Die AKW-Laufzeit wird durschnittlich um 12 Jahre verlängert.
Durchbruch im monatelangen Atomstreit in Deutschland: Die Spitzen von Union und FDP haben sich auf längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke verständigt. Die 17 Atommeiler sollen im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz bleiben als bisher geplant - gestaffelt nach älteren und jüngeren Kraftwerken.
Das teilten Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) am Sonntagabend nach knapp zwölfstündigen Verhandlungen im Kanzleramt mit.
Milliarden für Öko-Strom
Im Gegenzug werden die Stromkonzerne mit Milliarden-Zahlungen auch für den Ausbau von Öko-Strom zu Kasse gebeten. Röttgen sprach hier von einem "substanziellen Beitrag" für erneuerbare Energien, Brüderle nannte einen Betrag von bis zu 15 Milliarden Euro.
Der im Kanzleramt ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass jüngere Kernkraftwerke - ab dem Baujahr 1980 - 14 Jahre länger am Netz bleiben als bisher geplant, ältere Meiler 8 Jahre zusätzlich. Das bedeutet, dass die letzten Kernkraftwerke voraussichtlich erst im Jahr 2040 vom Netz gehen.
Sreitpunkt ausgeräumt
Bisher gilt nach dem von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg eine Laufzeit von 32 Jahren. Danach wäre der letzte der 17 Atommeiler in Deutschland nach aktuellem Stand 2025 vom Netz gegangen. Mit der Einigung hat Schwarz-Gelb einen seiner größten Streitpunkte ausgeräumt.
Röttgen sprach von einem "großen Erfolg" für die langfristige Versorgung mit erneuerbarer Energie: "Der Fahrplan in das Zeitalter der erneuerbaren Energie ist aufgestellt." Es gebe dafür eine seriöse langfristige Finanzierung und ein energiepolitisches Gesamtkonzept für die nächsten Jahrzehnte.
Atomsteuer von 2,3 Mrd. pro Jahr
Brüderle nannte die Einigung ein gutes Konzept. Es würden in den nächsten Jahren 15 Milliarden Euro für die Öko-Energie "generiert". Der Umbau der Stromversorgung werde somit forciert. "Die Mühe hat sich gelohnt. Uns ist ein großer Wurf gelungen." Dies sei nicht nur wichtig für den Klimaschutz. Es gehe auch um die Technologieführerschaft Deutschlands, sagte Brüderle.
Von der Verlängerung unabhängig sollen die Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall ab 2011 eine Atomsteuer in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zahlen. Die umstrittene neue Steuer wird aber auf sechs Jahre befristet und bis einschließlich 2016 erhoben, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur. Mit den Einnahmen soll der Bund auch bei den Sanierungskosten für das Atommüll-Lager Asse entlastet werden.
Opposition drohte mit Verfassungsklagen
Zusätzlich sollen die Atomkonzerne einen Sonderbeitrag zum Ausbau von Öko-Strom leisten. Er beträgt jeweils 300 Millionen Euro in den Jahren 2011 und 2012. Von 2013 bis 2016 liegt er bei je 200 Millionen Euro.
Die Koalition geht davon aus, dass ihr Atomkonzept nicht vom Bundesrat gestoppt werden kann. Je länger die Meiler zusätzlich am Netz sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Länderkammer zustimmen muss. Die Opposition hat bereits mit Verfassungsklagen gedroht. Das letzte Wort dürfte wohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben.
Berlakovich: "Schwerer Rückschlag"
Mehrere hundert Atomkraftgegner begleiteten das Treffen vor dem Kanzleramt mit Vuvuzelas, Tröten und Trillerpfeifen. Die Veranstalter sprachen von etwa 2000 Teilnehmern. SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kündigten einen "heißen Herbst" an.
"Ohne Not bricht die Bundesregierung einen der größten gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder auf", sagte Gabriel. Sollte Rot-Grün wieder an die Macht kommen, werde eine Laufzeitverlängerung rückgängig gemacht. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte: "Wir erleben eine Beschädigung der Demokratie."
Als "Enttäuschung" und "schweren Rückschlag für erneuerbare Energien" bezeichnete Österreichs Umweltminister Niki Berlakovich (V) Sonntag Abend die Entscheidung der deutschen Regierung. Trotz der "enttäuschenden Entscheidung" Deutschlands will Berlakovich nach eigenen Angaben "nicht locker lassen" und sein Bemühen verstärken. "Es geht um maximale Sicherheit für die Bevölkerung und die intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen." Er setze auf erneuerbare Energien, "weil hier die Zukunft der Energieversorgung liegt".