Entgegen der ursprünglichen Planungen ist der deutsche CDU-Chef Friedrich Merz am Donnerstag doch nicht zum Treffen der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP nach Brüssel gereist.
Dort wollte er sich eigentlich wie vor zwei Wochen mit den EVP-Regierungschefs über die Linie auf dem EU-Gipfel abstimmen - und als erwarteter nächster deutscher Kanzler Flagge zeigen. Aber nun hat er die Verhandlungen über eine Koalitionsbildung in Berlin doch als wichtiger erachtet.
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Das hängt nach Einschätzung aus der Union vor allem mit dem Unmut in den eigenen Reihen zusammen. Er wolle zeigen, dass er sich um die Gespräche zwischen CDU, CSU und SPD kümmert.
Grummeln in den eigenen Reihen
Unter Unions-Anhängern hält sich hartnäckig die Einschätzung, der CDU-Chef habe das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen vor allem der SPD zugestanden. Deshalb müssten CDU und CSU nun besonders hart verhandeln, grummeln zahlreiche Unions-Politiker. Gerade der konservative Flügel der Union fordert ein Zeichen beim Symbolthema Migration. Tatsächlich hatte CDU-Chef Merz schon vor der Abstimmung über die Lockerung der Schuldenbremse und das Sondervermögen betont, dass nun der Konsolidierungsdruck im Haushalt erst recht steige und man klare Beschlüsse brauche.
Allerdings: Der Druck und die über Medien gespielte Unzufriedenheit mit der harten Haltung der SPD etwa beim Thema Zurückweisungen an der Grenze ändern nichts an der Ausgangslage. Merz kann nur Kanzler und die CDU nur Kanzlerpartei werden, wenn sich Union und SPD einigen und ein Koalitionsvertrag auch das geplante Mitgliedervotum bei den Sozialdemokraten übersteht. Im Übrigen hatten auch die CDU-Ministerpräsidenten auf das Sondervermögen gepocht, das 100 Milliarden Euro Bundesmittel für Länder und Kommunen vorsieht. "Deshalb sind über die Medien gespielte Aussagen über angebliche Blockaden mit Vorsicht zu genießen", heißt es bei der SPD. Bei den moderaten Unterhändlern der Union klingt dies ähnlich.
Kein Zeitdruck - oder doch?
Eigentlich wollte Merz bis Ostern eine Regierung gebildet haben. Aber angesichts des erwähnten Drucks zu "gründlichen Verhandlungen" ist dies nicht mehr in Stein gemeißelt. "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", betonte der Kanzlerkandidat schon zweimal nachdrücklich. Denkbar, so heißt es nun in Verhandlerkreisen, wäre auch eine Regierungsbildung und Kanzler-Vereidigung Anfang Mai. In der SPD ist man offen - verweist aber darauf, dass der auf zehn Tage geschätzte Zeitraum für die Mitgliederbefragung nicht ganz in den Osterferien liegen dürfe. Hinter den Kulissen wird derzeit über den 23. April oder aber einen Termin zwei Wochen später gesprochen.
Schwierige Themen bleiben für die Chefs
Die Fachpolitiker, die gerade in 16 Arbeitsgruppen verschiedene Themen beackern, haben klare Ansagen bekommen: Sie sollen so viel wie möglich unter sich klären und Einigungen erzielen. Aber es war von Anfang an klar, dass die bis Montag strittigen Themen an die nächste höhere Ebene von CDU, CSU und SPD weitergegeben werden. In den Papieren, die die Arbeitsgruppen dann abgeben müssen, werden die strittigen Punkte in eckige Klammern gesetzt. "Es war von Anfang an klar, dass umstrittene Themen wie die Zurückweisung an den Grenzen, die Zusammenlegung von Ministerien oder die Bürgergeld-Reform nicht von den Fachleuten geklärt werden können", bremst ein Unterhändler der Union die Erwartungen an etwaige überraschende Durchbrüche zu diesem Zeitpunkt.
Dazu kommt, dass es wie bei allen Koalitionsverhandlungen inhaltliche Überschneidungen zwischen den Arbeitsgruppen gibt. Beim Lieferkettensorgfaltsgesetz etwa sehen sich mehrere Arbeitsgruppen berufen, eine Lösung zu finden. Bei den teilweise täglichen Rücksprachen mit den Leiterinnen und Leitern der Arbeitsgruppen wurde deshalb nun geklärt, dass sich auf Fachebene Koordinierungsgruppen über die Arbeitsgruppen hinaus zusammensetzen sollen. Dies gilt auch für Themen wie die angestrebte Reform des Heizungsgesetzes, Rüstungsexporte oder Sozialabgaben. Wenn sich dann die Chefs von CDU, CSU und SPD ab kommender Woche zusammensetzen, sollen alle Themen entscheidungsbereit aufbereitet sein.
Partner, aber keine Freunde
Anders als bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien ist die Distanz zwischen Unterhändlern auf der persönlichen Ebene teilweise groß. Spricht man mit den Unterhändlern der drei Parteien, dann erklärt auch dies das sehr unterschiedliche Tempo der Arbeitsgruppen. Die Abneigung vieler Politiker der bisherigen Kanzlerpartei SPD gegenüber der "Merz-Union" sei größer als 2021 die Distanz zu Grünen und FDP, heißt es bei den Sozialdemokraten. Man duze sich zwischen Union und SPD nicht automatisch. In der CDU wiederum hatten viele keinen Hehl daraus gemacht, dass sie lieber mit den Grünen koaliert hätten. Das Misstrauen gegenüber der SPD - und auch deren Verhandlungserfahrung - sei groß, meinen Unionspolitiker.
Allerdings müsse dies kein Nachteil sein, wird auf beiden Seiten betont: Denn die Beteiligten wissen diesmal, mit wem sie es zu tun haben. Angestrebt wird eine schwarz-rote Koalition als reine Zweckgemeinschaft. Das bilde eine viel realistischere Grundlage für die Regierungsarbeit als etwaige Freundschaften, die dann zu Fehlurteilen über angeblich gemeinsame Positionen führten.