Corona-Eskalation:
Über 100 Tote an einem Tag in der Lombardei
08.03.2020
Die Zahl der Toten in Italien stieg an nur einem Tag um 133 auf 366 an. Die Regierung in Rom riegelte noch am Samstag ganze Regionen und Städte in Norditalien ab.
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In der norditalienischen Region Lombardei sind innerhalb eines Tages mehr als 100 Menschen am neuartigen Coronavirus gestorben. Dies teilten die Regionalbehörden am Sonntagabend in Mailand mit. Demnach stieg die Gesamtzahl der Todesopfer der Coronavirus-Epidemie in der Lombardei seit Samstag von 154 auf 257.
Die Gesamtzahl der am Coronavirus gestorbenen Menschen in Italien erreichte am Sonntag 366. Das entspricht einem Anstieg von 133 Toten seit Samstag. Die Zahl der Infizierten kletterte um 1.326 auf 6.387, sagte der Chef des italienischen Zivilschutzes, Angelo Borrelli, bei einer Pressekonferenz am Sonntagabend in Rom. 622 Personen seien inzwischen wieder genesen.
Italien hat wegen der Coronavirus-Epidemie drastische Maßnahmen ergriffen und ganze Regionen und Städte in Norditalien abgeriegelt. I16 Millionen Menschen sind betroffen. Zu den gesperrten Gebieten gehören unter anderem die Wirtschaftsmetropole Mailand und der Touristenmagnet Venedig. Diese für Europa beispiellose Maßnahme soll bis zum 3. April gelten. Italien ist das in Europa am schwersten vom Ausbruch von SARS-CoV-2 betroffene Land. In allen 20 italienischen Regionen wurden bisher Infektionsfälle gemeldet.
103 Fälle in Österreich
In ganz Österreich wurden bisher 4.509 Personen auf das Virus getestet. Betroffen sind in Niederösterreich 31 Personen, in Wien 32, in der Steiermark zehn, in Tirol acht, in Salzburg ebenfalls acht, in Oberösterreich sieben, im Burgenland vier sowie zwei in Vorarlberg und eine Person in Kärnten. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat weitere Maßnahmen angedeutet. Als Ziel nannte er in der ORF-"Pressestunde", die Ausbreitung der neuen Krankheit bis nach Ende der aktuellen Grippewelle zu verzögern. Kurz deutete aber unter anderem die vorübergehende Schließung von Schulen und Kindergärten an.
Die beispiellosen Schritte in Italien, die ein Viertel der Bevölkerung des Stiefelstaates betreffen, sehen unter anderem vor, dass die Region Lombardei mit der Finanzmetropole Mailand bis zum 3. April weder betreten noch verlassen werden darf, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte mitteilte. Die Sperren sollen bis zunächst zum 3. April gelten. Conte sagte zugleich, es gebe keinen Stopp für Flüge und Züge. Aber eine Fahrt müsse einen Grund haben. Die Polizei könne Menschen anhalten und danach fragen.
Die Regierung hatte den Abriegelungsbeschluss gefasst, nachdem sich die Infiziertenzahl binnen 24 Stunden um mehr als 1.200 Personen erhöht hatte. Dies war der dramatischste Anstieg, seit die Epidemie vor rund zwei Wochen auf Italien übergegriffen hat. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Maßnahmen begrüßt. Diese seien "mutig" und erforderten "wirkliche Opfer", betonte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus per Twitter.
Tausende Österreicher in Norditalien
Einige tausend Österreicher halten sich derzeit in den unter Quarantäne gestellten Roten Zonen Norditaliens auf. "Wir schätzen, dass in der Nacht bereits zahlreiche Personen aus den sogenannten Roten Zonen zurückgekehrt sind", sagte Peter Guschelbauer, Sprecher des Außenministeriums, am Sonntag der APA. "Wir haben unsere Reiseinformationen aktualisiert und alle Auslandsösterreicher bzw. bei uns registrierten Reisenden via SMS und Mail informiert", so Guschelbauer. Man müsse bei Reisen in den fraglichen Regionen mit Behinderungen im Verkehr rechnen.
"Wir stehen vor einer nationalen Notlage", betonte Conte. Von den Abriegelungen sind neben der Lombardei, dem wirtschaftlichen Herz Italiens, auch Städte wie Parma, Modena oder Padua betroffen. Conte bestätigte weitreichende Verbote für das ganze Land. Alle Kinos, Theater, Museen, Sportclubs, Demonstrationen und viele andere Veranstaltungen müssen schließen oder fallen aus.
Bürgermeister fürchten Kollaps der Wirtschaft
Die Region Venetien und einige Bürgermeister der betroffenen Städte halten das beschlossene Ein- und Ausreiseverbot allerdings für eine zu strenge Maßnahme. Die Gefahr sei, dass die norditalienische Wirtschaft ganz zum Erliegen komme. Der Bürgermeister der piemontesischen Stadt Asti, Maurizio Rasero, meinte etwa, die sanitäre Lage sei in seiner Provinz unter Kontrolle. Die Rote Zone auf seine Provinz auszudehnen, sei daher ungerechtfertigt.
In den Gefängnissen von Modena und Frosinone südlich von Rom brachen gewaltsame Proteste aus. In Modena steckten Gefängnisinsassen einige Gegenstände in Brand. Die Gefängnisinsassen protestierten damit gegen den Regierungsbeschluss, Besuche von Angehörigen als Maßnahme zur Eingrenzung der Coronavirus-Epidemie auszusetzen.
Bürger bangen um ihre Jobs
Viele Bürger bangen um ihren Job, vor allem im Tourismus, im Kulturbereich und in der Industrie. Auch die Logistik- und Transportbranche befürchtet Einschränkungen wegen der Quarantäne. Menschen, die in Richtung Mittel- und Süditalien reisen wollen, bestürmten am Sonntag Busstationen in der Lombardei. Der italienische Handelsverband Confcommercio hat die Italiener aufgefordert, Supermärkte aus Angst vor knapp werdenden Lebensmittel nicht zu stürmen.
Die süditalienischen Regionen ergriffen ebenfalls Vorsichtsmaßnahmen. Personen, die die Sperrzone in Norditalien verlassen haben und nach Kampanien, Sizilien und Basilikata reisen, müssen sich einer zweiwöchigen Heimquarantäne unterziehen, beschlossen die Präsidenten der drei süditalienischen Regionen.
Prekär ist die Lage für das lombardische Gesundheitssystem. "Wenn die Bevölkerung nicht begreift, dass man zu Hause bleiben muss, um Ansteckungen zu vermeiden, wird die Lage katastrophal werden. Die Situation ist derart akut, dass die Zahl der Plätze auf den Intensivstationen der Spitälern um das Zehnfache aufgestockt werden müssten", sagte Antonio Pesenti, Leiter der lombardischen Kriseneinheit für Intensivtherapien, im Interview mit der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera". Die Gesundheitsbehörden rechnen, dass bis 26. März 18.000 Menschen in der Lombardei am Coronavirus erkrankt sein werden.
Das Leben in der italienischen Sperrzone ist "zum Teil schon stressig". Das sagte ein Auslandsösterreicher, der in San Colombano al Lambro in der Region Lombardei lebt, im Gespräch mit der APA. Die ergriffenen Maßnahmen hält er aber "für richtig". Die Frage sei nur, "wie weit sich die Bevölkerung daran hält". Lebensmittel lasse er sich liefern: "Die Zustellung ist ganz gut organisiert."
Auch er betonte, es wäre wichtig, dass sich alle an die verordneten Maßnahmen halten, betonte der Pensionist. "Vor allem junge Leute sind sich meiner Meinung nach oft nicht bewusst, was das alle bedeutet." Denn am Anfang habe es - wie derzeit in Österreich - rund 100 Fälle gegeben, "innerhalb von zwei Wochen waren es 5.000".
Für eine Wiener Schule gab es am Samstag Entwarnung: Zwei Lehrerinnen, die "unter Verdacht" standen, wurden negativ getestet. Unter den am Sonntag neue bekannt gewordenen Patienten ist eine Mitarbeiterin eines kleinen Privatkindergartens in Wien-Ottakring. Diese Betreuungseinrichtung bleibt nun für zwei Wochen geschlossen, wie Corina Had von der Wiener Berufsrettung berichtete.
Die AUVA kündigte am Wochenende an, nicht notwendige Operationen fallweise zu verschieben. Das Finanzamt berichtete unterdessen über die Sicherstellung von 21.000 geschmuggelten Einmal-Mundschutzmasken durch Wiener Zöllner bei der Anhaltung eines türkischen Reisebusses.