Eskalation oder Versöhnung?

Das sind die Folgen des Ja-Votums in der Türkei

17.04.2017

Auch für Europa hat der Ausgang des Referendums Folgen.

Zur Vollversion des Artikels

This browser does not support the video element.

Zur Vollversion des Artikels

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den umstrittenen Volksentscheid über die Stärkung seiner Macht laut Wahlkommission mit 51,4 Prozent der Stimmen knapp für sich entschieden.

© APA

Die Opposition zog am Sonntag jedoch die Rechtmäßigkeit der Abstimmung in Zweifel und kündigte an, das Ergebnis anzufechten. In Istanbul gingen in der Nacht tausende Menschen aus Protest gegen Erdogan auf die Straßen.



Wird die Verfassungsreform in der Türkei umgesetzt, wird sie nicht nur das Regierungssystem verändern, sondern auch Einfluss auf den Kurdenkonflikt, den EU-Beitrittsprozess und die wirtschaftliche Entwicklung haben.

Wie verändern sich die Machtverhältnisse?

Mit der Annahme der Verfassungsänderung werden die Befugnisse von Präsident Erdogan deutlich ausgeweitet. Durch die zusätzlichen Befugnisse wird seine Position künftig praktisch unangreifbar. Die Opposition warnt, dass mit der Reform Demokratie, Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet würden. Nach Inkrafttreten der Änderungen im November 2019 kann Erdogan zwei Mal wiedergewählt werden und bis 2029 an der Macht bleiben.

Was bedeutet das Ja für die Gesellschaft?

Erdogan hat versprochen, dass das Präsidialsystem der Türkei Stabilität und ein Ende des Terrors bringen würde. Zuletzt war aber unübersehbar, dass das Referendum zu einer beispiellosen Polarisierung der Gesellschaft geführt hat. Die Regierung hat die Nein-Anhänger als "Terroristen" diffamiert und die Ablehnung der Reform als Verrat am Land dargestellt.

Nach dem Referendum hoffen manche, dass Erdogan die Versöhnung sucht. Nachdem der versuchte Militärputsch vom 15. Juli seine Macht erschüttert hatte, könne er sich nun mäßigen - so die Hoffnung. Viele Gegner befürchten aber, dass er sich ermutigt fühlt, seine Kritiker endgültig zum Schweigen zu bringen, und auch die Todesstrafe wieder einführt. Letzteres stellte er am Sonntagabend in Aussicht.

Wie geht es nun im Kurdenkonflikt weiter?

Erdogan war der erste türkische Regierungschef, der Gespräche mit der PKK-Guerilla aufnahm. Nach ihrem Zusammenbruch im Sommer 2015 ging er aber mit großer Härte gegen die kurdischen Rebellen vor und schlug scharfe nationalistische Töne an. Auch die prokurdische HDP war massiven Repressionen ausgesetzt, ihre Führung sitzt seit Monaten im Gefängnis.

Nach dem Referendum könnte Erdogan eine Annäherung an die Kurden suchen, die für seine AKP eine wichtige Wählerbasis waren, bevor er durch sein hartes Vorgehen im Südosten viele Kurden verprellte. Es ist aber auch möglich, dass die Regierung eine neue Front gegen die PKK im irakischen Sinjar-Gebirge eröffnet.

Was verheißt das Votum für die Wirtschaft?

Erdogan verdankt seine Popularität ganz wesentlich dem wirtschaftlichen Aufschwung, den die Türkei in seiner Regierungszeit erlebt hat. Zuletzt verlangsamte sich aber das Wachstum, und Inflation und Arbeitslosigkeit erreichten ein besorgniserregendes Niveau. Auch der Verfall der Währung sorgte für Unruhe.

+++ Türkische Lira nach Erdogans Sieg im Aufwind +++

Die Märkte setzen darauf, dass das Land nach dem Referendum wieder zur Ruhe kommt. Ökonomen fürchten aber, dass ohne eine Rückkehr zum wirtschaftlichen Reformkurs und bei einem weiteren Abdriften des Landes in die Autokratie Investoren der Türkei den Rücken kehren und auch die Touristen nicht wiederkommen würden.

Welche Folgen hat das Ja-Votum für Europa?

Der Wahlkampf hat das Verhältnis zur EU auf einen Tiefpunkt sinken lassen. Nach den Nazi-Vorwürfen Erdogans im Streit um die Absage türkischer Wahlkampfauftritte lehnen immer mehr Europäer einen EU-Beitritt der Türkei ab. Zugleich hat Erdogan Europa als "verrottenden Kontinent" bezeichnet und angekündigt, das Verhältnis auf den Prüfstand zu stellen.

Erdogan hat zudem ein Referendum über den EU-Beitritt ins Gespräch gebracht und gewarnt, die Türkei könne sich anderen Ländern zuwenden. Allerdings ist die Türkei in hohem Maße von Europa abhängig, das ihr wichtigster Handelspartner ist. Auch erhält sie als EU-Beitrittskandidat Hilfen in Milliardenhöhe. Eine Abkehr von Europa hätte daher hohe Kosten.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel