Nach Krisengipfel

EU-Streit um Asyl-Abkommen

30.06.2018

Bereits am Samstagabend trafen sich Merkel und Seehofer zu einem 4-Augen-Gespräch.

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© APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Der innerdeutsche Flüchtlingsstreit geht ins Finale. Am Nachmittag treffen die zerstrittenen Schwesterparteien CDU und CSU zum Krisengipfel zusammen.

Überraschend trafen bereits am Samstagabend Kanzlerin Angela Merkel und ihr CSU-Gegenspieler Horst Seehofer zu einem Geheimtreffen im Kanzleramt zusammen.

Merkels politisches Überleben scheint vorerst gesichert: Die deutsche Kanzlerin hat am EU-Gipfel diese Woche ganze Arbeit geleistet, um ihrem CSU-Gegenspieler Horst Seehofer „liefern“ zu können: Neben Asylzentren in Afrika (siehe Interview) hat sich Merkel auch die Zusage von 14 EU-Ländern geholt, Flüchtlinge aus Deutschland freiwillig zurückzunehmen. Seehofer hatte ja gefordert, diese an der österreichisch-deutschen Grenze verstärkt zurückzuweisen. Diesen Alleingang lehnt Merkel ab.

Merkel fehlen Zusagen 
aus Österreich und Italien

Doch der Merkel-Plan hat Schönheitsfehler: Ungarn und Tschechien, die gestern als Kooperationspartner genannt wurden, dementierten umgehend: Es gebe keine Vereinbarung mit Deutschland zu Asylbewerbern, hieß es. Das sei „völliger Unsinn“, sagte der tschechische Premier Andrej Babiš. Am Samstagabend hat auch Polen bestritten, ein Abkommen mit Deutschland zur beschleunigten Rückführung von Flüchtlingen geschlossen zu haben. "Es gibt keine neuen Vereinbarungen, die Aufnahme von Asylsuchenden von EU-Ländern betreffend", sagte der Sprecher des polnischen Außenministeriums, Artur Lompart.

Außerdem: Österreich und Italien fehlen überhaupt auf Merkels Liste. Aus Italien kommen aber die meisten Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten.

Nur wenn sich Seehofer mit Abkommen mit Luxemburg oder Estland zufriedengibt, kommt Merkel aus der Asylkrise.

Kurz: "Asyl-Zentren in Nordafrika"

ÖSTERREICH: Nach dem EU-Gipfel wird von einer Verschärfung der EU-Asylpolitik geredet. Sehr konkret sind die Maßnahmen nicht, oder?

Sebastian Kurz:
Es ist uns eine Trendwende in der Migrationspolitik gelungen. Unsere Linie setzt sich immer mehr durch. Erstmals sind nun Zentren außerhalb der EU, sogenannte Anlandeplattformen, vorgesehen. Dorthin sollen illegale Migranten nach der Rettung aus Seenot zurückgebracht werden und nicht mehr automatisch nach Europa. Das ist ein wichtiger Schritt hin zum australischen Modell und zum Schutz unserer Außengrenzen. Wir haben uns auch auf strengere Regeln für NGO-Schiffe geeinigt, diese müssen sich an internationales Recht halten und dürfen die libysche Küstenwache nicht mehr behindern.

ÖSTERREICH:
Sie wollten die „Schließung der Mittelmeerroute“, wären Anlandezentren in Nord­afrika eine De-facto-Schließung?

Kurz:
Genau, unser Ziel ist es, die Mittelmeerroute für illegale Mi­gration zu schließen. Die geplanten Anlandeplattformen sind ein sehr wichtiger Schritt dafür. Nach der Rettung aus Seenot werden die illegalen Migranten dorthin zurückgestellt und nicht mehr nach Europa gebracht. Damit entziehen wir den Schleppern die Geschäftsgrundlage.

ÖSTERREICH:
Wie realistisch sind diese Zentren?

Kurz:
Es gibt bereits eine gute Kooperation mit Ägypten, das Mi­granten nach der Seenotrettung nach Ägypten zurückbringt. Niger und Tschad wären ebenfalls Möglichkeiten. Auch mit Libyen arbeiten wir eng zusammen und unterstützen die Küstenwache. Immer öfter erfolgt die Rettung aus Seenot durch die libysche Küstenwache. Darauf kann man aufbauen. Die Kosten für Anlandeplattformen wären weitaus ­geringer als die Belastung durch die Asylsysteme in Europa.

ÖSTERREICH:
Sie wollen keine Ermächtigung für Asylanträge für Europa in diesen eventuellen Zen­tren. Dann gäbe es keine legalen Asylmöglichkeiten mehr, oder?

Kurz:
Wir müssen das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören. Daher soll die Aufnahme nach Europa über Resettlement-Programme erfolgen. Damit können wir gezielt die Schwächsten aus den Herkunftsländern nach Europa holen in einem zahlenmäßig verkraftbaren Ausmaß.

ÖSTERREICH:
Auch über die Asylzentren in Europa gibt es Verwirrung. Macron sagt, diese werden in den Ländern mit EU-Außengrenzen, etwa Italien, kommen, Conte sagt Nein. Was wurde vereinbart?

Kurz:
Es ist wichtig, dass auch Maßnahmen gegen das Weiterwinken innerhalb der EU beschlossen wurden. Die Einrichtung solcher Zentren und die Verteilung von dort sind freiwillig.

ÖSTERREICH:
Merkel meinte, in der Migrationspolitik werde viel auf unsere Ratspräsidentschaft zukommen. Besorgt? Optimistisch?

Kurz:
Es ist gut, dass nun eine Trendwende in den Köpfen gelungen ist. Wir werden nun Treiber sein für weitere Fortschritte in der EU. Vor allem beim Außengrenzschutz wollen wir Frontex stärken und ein neues Mandat schaffen, das es erlaubt, dass Frontex auch enger mit Drittstaaten zusammenarbeiten kann.

ÖSTERREICH:
Sie haben derzeit ein Monsterprogramm – Kanzler, Ratspräsident –, als wie anstrengend empfinden Sie das?

Kurz:
Das Programm ist intensiv, aber es macht viel Freude, ­etwas bewegen zu dürfen in ­Österreich und Europa.

ÖSTERREICH:
Deutsche Medien – „Spiegel“, „Süddeutsche“, „Handelsblatt“ – schreiben sehr kritisch über Ihre Regierung. Trifft Sie das?

Kurz:
Manche Medien sehen mich positiv, andere eben weniger. Das ist normal in einer ­Demokratie mit Medien- und Meinungsfreiheit, und das ist auch gut so.

ÖSTERREICH:
Glauben Sie, dass der innerdeutsche Konflikt (Merkel–Seehofer) um Asylpolitik jetzt befriedet ist?

Kurz:
Wie ich schon mehrmals gesagt habe, mische ich mich nicht in den innerdeutschen Konflikt ein. Ich hoffe allerdings, dass es bald gelingt, eine Lösung in Deutschland zu finden.

Isabelle Daniel

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