"Null-Bock-Horst"
Deutsche Pressestimmen zu Köhler-Rücktritt
01.06.2010
Der überraschende Rücktritt des Bundespräsidenten beschäftiget die Medien.
In den deutschen Zeitungen war am Dienstag der überraschende Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler das bestimmende Thema:
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Es hat wohl
noch nie jemand dem Amt des Bundespräsidenten so großen Schaden zugefügt,
wie es Horst Köhler an diesem Montag getan hat. Köhler hat die
Präsidentschaft dieses Landes nicht bedächtig niedergelegt, etwa weil ihn
Krankheit oder ernste Umstände im Familienkreise dazu gezwungen hätten.
Nein, er hat das höchste Amt im Staate hingeworfen, weil er beleidigt ist.
Er ist darüber beleidigt, dass ihm, der er immer auch ein politischer
Bundespräsident sein wollte, politische Kritik entgegengeschlagen ist.
Köhler, angeblich ein Mann mit festem konservativen Wertekanon und
ausgeprägtem Pflichtgefühl, wirkt im Moment wie ein Sponti: der
Null-Bock-Horst. Man war garstig zu ihm und jetzt mag er nicht mehr
mitspielen. Leider ist das Ganze kein Spiel, sondern ein Fußtritt für jenes
Amt, das alle Deutschen repräsentieren soll."
"Financial Times Deutschland" (Hamburg):
"Die
wichtigste Aufgabe der Bundesregierung ist nun, den Schaden durch Köhlers
Coup zu begrenzen, indem sie einen Nachfolger von unbestreitbarem Format
auswählt. Dass diese heikle Mission ausgerechnet Angela Merkel und Guido
Westerwelle zufällt, ist eine bittere Ironie der Geschichte. Denn diese
beiden waren es auch, die im Jahr 2004, damals noch als Oppositionsführer,
stärkere und politisch erfahrenere Kandidaten verhindert haben. In Köhlers
Rücktritt rächt sich das zentrale Element Merkel'scher Personalpolitik:
niemanden neben, über oder direkt unter sich zuzulassen, der ihr auch nur im
Entferntesten gefährlich werden könnte. Bei der Auswahl eines Kandidaten
oder einer Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten sollte Merkel
diesmal radikal andere Kriterien anlegen. Das Land braucht eine
Persönlichkeit in Schloss Bellevue, die dem obersten Staatsamt seine Würde
zurückgeben kann. Einen Menschen, der von einer breiten Öffentlichkeit
verstanden wird, ohne dem Volk bloß nach dem Maul zu reden."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung":
"Köhlers Rücktritt
trifft die Republik und insbesondere die Bundesregierung sowie deren
tragende Säulen CDU, CSU und FDP in einer Zeit der Schwäche: Von der
Euro-Krise bis zu den Verwerfungen des Regierungsprogramms und weiter zu den
personellen Entscheidungen in Nordrhein-Westfalen und Hessen - nirgends gibt
es Stabilität und Sicherheit, überall ist alles so stark im Fluss wie an der
Oder. Halten die Deiche, die Schwarz und Gelb um ihre Macht vor gar nicht
langer Zeit errichtet zu haben glaubten - wozu auch die Wiederwahl 'ihres'
Bundespräsidenten Köhler gehört hatte? Wahrscheinlich ist nur eins: Die
Berufspolitiker aller Parteien werden so schnell nicht noch einmal den
Versuch mit einem Quereinsteiger im (partei-)politischen, auch
parlamentarischen Sinne wagen."
"Tagesspiegel" (Berlin):
"Deutschland erlebt somit
eine vierfache Einmaligkeit. Erstens: Nie ist eine Bundesregierung
schlechter gestartet und auch nicht besser geworden über die Monate. Das
Land wird unter seiner Bedeutung regiert. Zweitens: Nie war Deutschland, an
der Spitze seine Kanzlerin, isolierter und schlechter angesehen, was seine
Positionen und seine Stellung in Europa betrifft. (...) Drittens: Nie war
ein Außenminister und Vizekanzler einflussloser und zugleich unbeliebter.
Dazu kommt nun viertens der so noch nie dagewesene Rücktritt eines
Bundespräsidenten. Deutschland wirkt destabilisiert - ausgerechnet in der
größten Krise seit 60 Jahren (...)."
"tageszeitung" (Berlin):
"Der Rücktritt von Horst
Köhler macht plastisch, in was für einem zerrütteten Zustand sich die
Regierung befindet. Wenn zum zweiten Mal in der bundesdeutschen Geschichte
ein Präsident hinschmeißt, geht es nicht allein um die Frage, ob Köhler die
Kritik an seinen Äußerungen zum Krieg unangemessen fand. Denn diese
Begründung wirkt allzu beleidigt, sie überzeugt nicht. (...) Wofür also
steht dieser Rücktritt? Zunächst drückt sich in ihm Köhlers emotionale,
nahezu unpolitische Haltung zum - zumindest nominell - höchsten Amt im
Staate aus. (...) Anstatt sich zu positionieren, wirft Köhler hin. Dieser
mangelnde Respekt vor dem Amt, um mit Köhler zu sprechen, ist einer der
Gründe dafür, dass einen der Rücktritt fassungslos zurücklässt."
"Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf):
"Köhlers
Hinwerfen wirkt wie eine kurzfristige, hilflose und beleidigte Reaktion,
weil er nach missverständlichen Äußerungen zur Rolle der Bundeswehr massiv
in die Kritik geriet. Doch muss das nicht jemand, der Deutschland
repräsentieren will, aushalten? Ein Berufspolitiker hätte das weggesteckt.
Doch Horst Köhler hat als ehemaliger Beamter und Chef des Internationalen
Währungsfonds wenig Erfahrung mit solchen Attacken. Vielleicht ist das die
Kehrseite der guten Idee, einen Nicht-Politiker zum Bundespräsidenten zu
machen."
"Berliner Morgenpost":
"Köhler hat sich und dem Amt mit
seinem Rücktritt keinen Gefallen getan. In dem umstrittenen Interview hatte
er begrüßt, dass in Deutschland über den Afghanistan-Einsatz immer wieder
auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Ebenso skeptisch und mit
Fragezeichen darf man auch über den Präsidenten und seine Sätze diskutieren.
Nicht jede Kritik, oder unterlassene Hilfeleistung seitens der Kanzlerin,
bedeutet automatisch mangelnden Respekt. Ein Präsident muss Debatten
aushalten, selbst wenn sie mal eine Weile gegen ihn laufen. Zumal der Redner
Köhler auch nicht nur mit Wattebäuschen warf, sondern manches rhetorische
Monster zum Zwecke des medialen Aufruhrs gebar. Was bleibt, ist das
Befremden, mit welcher Leichtigkeit sich der höchste Repräsentant des Landes
aus dem Staub macht."