Pressestimmen

"Eine Ära ist zu Ende gegangen"

08.11.2006

Die Internetausgaben internationaler Medien kommentieren den Ausgang der US-Kongresswahl.

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"Spiegel Online" (Hamburg)
"Die Republikaner wissen jetzt, dass mit diesem Präsidenten keine Wahlen mehr zu gewinnen sind. Wer ihn beerben will, muss auf Distanz gehen. Die Chancen für den beliebten Senator John McCain sind durch das Wahlergebnis gestiegen. So umstritten der eigensinnige Bush-Gegenspieler bei der republikanischen Parteibasis ist - um 2008 nicht noch einmal zu verlieren, empfiehlt sich ein Kandidat der Mitte. (...) Der gestern wiedergewählte Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat seinen Triumph nicht zuletzt einer Kurskorrektur und einer Entschuldigung bei den Kaliforniern zu verdanken: Er habe "Fehler gemacht". Dieser Weg scheint für den starrköpfigen Bush nicht möglich. Zu fest glaubt er an seine historische Mission. Der Präsident will auf der Welt einen großen, mindestens Reaganschen Fußabdruck hinterlassen. Er sieht sich verpflichtet, die Grundlage für eine jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen dem Westen und islamischen Fundamentalisten zu legen."

"Die Welt" (Berlin)
"Es ist ein schmetternder Sieg über die Republikaner, und es ist das Ende der republikanischen Vorherrschaft in Washington. Ab heute regieren die Demokraten wieder mit. Die Gründe sind nicht nur der Irak-Krieg. Sie liegen tiefer. Die Wende zu den Demokraten begann präzise mit dem Fall Terri Schiavo im April 2005. Als der Wachkomapatientin in Florida auf Wunsch ihres Ehemannes die Nahrungszufuhr abgeschaltet werden sollte, inszenierten die Republikaner im Kongress einen nationalen Aufstand. Als die Richter hart blieben, trat der damalige Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, Tom DeLay, mit steinernem Gesicht ins Fernsehen und sagte, man werde die Richter " zur Rechenschaft ziehen". Es klang wie ein stalinistischer Diktator, und viele Amerikaner, auch republikanische, erschraken vor dem kalten Willen DeLays, in private Familien-Situationen einzugreifen. Der Politiker wurde als Speerspitze der fundamentalistischen Christen wahrgenommen. (...) Die Amerikaner waren solchen Extremismus satt. Sie wählten mit den Demokraten ein ausgleichendes Gewicht, sie suchten die Machtbalance."

"Süddeutsche Zeitung" (München):
"In dieser Nacht ist womöglich eine Ära zu Ende gegangen: Die Zeiten, da George W. Bush die Vereinigten Staaten allein mit seinen stets willfährigen Republikanern regieren kann, sind vorbei. (...) Der US-Präsident wird radikal umlernen müssen. Bisher regierte er seine Nation stramm von rechts, baute statt auf Kompromisse in der politischen Mitte lieber auf den Rückhalt seiner konservativen Basis. Diese Strategie ist nun gescheitert. Ein Aufstand vor allem parteiloser US-Wähler zwingt den Herrn im Weißen Haus, den Kongress endlich wieder ernst zu nehmen. Das ist ein Sieg weniger für die Demokraten als für die Demokratie selbst. (...) Diese Zwischenwahl hat sich als ein Volksbegehren gegen den nicht enden wollenden Militäreinsatz in der Wüste entpuppt. Niemand - weder in Washington, in den gesamten USA, in Europa oder in der Krisenregion selbst - weiß derzeit einen Ausweg aus dem Desaster in Saddams ehemaligem Schreckensreich. (...) Aber eine klare Mehrheit der Amerikaner fordert, dass es nicht einfach weitergehen kann wie bisher. Die Botschaft der vergangenen Nacht an den Präsidenten lautet: Hol unsere Truppen heim! So langsam wie eben nötig - aber so schnell, wie irgend möglich."

"Neue Zürcher Zeitung"
"Diese vorläufigen Ergebnisse der amerikanischen Zwischenwahlen sind keine Überraschung. Im sechsten Jahr einer Präsidentschaft verliert die Partei des Amtsinhabers gewöhnlich - das Protestpotenzial hat sich in dieser Zeit angesammelt und entlädt sich in einer Denkzettelwahl. Doch scheint diese Entscheidung nicht oder noch nicht die Wechselwahl von 1994 rückgängig zu machen, in der Clinton im zweiten Jahr seiner Präsidentschaft die demokratische Mehrheit im Haus verloren hatte. (...) Bemerkenswert am Wahlkampf war, dass die Demokraten - im Gegensatz zu den Republikanern des Jahrgangs 1994 - kaum eine konkrete Alternative zur Politik der andern Partei aufzeigten. (...) Was das für die nächsten zwei Jahre bedeutet, ist offen. Weder Bush noch Vizepräsident Cheney stehen zur Wiederwahl. Die Aussicht auf ein Wählerverdikt schränkt gewöhnlich den Spielraum von Präsidenten ein. Bush ist von dieser Last befreit. Nur die Sorge des Präsidenten um den viel zitierten "Platz in der Geschichte" könnte seine Handlungen beeinflussen. In der Außenpolitik könnte ihn dies dazu verleiten, die multilaterale Diplomatie der zweiten Amtszeit - Iran, Nordkorea - fortzuführen und sich damit begnügen, dass dieser Kurs bis zum Ende seiner Präsidentschaft keine größeren Ergebnisse bringt. Anderseits könnte er sich frei fühlen, Entscheidungen zu erzwingen im Bewusstsein, dass sein Nachfolger stärkeren politischen Beschränkungen unterliegt. In der amerikanischen Geschichte lassen sich für beide Verhaltensweisen Beispiele finden."

"The Guardian" (London)
"Letztlich war es, nach allgemeiner Ansicht, eine Wahlniederlage für George W. Bush und seinen Irak-Krieg. Nichts ist wichtiger für die Welt, als dass Amerika einen neuen Weg in seinen Beziehungen zu den Nationen, mit denen es den Planeten teilt, findet und beschreitet. Ein vorbereiteter Abzug aus dem Irak ist entscheidend für dieses notwendige Projekt und durch dieses Wahlen wahrscheinlicher geworden. Aber niemand sollte glauben, dass der Richtungswechsel schnell, entschieden oder leicht sein wird. Bush ist als Präsident eine lahme Ente, die einen unpopulären Krieg führt - aber es bleibt abzuwarten, ob er eine Wende der Irak-Politik selbst herbeiführen will oder dazu gezwungen wird. Vielleicht wird (Verteidigungsminister) Donald Rumsfeld seinen Rücktritt anbieten, wie es gerüchteweise in Washington heißt. Amerika hat in der Tat gesprochen. Ein Richtungswechsel, der Tages-Stehsatz der Demokraten, ist die klare Botschaft. Bush wäre verrückt, nicht darauf zu hören. Dennoch wird die Irak-Agonie nicht so bald enden."

"The Times" (London)
"Sie (die Demokraten) drängten die Republikanische Partei auf ihre südliche Hochburg zurück und stellten damit die gängige Einschätzung der US-Politik auf den Kopf, dass die Republikaner eine landesweit verankerte Partei seien, die überall gewinnen kann, während die Demokraten weitgehend eine Partei der Eliten an den beiden Küsten und in einigen urbanen Regionen in der Landesmitte seien. Die Republikaner werden nun nicht nur intensiv über den Irak nachdenken müssen, sondern auch über ihre Positionierung für 2008.... Aber auch für die Demokraten gibt es Fallgruben. Die Partei muss nun de facto mitregieren - und Verantwortung übernehmen, wenn etwas schief läuft. Diese bemerkenswerten Wahlen werden für einige Zeit das letzte Mal gewesen sein, bei dem das amerikanische Volk nur eine Partei für seine Probleme verantwortlich machen konnte."

"Le Figaro" (Paris)
"Der Irak-Krieg dürfte nun Gegenstand einer wilden parlamentarischen Schlacht werden. Die Demokraten können Untersuchungsausschüsse über die Kriegsführung einsetzen und im Extremfall gegen weitere Kredite zur Finanzierung dieses Krieges stimmen. Präsident George W. Bush behält seinerseits eine andere parlamentarische Waffe: sein Vetorecht."

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