USA

Ein Jahr "Sandy Hook"-Massaker

14.12.2013

Opfereltern trauern, doch der Ort will einfach nur vergessen…

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© Reuters
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Das Schild mit der Aufschrift "Sandy Hook School" ist weg, die Berge an Blumen, Karten und Teddybären der spontanen Gedenkstätten auch. Der Dickenson Drive in Sandy Hook (US-Staat Connecticut) ist abgesperrt mit ein paar Plastik-Leitkegeln, daneben ein rotes Schild: "Zufahrt nur für Baufahrzeuge". Und: "Unbefugter Zutritt verboten".

Hinter dieser Absperrung hatte am 14. Dezember 2012 Psychokiller Adam Lanza (†20) um 9:35 Uhr das Feuer eröffnet. Er schoss aus einem halbautomatischen Sturmgewehr 152 Kugeln ab, tötete 20 Erstklässler, sechs Frauen und sich selbst. Vor der Blutbad hatte er zu Hause noch seine Mutter Nancy getötet. Es das schlimmste Schulmassaker in der US-Geschichte, einer der schwärzesten Tage Amerikas.

Das Schulgebäude mit einst 450 Schülern (5 - 10) ist nun vollständig abgerissen. Ein mit Planen verhängter Zaun versperrt die Sicht auf den Tatort. Neben dem Feuerwehrhaus, an dem vor einem Jahr die Opferfamilien wie in Trance über den Tod ihrer Kinder oder Angehörigen erfuhren, werden jetzt Weihnachtsbäume verkauft: Der Lärm einer Kettensäge durchbricht die Stille.

Sandy Hook und das anschließende Newtown, der Ort der Tränen letzten Advent, begeht den Jahrestag des Blutbades in aller Stille, wie ein Besuch zeigt. Denn jede Kleinigkeit, “Triggers" (Auslöser), so die Einwohner, kehrt das Trauma wieder hervor: Die ersten Lebkuchenhäuser bringen Erinnerungen an einen friedlichen Advent zurück, der im blanken Horror endete, Sirenen von Einsatzfahrzeugen die Minuten des Schreckens, als dutzende Einsatzkräfte zur Schule rasten. Und der Anblick eines TV-Übertragungswagens schürt die Furcht, dass das 27500-Einwohner-Idyll am Jahrestag wieder von der Weltpresse überrollt werden könnte.

Mitten in all dem die Angehörigen, für die der Schmerz noch so roh und frisch ist wie am Tag des Massakers, wie mir Komponist Mark Barden erzählt. Sein Sohn Daniel (†7) kam um. "Ich kann einfach immer noch nicht glauben, dass mein kleiner Junge nicht mehr da ist", sagt er. Daniels Zimmer beließ die Familie so wie es war, als der fröhliche Junge mit den Zahnlücken und gelockten Haaren zum letzen Mal in die Schule ging. Das Spielzeug liegt noch am Boden, seine Kleidung in den Schubladen. Den Tischfußballtisch, an dem er so gerne drehte, hat niemand bisher angefasst.

Besonders schwer seien Feiertage: Thanksgiving, Halloween, sein Geburtstag natürlich."Es ist hart, diese Tage sind hart, der Sommer war hart, alles ist hart", beschreibt Mark den unendlichen Schmerz.

Die Bardens "flüchteten" bereits aus Sandy Hook während der Jahrestagswoche. Andere Eltern verlauteten, dass sie am Abend vor dem 14. eine Kerze anzünden wollen. Zur Erinnerung an die letzte Nacht im Leben der 26 Sandy-Hook-Opfer.

Newtown hingegen will vergessen. Die einzige kleine Gedenkstätte, eine Marmortafel mit den Namen der Opfern eingraviert, ist am Parkplatz hinter einer Kirche fast versteckt. Nichts soll "Trauer-Touristen" anlocken. "Es war ein langer Winter", erklärt Feinkostgeschäft-Manager Artie Preno (42) die Stimmung: "Dem ganzen Ort graut deshalb vor jeder Erinnerung". Begräbnisdirektor Daniel Honan sagt traurig, dass der Ort ein Anrecht habe, "privat zu trauern". Bis heute bekommt er die Bilder nicht aus dem Kopf: Er bereitete die meisten der so übel zugerichteten Kinderleichen für die Begräbnisse vor.
Die Bürgermeisterin Pat Llodra appellierte an die Medien: "Bitte, bleibt dem Ort fern!" Newtown durchlebe weiterhin eine schwere Zeit:: "Es gibt keine Notwendigkeit, uns zu erinnern, wir wollen das nicht nochmals durchmachen". Die ganze Stadt scheint einen Pakt abgeschlossen zu haben: Kaum wer redet mit Reportern. Vor der Kirche "St. Rose of Lima" prangen gleich sieben "No Media"-Schilder.

Es sind nur wenige Minuten mit dem Auto von der Schule zur Adresse 36 Yogananda Street. In dem hügeligen, bewaldeten Vorort mit Millionen-Villen steht das Anwesen von Nancy Lanza (†52). Ein zweistöckiges, typisches Neuengland-Holzhaus, dunkelgrüne Fensterverschläge, blassgelber Anstrich. Die Eingangstüre ist vernagelt, die Nebeneingänge ebenso. Dort war Killer Lanza im Herbst des Vorjahres immer tiefer in den mörderischen Wahn verfallen, tötete am Computer, fertigte Tabellen über Massenmorde an, schoss mit Luftpistolen. Die Fenster waren mit schwarzen Plastiksäcken abgedunkelt. Mit seiner Mutter verkehrte er nur mehr per Email. Bis er sie am Morgen des Massaker-Tages im Schlaf erschoss.

Es ist still vor dem Haus, Vögel zwitschern, das Laub raschelt in der leichten Windbrise. Ähnlich friedlich muss es noch gewesen sein, als Lanza ins Auto stieg und zur Sandy-Hook-Schule fuhr.
 

Mehr von unserem US-Korrespondenten Herbert Bauernebel finden Sie hier auf AmerikaReport.com

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