"Adevarul": Erdogans Oster-Schachzug zur Verhöhnung Europas
Internationale Tageszeitungen kommentieren am Montag das Verfassungsreferendum in der Türkei.
Die Londoner "Times" schreibt:
"Dies ist ein trauriger Tag für die Verbündeten der Türkei und ein noch traurigerer Tag für die Türkei selbst, die die größte Volkswirtschaft im Nahen Osten ist sowie seine stärkste Militärmacht und seine kulturelle und geografische Brücke zum Westen. Erdogan hat einiges Gutes für sein Land getan. Als er 2003 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, erbte er einen Staat, der schon seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten zu Recht als kranker Mann Europas galt. Innerhalb von zehn Jahren zügelte er die Inflation der Lira, ordnete die Staatsfinanzen und liberalisierte die Märkte. (...)
Doch je mehr Erdogans Macht wuchs, desto despotischer setzte er sie ein. In den vergangenen vier Jahren war seine Herrschaft gekennzeichnet durch eine ungestüme und untaugliche Außenpolitik, eine Politik der Spaltung (im Inneren) sowie durch Verfolgungswahn. Seit er 2013 eine Welle von Protesten niederschlug, wobei elf Menschen umkamen, hat er mehr als ein Dutzend Abgeordnete und 80 Journalisten eingesperrt, 184 Medien geschlossen und er hat - nachdem er einen mysteriösen gescheiterten Putsch knapp überlebte - den Staat einer umfassenden Säuberung unterzogen. Das gestrige Referendum war die Kulmination und der Inbegriff dieser Entwicklung."
"El Pais" am Montag:
"Der Sieg des Ja beim Verfassungsreferendum in der Türkei ist eine schlechte Nachricht. (...) Damit positioniert sich die Türkei vor den Toren des Clubs der sogenannten "illiberalen Demokratien", will heißen: politischen Systemen, bei denen zwar regelmäßig gewählt wird, wo es aber keine Gewaltenteilung gibt und somit auch keine realen Möglichkeiten eines Machtwechsels oder der Informationsfreiheit, sondern stattdessen zusätzliche Einschränkungen der individuellen Freiheiten.
Die Schwelle zu überschreiten, würde die Türkei nicht nur auf einen Kollisionskurs mit der Europäischen Union führen - besonders, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt wird, wie Erdogan es in seiner Kampagne versprochen hatte - sondern auch innerhalb der Türkei eine Ära der Polarisierung und Konfrontation einleiten."
"La Stampa" (Rom):
"Der Staatschef, nun mit gesetzlich legitimierten Superkräften, sprach fast zwei Stunden (...), nachdem er seinen Sieg ausgerufen hatte, und Tausende Menschen stürmten auf die Straßen, um Yeni Türkiye, die neue Türkei, zu feiern. (...)
Die Türkei, über die man heute berichten muss, ist ein Land der vielen, meist nicht eingehaltenen Versprechen und der vielen Ambitionen, die weit über ihren eigentlichen Geltungsbereich hinausgehen. Aber sie ist auch eine Nation mit einem neuen Identitätsbewusstsein, in das sich neben dem rein ethnischen Ursprung mit den Jahren auch die Religion und eine Nostalgie für das Osmanische Reich (...) gemischt hat. Die ersten, die das ausbaden werden müssen, werden die Oppositionellen der neuen gesetzlichen Ordnung sein, aber auch die ethnischen Minderheiten wie die Kurden oder die religiösen Minderheiten wie die Aleviten, die Armenier, die Juden.
Die Türkei ist nicht länger Europa, kann Europa aber einen Stoß versetzen - und zwar einen gravierenden (...). Nach einem Moment der Hoffnung und der Öffnung haben sich die beiden Ufer des Mittelmeers voneinander entfernt, vielleicht unwiderruflich."
"Dernieres Nouvelles d'Alsace" (Straßburg):
"Trotz eines Wahlkampfs zu seinen Gunsten ist (der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan überhaupt nicht von einer starken Welle getragen worden. Es zeigt sich eine klare Spaltung der Wählerschaft in der Türkei - nach einem Referendum, das dominiert wurde von Furcht, Säuberungen, Aufrufen, sich hinter den "Reis" (Anführer) zu stellen, und der Drohung von Chaos. (...) Der große Bewunderer der Sultane wollte seine Macht an den Urnen legitimieren statt durch Brutalität. Das Ergebnis erscheint zwiespältig. (...) Erdogan sieht, dass ein großer Teil der öffentlichen Meinung ihm offen seine Feindschaft ausdrückt, und kann sich deshalb nicht zum Idol eines verzückten Volks ausrufen. (...) Wenn er im autoritären Fieber die Botschaft dieses Referendums nicht beachtet, wird er nicht nur die Türkei in einen dunklen Taumel führen. Er wird aus ihr einen weiteren inkohärenten Raum in dieser bereits instabilen Region machen."
"Adevarul" (Bukarest):
"Es ist unklar, ob - aber nicht ausgeschlossen, dass - Erdogan absichtlich für das Referendum den Tag ausgesucht hat, an dem die Christenheit die Auferstehung feiert, um damit Europa zu verhöhnen, aus dem er, der Sultan, jetzt anfängt, sein Land zurückzuziehen - mit der Zustimmung eines Teils der wahlberechtigten Bevölkerung. (...) Klar ist nur, dass ihm dieser Schachzug gelungen ist, obwohl die Opposition sagt, dass sie die Abstimmung anfechten wird. Und das Europa nicht erst ab 2019, sondern gleich ab Montag etwas anders aussehen wird. Mit der realen und besorgniserregenden Möglichkeit, dass dieses 'Anders' immer beängstigendere Dimensionen bekommt."
"24 Tschassa" (Bukarest):
"Die türkischen Wähler haben die Verfassungsänderungen unterstützt, die Staatspräsident (Recep Tayyip) Erdogan gewaltige Vollmachten geben. (.) In der Türkei hatte der Große Wesir schon im 14. Jahrhundert Funktionen, die den Funktionen eines heutigen Ministerpräsidenten entsprechen und war manchmal sogar mächtiger als der Sultan. (.) Erdogan wurde zum unbestrittenen Führer der Türkei gerade als Ministerpräsident von 2003 bis 2014. Nach seiner Wahl zum Präsidenten 2014 setzte er aber einen Umschwung in den politischen Sitten durch, indem er nicht zögerte, seinen Regierungschef Ahmet Davutoglu wegzuschieben, nachdem die Gegensätze zwischen ihnen zu stark wurden."