexit-Referendum Ende Juni nicht entschieden genug für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt zu haben.
Nach dem Votum der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union im Juni hatte der Unmut der Abgeordneten zu einem Putschversuch gegen Corbyn geführt. Obwohl ihm die große Mehrheit der Fraktion das Vertrauen entzog, verweigerte er den Rücktritt. Dutzende Schattenminister liefen davon. Unter den Parlamentariern geht die Angst um, mit Corbyn seien keine Wahlen zu gewinnen. Es gilt in London als nicht ausgeschlossen, dass Premierministerin May im kommenden Jahr Neuwahlen ausruft.
Deutlicher Linksschwenk
Die Wiederwahl Corbyns markiert nun einen deutlichen Linksschwenk der Partei und eine Abkehr vom Zentrumskurs ihres früheren Vorsitzenden Tony Blair, der "New Labour" 1997 nach 18 Jahren in der Opposition wieder an die Macht brachte.
So gespalten die Partei ist, so unterschiedlich waren auch die Reaktionen auf Corbyns Wiederwahl. "Zeit für Einheit", twitterte etwa der Parteirechte Hilary Benn, dessen Rückzug als Schatten-Außenminister kurz nach dem Brexit-Votum einen Domino-Effekt ausgelöst hatte. Berichten zufolge könnte ein Dutzend der zurückgezogenen Mitglieder des Schattenkabinetts aber nun zurückkehren. Auch weitere moderate Abgeordnete akzeptierten Corbyns Wahl und unterstützten seinen Ruf nach Einheit.
Führungsqualitäten
Parry Mitchell, Mitglied des Oberhauses, gab hingegen am Sonntag demonstrativ sein Parteibuch ab und erklärte, die Partei sei ein "hoffnungsloser Fall". Corbyn habe "keine Führungsqualitäten". Die Bildungspolitikerin Lucy Powell sagte der Wochenzeitung "The Observer", die Partei sei "gespaltener" denn je. Der Labour-Innenpolitiker Andy Burnham rief Corbyn dazu auf, um Unterstützung in der breiten Öffentlichkeit zu werben. Der Erfolg könne nicht an der Größe der Mitgliederzahl oder von Kundgebungen festgemacht werden, sagte er der BBC.
Der Erfolg Corbyns ist tatsächlich nicht zuletzt den 300.000 Mitgliedern zu verdanken, die seit vergangenem Jahr der Partei neu beigetreten sind. Damit hat sich die Mitgliederzahl von Labour praktisch verdoppelt.
Viele britische Medien beurteilen die Wiederwahl Corbyns skeptisch. Es gehe um die Zukunft der Labour Party, "falls sie eine hat", meinte ein BBC-Moderator.