Türkei

Erdogan versucht mit massiver Regierungsumbildung den Neustart

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Mit versöhnlichen Tönen und einer massiven Regierungsumbildung versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen politischen Neustart 

 "Lassen Sie uns die Ressentiments und den Ärger des Wahlkampfs beiseite legen", sagte Erdogan am Samstag nach seiner Vereidigung durch das Parlament in Ankara. Am Abend stellte er sein neues Kabinett vor, mit dem angesehenen Ökonomen Mehmet Simsek als Finanzminister. Dies wird als Abkehr von der bisherigen Inflationspolitik gewertet.

Bei seiner Angelobung vor den 600 Parlamentsabgeordneten hatte Erdogan versprochen, "seine Pflicht unparteiisch zu erfüllen". Der 69-Jährige hatte sich am vergangenen Sonntag in der Stichwahl mit 52 Prozent der Stimmen gegen den sozialdemokratischen Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu durchgesetzt.

"Ich schwöre, als Präsident all meine Kraft einzusetzen, um die Existenz und Unabhängigkeit des Staates zu schützen", sagte der Präsident in der live vom türkischen Fernsehen übertragenen Zeremonie. Erdogan versprach, nicht von der Rechtsstaatlichkeit und den säkularen Grundsätzen der vor 100 Jahren vom ersten Staatspräsidenten Mustafa Kemal Atatürk gegründeten Republik abzuweichen. Nach der Vereidigung erhoben sich Erdogans Anhänger und applaudierten minutenlang. Einige Oppositionsabgeordnete weigerten sich hingegen, aufzustehen.

Neue Ära

Bei strömendem Regen begab sich Erdogan vom Parlament zum Mausoleum des Republikgründers Atatürk, wo er eine "neuen Ära" ausrief und versprach, die nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar aus der betroffenen Region geflohenen Menschen "so schnell wie möglich nach Hause zu bringen". Bei dem Erdbeben waren mindestens 50.000 Menschen ums Leben gekommen, rund drei Millionen Menschen hatten ihre zerstörten Städte verlassen.

In seinem gigantischen Präsidentenpalast auf einem Hügel in Ankara hielt Erdogan anschließend eine überraschend versöhnliche Rede. Er erwarte von der Opposition, "dass sie mit Verantwortungsbewusstsein für das Wohlergehen und die Demokratie der Türkei eintritt". Erdogan forderte "die Parteien", aber auch "Journalisten, Schriftsteller, die Zivilgesellschaft und Künstler" auf, "sich mit dem nationalen Willen zu versöhnen". Die zehntausende Vertreter dieser Gruppen, die derzeit im Gefängnis sitzen, erwähnte er nicht.

Mit seiner Frau Emine an seiner Seite versprach Erdogan weiter, alle 85 Millionen Einwohner der Türkei "zu umarmen, unabhängig von ihren politischen Ansichten, ihrer Herkunft und ihrem Glauben (...)". "Die Türkei braucht Einigkeit und Solidarität mehr denn je", fügte der Präsident hinzu.

Mehrere Staats- und Regierungschefs sowie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wohnten der Amtseinführung bei. Stoltenberg saß beim festlichen Abendessen in der ersten Reihe. Er will während seines Besuchs in Ankara Erdogan dazu bewegen, seinen Widerstand gegen den NATO-Beitritt Schwedens aufzugeben. Das skandinavische Land hatte seinen Ex-Premier Carl Bildt nach Ankara geschickt, um gute Stimmung für den NATO-Beitritt zu machen.

Zu Erdogans Gästen zählte - trotz der seit Jahrzehnten schwer belasteten Beziehungen zwischen beiden Ländern - der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan. Als traditioneller Verbündeter der Türkei war auch Paschinjans aserbaidschanischer Erzrivale, Präsident Ilham Alijev, nach Ankara gekommen, ebenso wie der ungarische Regierungschef Viktor Orban, der wie Erdogan den NATO-Beitritt Schwedens blockiert. Ebenfalls anwesend waren der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro sowie die Staatsoberhäupter zahlreicher afrikanischer Staaten, darunter Ruanda, Somalia, Südafrika und Algerien - ein Beleg der aktiven Diplomatie der Türkei auf diesem Kontinent.

Nach dem Abendessen stellte Erdogan seine neue Regierung vor. Der Großteil der Ministerposten wurde neu bestellt, wobei die Rückkehr von Ex-Finanzminister Simsek besondere politische Relevanz haben dürfte. Seine Ernennung zum Finanzminister wird als Signal gewertet, dass Erdogan von seiner mit wirtschaftlicher Logik nicht in Einklang zu bringenden Zinspolitik ablässt. Der Präsident hatte jahrelang trotz explodierender Teuerung an niedrigen Zinsen festgehalten, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Die Folge war eine weitere Abwertung der Landeswährung Lira und ein massiver Wohlstandsverlust, was Erdogan fast den neuerlichen Sieg bei der Präsidentenwahl kostete.

Tatsächlich kündigte Simsek am Sonntag die Rückkehr der Türkei zu "rationalen Grundlagen" in der Wirtschafts- und Finanzpolitik an. "Eine regelbasierte, berechenbare türkische Wirtschaft wird der Schlüssel zur Erreichung des angestrebten Wohlstands sein", sagte er. Hauptziele seien die Einführung von Budgetdisziplin und die Gewährleistung von Preisstabilität für ein nachhaltiges, hohes Wachstum. "Transparenz, Konsistenz, Berechenbarkeit und die Einhaltung internationaler Normen werden unsere Grundprinzipien sein."

Erdogan brachte zudem enge Vertraute auf wichtige Posten. So wird Geheimdienstchef Hakan Fidan neuer Außenminister. Mevlüt Cavusoglu muss damit nach zehn Jahren als Chefdiplomat seinen Hut nehmen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) dankte am Sonntag auf Twitter Cavusoglu "für unsere Kooperation über die Jahre" und beglückwünschte seinen neuen Amtskollegen Fidan. "Ich freue mich darauf, dass wir gemeinsam die österreichisch-türkischen Beziehungen stärken werden", so Schallenberg.

Neuer Verteidigungsminister wird Erdogans bisheriger Stabschef Yasar Güler, neuer Innenminister der bisherige Istanbuler Gouverneur Ali Yerlikaya. Einzige Frau im Kabinett ist die neue Familienministerin Mahinur Özdemir Göktas.

Die neuen Parlamentsmitglieder waren bereits im ersten Wahldurchgang am 14. Mai gewählt und am Freitag vereidigt worden. Erdogans Regierungsbündnis behält nach der Wahl die Mehrheit in der Nationalversammlung.

Der islamisch-konservative 69-Jährige lenkt seit 20 Jahren die Geschicke des Landes: seit 2003 als Ministerpräsident, ab 2014 als Präsident. Erdogan regiert über die Jahre hinweg zunehmend autoritär; Kritiker werfen ihm die Unterdrückung der Opposition vor. Vor der Präsidentenwahl hatte er jedoch gesagt, dass dies seine letzte Amtszeit sein werde.

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