Unter Deckmantel "Staatssicherheit" nimmt die Zensur weiter zu.
Drohungen, Geldstrafen, Internetzensur: Die Türkei ist darin geübt, Medien, die über heikle, die Regierung betreffende Fälle berichten, einen Maulkorb zu verpassen. Der Zeitung "Hürriyet" zufolge sind 150 Berichterstattungsverbote in den letzten vier Jahren erfolgt.
Über die Geiselnahme in Mosul im Juni durch den Islamischen Staat (IS) wurde ein Schreibverbot verhängt. Die Berichte über die Waffentransporte nach Syrien unter Begleitung des türkischen Geheimdienstes im Februar fielen der Zensur zum Opfer. Auch die Berichterstattung über die Terrorattacke im türkischen Reyhanli im Vorjahr mit 52 Toten wurde mit einem Medienbann belegt.
Im Zuge der Abhörskandale, die mit den Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung ans Tageslicht schwappten, wurden nicht nur die Medien geknebelt, sondern auch gleich Twitter und Youtube.
Das jüngste Beispiel für ein mediales Berichtsverbot ist die Verwicklung ehemaliger AKP-Minister in den Korruptionsskandal der Regierung, der Ende des Vorjahres aufflog. Über die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungskommission darf seit dieser Woche bei Strafe nicht mehr berichtet werden.
In den vergangenen 30 Jahren wurden in der Türkei insgesamt 30 parlamentarische Untersuchungskommissionen eingesetzt, bisher wurde aber noch über keine einzige ein Berichterstattungsverbot verhängt. Die Kurdenpartei HDP hat daraufhin ihren Vertreter aus der von der AKP dominierten Kommission abgezogen.
Sieben Zeitungen und acht Internetmedien ignorierten das Veröffentlichungsverbot. "Hürriyet" machte am Freitag mit einem Leitartikel auf, der kritisierte, dass diese Praxis an die Zeiten der Militärdiktatur anknüpfe. Alle "heiklen" Themen fielen mittlerweile unter die Zensur, zumeist mit der Begründung der Staatssicherheit. Die Berichterstattung einer parlamentarischen Untersuchungskommission mit dem Verweis auf Persönlichkeitsrechte zu unterbinden sei hingegen eine Premiere.
Die aus der Zensur ausgescherten Medien berichteten am Freitag über die Verteidigung des ehemaligen Europaministers Egemen Bagis, der die Geschenkannahme vor der Kommission als eine „türkische Tradition“ bezeichnete. Außerdem habe er nur Schokolade und Krawatten als Geschenk angenommen, ließ er kundtun.
Offiziell wurden bereits am 17. Oktober alle Gerichtsverfahren gegen die 53 Angeklagten im Korruptionsskandal fallen gelassen. Aufgrund nicht ausreichender Beweise, so lautete die Begründung der zuständigen Richter.
Carl Morten Iversen, Chef des norwegischen PEN-Clubs, nannte das Berichterstattungsverbot am Donnerstag „völlig absurd“. Ein solches Vorgehen wäre in einem europäischen demokratischen Land nicht möglich. Aufdeckung und Berichterstattung von Korruption gehörten zu den wichtigsten Aufgaben der Presse.