Die EU drückt aufs Gas. Die Tories wollen bis September Cameron ersetzen.
Jetzt übt die EU Druck auf die britische Regierung aus: Beim heutigen EU-Gipfel muss der britische Premierminister David Cameron den 27 anderen EU-Staaten erklären, wann er gedenkt, den Ausstieg aus der EU formal einzuleiten.
Nachfolge. Doch Cameron zögert: Solange er noch im Amt ist, will er den Austritt nicht auf Schiene bringen. Seine konservative Partei beschloss gestern, bis zum 2. September einen Nachfolger für Cameron als Parteichef zu finden, der auch neuer Premier werden und dann den EU-Austritt formal in Brüssel verkünden soll.
Den Austritt eines Landes regelt Artikel 50 des EU-Vertrags: Demnach muss ein austrittswilliges Land dem Europäischen Rat formell diese Absicht mitteilen.
EU will Austritt schnell und plant Zukunft ohne Briten
Dann tickt die Uhr: Es bleiben zwei Jahre, um Einzelheiten des Austritts zu verhandeln und ein Abkommen zu beschließen. Gibt es keine Einigung, verlieren die EU-Gesetze im betroffenen Land ihre Gültigkeit und es ist automatisch raus aus der EU.
Druck auf London. Europa will Nägel mit Köpfen machen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte: „Die Briten müssen jetzt liefern!“ Der heutige Gipfel sei „der geeignete Zeitpunkt“. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi sagte, man dürfe „jetzt nicht eine einjährige Diskussion über den Austritt starten“.
Die EU bereitet sich schon auf die Zukunft ohne Großbritannien vor: Cameron ist bei Beratungen zur Zukunft der Union morgen schon ausgeladen. Fix ist auch bereits, dass die europäische Bankenaufsicht aus London wegzieht.
Hugo Portisch erklärt den Brexit
Der Spitzenjournalist schildert die Folgen des EU-Austritts der Briten.
ÖSTERREICH: Waren Sie über den Brexit überrascht?
Hugo Portisch: Da ich mehrere Jahre in London verbracht habe, glaubte ich, die Briten zu kennen. Sie schienen mir sehr pragmatisch – „down to earth“. Deshalb dachte ich auch diesmal, dass die Vernunft siegen würde. Ein Irrtum.
ÖSTERREICH: Wird der Handel zwischen Großbritannien und der EU jetzt einfrieren?
Portisch: Auch nach dem Brexit werden Großbritannien und die EU ein starkes Interesse an Handelsbeziehungen haben. Da wird man zu einem Modus vivendi kommen müssen.
ÖSTERREICH: Was wird für die Briten anders werden?
Portisch: Die Schengen-Regelungen werden für Großbritannien außer Kraft treten, die Reisefreiheit wird eingeschränkt werden. Viele EU-Privilegien, wie die Zollfreiheit und das gemeinsame Vorgehen zum Schutz wirtschaftlicher Interessen und finanzieller Stabilität auf dem Weltmarkt, werden für die Briten verschwinden.
ÖSTERREICH: Haben die Briten auch Vorteile?
Portisch: Großbritannien wird froh sein, dass man den Zustrom von Arbeitskräften aus der EU wird stoppen können. Das war ja eines der verlogenen Hauptthemen der Brexit-Kampagne. Andererseits wollen ja auch viele Engländer ihre Arbeitsplätze in Europa nicht verlieren.
ÖSTERREICH: In die EU einzahlen müssen die Briten nicht mehr.
Portisch: Zum einen werden die Briten ihre Zahlungen an die EU einstellen können, auf der anderen Seite werden EU-Förderungen für Großbritannien ausbleiben.
ÖSTERREICH: Sehen Sie den Brexit als Sieg des Populismus?
Portisch: Derzeit registriere ich in ganz Europa die Stunde der Populisten. Dazu nützen sie auch die sozialen Netzwerke, schüren Ängste und appellieren an Fremdenfeindlichkeit und Hass und scheuen auch nicht zurück vor glatten Lügen.
ÖSTERREICH: Sind Sie prinzipiell ein Freund oder ein Feind von Abstimmungen?
Portisch: Volksabstimmungen lassen sich halt sehr leicht von Populisten nützen, die mit einfachen Parolen viele Menschen schnell beeinflussen können. So entstehen Kampagnen der Angstmache, der Drohungen und der Lügen.
ÖSTERREICH: Norbert Hofer plädiert für eine Abstimmung über den EU-Verbleib Österreichs.
Portisch: Ja, der tritt jetzt auch in diese Riege ein. Aber Österreich könnte einen Austritt ganz sicher nicht ohne großen wirtschaftlichen Schaden überstehen.
Christoph Hirschmann