Schlimme Befürchtung
Der Weg des Ölteppichs nach Europa
22.06.2010
Das Öl aus dem Leck vor der US-Küste könnte in den Golfstrom gelangen.
Im Golf von Mexiko sprudeln seit Wochen täglich Millionen Liter Öl weitgehend unkontrolliert ins Meer. Wissenschafter fürchten, dass die klebrige Masse in den Golfstrom gelangen und so bis nach Europa gelangen könnte.
Gefahr Golfstrom
Bereits jetzt sei das Öl in der Floridastraße,
das ist die Meeresenge zwischen dem US-Bundesstaat und Kuba, sagt Martin
Visbeck vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel. Anhand von
Strömungsmodellen hat der Wissenschafter zusammen mit US-Kollegen errechnet,
dass die schmierige Substanz mit rascher Geschwindigkeit in den Atlantik bis
auf die Höhe von North Carolina gelangen könnte. Die Strömung könnte die
Partikel seinen Berechnungen zufolge am Tag 150 Kilometer weit tragen. So
kann das Öl in den Golfstrom gelangen, wo die Geschwindigkeit mit 15
Kilometern am Tag allerdings deutlich abnehmen dürfte.
Der Golfstrom ist eine Art Warmwasserheizung für Europa, das Wasser kommt aus der Karibik über den Atlantik. Die Strömung könnte das Öl theoretisch bis an deutsche Strände spülen. "Niemand kann das ausschließen", sagt die Ozeanographin Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.
Horror für Europa?
Ein Horror-Szenario für Europa mit
verklebten Stränden und verschmutzen Vögeln halten Wissenschafter jedoch für
unwahrscheinlich. "Die Chancen, dass große Mengen bis nach Irland,
England oder sogar Deutschland weitertransportiert werden, sind äußerst
gering", sagt Nuno Serra, physischer Ozeanograph an der Universität
Hamburg.
Forscher schätzen, dass das Öl jedoch stark verdünnt in ein bis drei Jahren nach Europa gelangen könnte - abhängig von Wind, Wellen und Strömung. Nordeuropa wäre nach Einschätzung von Serra kaum gefährdet - am ehesten könnte es Portugal, Spanien und Marokko treffen. "Noch ist die Chance höher, dass Ölverschmutzungen durch Schiffs- oder Plattformunfälle entstehen, als dass große Mengen aus den USA rüberschwappen", ergänzt Boetius.
Entwarnung für Ökosystem
Durch chemische
Zersetzungsprozesse verliert das Öl den Wissenschaftern zufolge über solche
Zeiträume einen Teil seiner Giftigkeit. "Für das europäische
Ökosystem kann ich komplette Entwarnung geben", sagt Visbeck. Im
Nordatlantik könnten ein oder zwei Fischarten betroffen sein. "Ganze
Schwärme werden aber auch dort nicht aussterben."
Dass die Öko-Katastrophe in Europa wohl ausbleiben wird, hängt mit der Art der Umweltverschmutzung zusammen. Das Öl läuft nicht aus einem leckgeschlagenen Schiff aus, sondern sprudelt in 1.600 Metern ins Meer. Ein Teil des Öls bleibt in der Tiefe und kommt nicht an die Oberfläche. Was die Amerikaner beunruhigt, ist für Europäer eine Entlastung. Die Zersetzung geschieht dort langsamer, was die Aussichten für die US-Küste verschlechtert. Für Europäer sind das jedoch in dem Sinne gute Nachrichten, als dass sich Wasser in der Tiefe deutlich langsamer bewegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Öl zum Großteil im Golf von Mexiko bleibt, ist größer.
"Wissen wir einfach nicht"
Viele Wissenschafter sind
mit Prognosen äußerst vorsichtig. Einige sagen ganz offen: "Vieles
wissen wir einfach nicht." Etwa, wie viel Öl in der Tiefsee bleibt. Der
Meeresforscherin Boetius zufolge darf in einem Umkreis von fünf Meilen um
die Unglücksstelle im Golf aus Sicherheitsgründen nicht geforscht werden.
Daher arbeiten die Wissenschafter nur mit groben Schätzungen. "Keiner
weiß wirklich, wie viel Öl im Meer ist", sagt Boetius.
Zudem ist nicht klar, wie viel Öl wirklich ins Meer strömt und wann der Energiekonzern BP es schafft, das Leck zu stopfen. "Am Anfang gab BP an, 600 Tonnen würden auslaufen, später war die Menge zehnmal so groß", klagt Boetius. Wie andere Forscher fragt sie sich, wie verlässlich die Angaben des Konzerns sind. Ungeachtet dessen sei für sie aber klar: Einen Badeurlaub an der Nordsee würde sie deswegen derzeit ganz sicher nicht absagen, sagte die Ozeanographin.