Die Zahlungen an die Türkei werden reduziert.
Die 27 EU-Staaten hoffen auf einen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien im Dezember. Nach dem Gipfel der 28 am Donnerstag und der 27 am Freitag in Brüssel erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk, es wäre etwas übertrieben, von einer Sackgasse bei den Brexit-Gesprächen zu reden.
Der Gipfel der 27 verbleibenden EU-Staaten in Brüssel stellte noch nicht ausreichende Fortschritte in den drei Kernbereichen - Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, Finanzverpflichtungen Londons und die künftige nordirisch-irische Grenze - fest, um in die "zweite Phase" der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen und eine Übergangsperiode eintreten zu können. Der Gipfel Mitte Dezember in Brüssel werde erneut bewerten, ob bei den drei Themen ausreichende Fortschritte erzielt wurden.
Wie viel muss Großbritannien zahlen?
Die britische Premierministerin Theresa May hält sich in der Finanzfrage weiterhin zurück. Sie erklärte, man werde die Frage, wie viel Großbritannien zu zahlen habe, schrittweise - "Zeile für Zeile" - klären. Laut EU-Diplomaten ist bis Dezember hier nur eine offene Formulierung zu erwarten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wies Berichte über ein "No Deal"-Szenario zurück.
Dabei betonte May, die konkrete Zahl werde am Ende des ausgehandelten Brexit-Deals stehen, und sie stehe auch im Zusammenhang mit der künftigen Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien. Dabei schloss May aber nicht aus, dass die Summe höher werden könnte, wenn ihr Land wünsche, bei bestimmten Projekten der EU weiter teilzunehmen, sei dies bei der Wissenschaft oder der Zusammenarbeit im Strafverfolgungsbereich. Auf Fragen, ob die von London an die EU zu bezahlende Summe 60 Milliarden Euro betragen könnte, ging May nicht ein. Wesentlich sei, und dies habe sie Tags zuvor beim 28-er Gipfel den anderen Staats- und Regierungschefs gesagt, eine "neue tiefe Partnerschaft nach dem Brexit" aufzubauen.
"Es gibt eine langsame Annäherung, vor allem was die Summen betrifft, die hier ausständig sind. Aber das ist ein Fortschritt, der eindeutig nicht befriedigend ist. Ich denke, man muss den Druck erhöhen", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Die EU sei mit einem klaren Brexit-Verhandlungsmandat sehr gut positioniert. Positiv sei, dass sich alle 27 EU-Staaten daran auch halten würden und keiner Sonderwege gehe. Auf britischer Seite bestehe aber der Eindruck, "dass man immer noch nicht Klarheit hat, in welche Richtung das alles gehen soll".
Die Chancen Österreichs, im Zuge des Brexit eine der beiden EU-Agenturen EBA (Banken) und EMA (Arzneimittel) aus London an Land zu ziehen, sind offenbar im Sinken. "Unsere Chancen sind intakt, überbordend allerdings nicht", räumte Kern ein. Eine Entscheidung fällt in geheimer Abstimmung am 20. November bei einem EU-Außenministerrat in Brüssel.
Kürzung der Finanzhilfe
Die EU-Staats und Regierungschefs einigten sich auch auf eine Kürzung von Finanzhilfen in Hinblick auf eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei. Es werde zunehmend klar, "dass es eine Neuordnung der Beziehungen braucht", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) Freitagfrüh nach den Gipfelberatungen in Brüssel. Alle seien sich einig gewesen, die sogenannten Vorbeitrittshilfen "in verantwortbarer Weise zu kürzen", sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Zur Türkei meinte EU-Kommissionspräsident Juncker, eine Umschichtung von EU-Mitteln bei einer Reduktion der Vorbeitrittshilfen werde es nicht geben. Eine konkrete Zahl bei dieser Reduktion nannte Juncker nicht. Die Vorbeitrittshilfen der EU machen bis 2020 4,4 Mrd. Euro aus.
Der von EU-Ratspräsident Donald Tusk vorgeschlagene EU-Sondergipfel zur Inneren Sicherheit im September 2018 in Wien ist unterdessen fix. Die Agenda der EU-Spitzen bis Ende 2019 wurde vom EU-Gipfel in Brüssel einstimmig angenommen. Zuvor hieß es bereits aus österreichischen Regierungskreisen, der Gipfel in Wien sei mit Tusk eng abgesprochen. Konkret soll sich der Gipfel in Wien mit den Kontrollen an den EU-Außengrenzen, Informationsaustausch, operationeller Zusammenarbeit, Sicherheit und Strafverfolgung im Cyberspace und Verhinderung von Radikalisierung befassen.
EU-Befürworter in London: Regierung verhält sich "widerlich"
Britische EU-Befürworter haben am Freitag zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel scharfe Kritik an ihrer Regierung geübt. Es sei "widerlich", wie Politiker das fehlgeschlagene Treffen als Erfolg verkaufen wollten, teilte die Gruppe "Open Britain" am Freitag mit. Es habe 16 Monate nach dem Brexit-Referendum immer noch keinen ausreichenden Fortschritt bei den Verhandlungen gegeben.
Britische Medien bewerteten das Ergebnis mit Skepsis. Der Sender BBC hob hervor, dass die EU zwar Grünes Licht für die Vorbereitung der zweiten Phase der Verhandlungen gegeben habe: "Theresa May geht nicht mit leeren Händen nach Hause." Doch in den Gesprächen seien erst ein paar Zentimeter "auf einer Reise von vielen, vielen Meilen" erreicht worden. Der TV-Sender Sky News sprach von einem "Psychodrama".
Die Zeitung "The Guardian" kritisierte, dass sich Premierministerin Theresa May nicht genug um die Schlussrechnung für den EU-Austritt gekümmert habe. Diese könnte bis zu 100 Milliarden Euro betragen. Damit soll London gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten bezahlen.
Die Europäische Union pocht in den Brexit-Gesprächen auf ausreichende Fortschritte. Erst anschließend sollen Gespräche über die künftigen Beziehungen zwischen beiden Seiten beginnen. Die verbleibenden 27 EU-Staaten hoffen auf einen Durchbruch bis Dezember.
Die Briten hatten im Juni 2016 mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt. Das Vereinigte Königreich wird Ende März 2019 aus der Staatengemeinschaft austreten. May hatte vor einigen Wochen auf einer Rede in Florenz eine etwa zweijährige Übergangsphase vorgeschlagen.