Nach Lampedusa-Unglück
EU streitet über Flüchtlings-Politik
08.10.2013
Berlin und Wien gegen Abrücken von Dublin-II-Verordnung.
Nach dem Schiffsunglück von Lampedusa
mit über 230 Toten streiten die EU-Staaten über eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen. Die geforderte Neuausrichtung der EU-Politik scheitert aber am Widerstand mehrerer Staaten, darunter Österreich. Beim Treffen der EU-Innenminister am Dienstag in Luxemburg zeichnete sich keine Mehrheit für eine Änderung der umstrittenen Dublin-II-Regel zur Aufnahme von Flüchtlingen ab.
Dublin-II-Verordnung
Die Dublin-II-Verordnung sieht vor, dass ein Flüchtling in jenen Mitgliedsstaat zurückgeschickt werden kann, in dem er erstmals EU-Territorium betreten hat. Staaten an der südlichen EU-Außengrenze wie Italien versuchen, eine Änderung dieser Regelung zu erreichen, um die nördlichen Staaten zur Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen zu bewegen.
Deutschland und Österreich lehnten dies beim Ministertreffen ab. "Dublin II bleibt unverändert, selbstverständlich", sagte der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich. Auf Deutschland kämen auf eine Million Einwohner etwa 950 Asylbewerber, in Italien hingegen knapp 260. "Das zeigt, dass die Erzählungen, dass Italien überlastet ist mit Flüchtlingen, nicht stimmen."
Mikl-Leitner gegen Änderung
Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte, eine Änderung der Dublin-II-Verordnung sei "nicht notwendig". Österreich sei nämlich schon jetzt an vierter Stelle der EU-Staaten, was die Asylquote betreffe. Daher sei es nicht in der Pflicht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Vielmehr sprach sich Mikl-Leitner für eine Entlastung der bisherigen Hauptaufnahmeländer
aus. "Ich halte sehr viel davon, ein System zu finden, das einfach mehr die Verantwortung gerecht aufteilt."
Um Italien direkt zu helfen, stellte die EU mehr Hilfe beim Grenzschutz und der Rettung von Flüchtlingen aus Seenot in Aussicht. Die EU-Kommission schlug den Staaten einen Großeinsatz durch europäische Grenzschützer von Frontex vor, die das gesamte Mittelmeer von Zypern bis Spanien umfasst. Malmström sagte: "Ich werde um politische Unterstützung und die notwendigen Ressourcen bitten, um mehr Leben zu retten." EU-Kommissarin Malmström appellierte an die EU-Staaten, die Verantwortung besser aufzuteilen. Derzeit entfalle fast die gesamte Last auf sechs oder sieben der 28 Staaten. "Viele können mehr tun", betonte Malmström.
EU-Parlament fordert gerechte Verteilung der Flüchtlinge
Auch im Europaparlament wurde eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge unter den EU-Staaten gefordert. "Wir müssen endlich zu einer solidarischen Flüchtlingspolitik kommen", forderte der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda, in der Nacht auf Dienstag in der "ZiB24". Ähnlich äußerte sich der Vizepräsident des Europaparlaments und ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. "Wir brauchen einen innereuropäischen Solidaritätsausgleich, einen innereuropäischen Aufteilungsschlüssel."
Scharfe Kritik an italienischen Anti-Immigrations-Gesetze
Die EU-Abgeordneten übten scharfe Kritik an den rigorosen italienischen Anti-Immigrations-Gesetzen, die Fischer mit Strafe bedrohen, sollten sie in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen. Karas sagte, eine solche Regelung könnte vor dem EuGH nicht bestehen. SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried sprach von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", FPÖ-Europaabgeordneter Andreas Mölzer bezeichnete die Regelung als "puren Schwachsinn". Er sprach sich für eine Stärkung von Frontex aus, damit die Boote gar nicht erst von Afrika in See stechen. Die Grüne Abgeordnete Ulrike Lunacek lehnte diesen Vorschlag ab und forderte vielmehr die Einführung von humanitären Visa für Flüchtlinge.
Auch die EU-Grundrechtsagentur (FRA) rief die EU auf, ihre Flüchtlingspolitik zu ändern. "Wir müssen jetzt handeln, um ein Gleichgewicht zu finden zwischen unseren Grenzkontrollrechten und den Bedürfnissen und Rechten der Migranten", betonte FRA-Direktor Morten Kjaerum in einer Aussendung. Konkret forderte er, dass Fischer künftig nicht mehr bestraft werden sollen, wenn sie in Seenot geratene Migranten retten.