Ägypten

Ein Wiener führt die Revolution

31.01.2011

ElBaradei & Opposition wollen Mubarak stürzen. Generalstreik.

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© AP Photo/Khalil Hamra
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Die Proteste gehen weiter – das Volk Ägyptens fordert eine neue Führung. Mann der Hoffnung ist Mohammed ElBaradei, der Mann aus Wien.

Notstand in Ägypten
Zehntausende Protestierende widersetzten sich auch gestern der Ausgangssperre ab 15 Uhr. Sie laufen laut skandierend („Nieder mit Mubarak!“) durch die Straßen. Ziel: Der Tahrir-Platz – Zentrum des Volkszorns. Die Armee ist rund um den Platz postiert, hält sich aber zurück.

Schon untertags gibt es die ersten Zusammenstöße: Erneut versuchen Männer, in das Ägyptische Museum einzubrechen, um die unbezahlbaren Schätze zu zerstören. 15 werden verhaftet. Auch die Plünderungen finden kein Ende. Vor allem die reicheren Wohngegenden sind beliebte Angriffsziele.

ElBaradei bei Demos
In der Nacht zuvor widersetze auch ich mich dem Ausgangsverbot und marschiere mit den Demonstranten mit. In Massen strömen sie zum Tahrir-Platz: „Mubarak muss weg! Raus mit der korrupten Clique!“

Plötzlich kommt Unruhe auf. Ein kleiner Konvoi fährt vor. Mohammed ElBaradei (68), Ex-Chef der Atomenergiebehörde in Wien und Friedensnobelpreisträger, steigt aus. Offiziell steht er unter Hausarrest. Er kümmert sich nicht darum, hat ein klares Ziel: „Präsident Mubarak muss weg!“ Ägyptische Medien schweigen ihn tot, deshalb kommt er zu den Massen.

Er schnappt sich ein Megafon: „Mubarak muss das Land verlassen!“, ruft er den Massen zu. Dann ElBaradeis Aufruf: „Haltet durch, lasst den Druck der Straße nicht schwächer werden. Vielleicht dauert es noch mehrere Tage, aber Präsident Mubarak ist schon Geschichte!“

Bisher hat der Aufstand in Kairo keine tragende Figur. Der Wahlwiener Mohammed ElBaradei könnten diese Rolle übernehmen. Manche der Demonstranten sind noch skeptisch. „Er war zu lange in Österreich, kennt nur die internationale Szene, aber unsere Sorgen viel zu wenig!“ Aber was für ihn spricht: Als oberster Atom-Kontrollor war er nie ein Mann der Amerikaner.

Neustart
Als der 68-Jährige das bedrohliche Gedränge am Tahrir-Platz verlässt, gibt er Interviews, sagt: „Ich will nicht Präsident werden! Ich will nur, dass Mubarak aus dem Amt verschwindet. 30 Jahre sind genug, wir brauchen einen Neustart mit völlig neuen Kräften!“

Wie könnte das funktionieren? ElBaradei: „Zuerst eine sechsmonatige Übergangsregierung aus allen Gruppierungen, der ich gerne vorstehe. Dann sollen freie Wahlen auf Basis einer neuen Verfassung stattfinden.“

Auf die Frage, ob es im Hintergrund schon Gespräche mit der Armee und anderen Parteien gibt, sagt er: „Die Armee ist Teil des Landes, sie wird das auch in Zukunft sein.“

Armee beruhigt
Tatsächlich: Mit Spannung hatte man das Verhalten der Armee erwartet. Wann würde es die ersten Panzerschüsse geben? Doch die Streitkräfte, aus denen auch Diktator Mubarak kommt, erweisen sich als Faktor der Stabilität. „Unsere Präsenz auf der Straße ist für Euch und für Eure Sicherheit!“ appellierten sie Montagabend an die Aufständischen. Deren Forderungen seien für die Armee „legitim“. Und: „Wir werden niemals Gewalt gegen unser großartiges Volk anwenden.“

Nach der Demonstration verschwindet ElBaradei wieder in der Nacht. Fährt zurück in sein Haus im Stadtteil Giza. Weder Polizei noch Militär haben das Haus abgeriegelt: „Ich kann mich frei bewegen.“

Lesen sie mehr über Demonstrationsführer ElBaradei auf der nächsten Seite.

ElBaradei: Wahl-Wiener will Ägypten retten

Mohammed ElBaradei lebte bis vor einer Woche in Wien. Er will Ägypten in eine bessere Zukunft führen.

Mohammed ElBaradei. Der Name des Friedensnobelpreisträgers wird immer öfter im Zusammenhang mit einem neuen Machthaber in Ägypten genannt.

Wer ist der Mann, der auch nach seiner Ablöse als Chef der Atomenergiebehörde (IAEO) im November 2009 bis letzte Woche in Wien, in einer Wohnung im 1. Bezirk, gelebt hat und als Hoffnungsträger der Massenproteste in Kairo gilt?

Mit Kindergärtnerin verheiratet, zwei Kinder
ElBaradei wurde 1942 in Kairo als Sohn eines Anwalts geboren. Nach einer diplomatischen Laufbahn übersiedelte er mit seiner Frau Aida, einer Kindergärtnerin, und seinen beiden Kindern 1997 nach Wien, an die Spitze der IAEO. Im Oktober 2005 wurden der Ägypter und die in Wien ansässige Behörde für ihren Einsatz gegen Atomwaffen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seine Kinder leben inzwischen in London. Tochter Leila als Anwältin, Sohn Mustafa als Chef einer TV-Anstalt.

Vergangenen Donnerstag ist ElBaradei gemeinsam mit seiner Frau Aida aus Wien nach Kairo geflogen, um den Kampf gegen das korrupte Regime von Präsident Mubarak zu unterstützen. Trotz Hausarrests ging er wieder auf die Straße. Bilder vom Sonntag zeigen den schüchternen Mann im schlichten blauen Hemd und Blazer. Nun stellte er den Führungsanspruch und erklärte sich zum Wortführer der Opposition. „Der Wandel kommt!“, rief er ins Megaphon.

Viele sehen in ElBaradei den neuen starken Mann. Doch warum gilt der gebürtige Ägypter in seinem Land als glaubwürdiger Kandidat für eine Führungsrolle, obwohl er lange Zeit nicht im Land war?

Tarafa Baghajati, Obmann der „Initiative muslimischer Österreicher“, erklärt: „Er war nie ein Vertrauter Mubaraks, wurde auch nicht als Favorit einer neuen Regierung erwogen.“ Auch die Tatsache, dass die USA seinen Vertrag als IAEO-Chef nicht verlängern wollten, verleihe ihm Glaubwürdigkeit.

Eine Million Demonstranten gegen Mubarak: Lesen sie mehr auf der nächsten Seite.

Marsch der Million gegen Mubarak

Tag acht soll heute die machtvollsten Demonstrationen des Aufstands bringen.

Montag war der Tag der relativen Ruhe, heute, Dienstag, am 8. Tag der Revolution, soll es aber zur bisher machtvollsten Demonstration des Aufstands kommen.

Die Jugendbewegung 
„6. April“ hat zum „Marsch der Million“ in Kairo und Alexandria und ab 10 Uhr zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen.

„Wir werden so lange demonstrieren, bis Mubarak fällt“, hat die mächtige Muslim-Brüderschaft verkündet, die sich in den vergangenen Tagen endgültig auf die Seite der Opposition gestellt hat.

Regierungsumbildung
Gestern versuchte sich das Regime noch in kosmetischen Retuschen. Finanz- und Innenminister (er hatte Gummigeschoße und Tränengas gegen die Demonstrierenden eingesetzt) wurden ausgetauscht. In den staatlichen Medien wurde eine Erklärung im Namen Mubaraks veröffentlicht, „mehr Parteien am öffentlichen Leben zu beteiligen, mit dem Ziel, eine freie demokratische Gesellschaft zu schaffen“ – doch dieser Zug ist abgefahren.

Die Massen geben sich nicht mehr mit Reformen zufrieden – sie wollen die Revolution und den Kopf von Mubarak.

„Haut ab! Wir wollen, dass ihr sofort verschwindet“, skandierten die Demonstranten gestern auf dem Kairoer Tharir-Platz.
 

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