Mehr legale Einwanderung und EU-weites Neuansiedlungsprogramm gefordert.
Das Europaparlament hat eine Pflicht für alle 28 EU-Staaten zur Aufnahme und Ansiedlung von Flüchtlingen gefordert. In einem am Dienstag in Straßburg mit breiter Mehrheit angenommenen Bericht verlangten die Abgeordneten eine Reform des bisherigen "Dublin-Systems", wonach das Land der ersten Einreise für einen Asylantrag zuständig ist.
Umsetzung der Verpflichtungen gefordert
Die Abgeordneten kritisierten mangelnde Solidarität zwischen den EU-Regierungen und forderten die tatsächliche Umsetzung bereits übernommener Verpflichtungen - beispielsweise zur Umsiedlung (Relocation) von 160.000 Flüchtlingen, um Italien und Griechenland als Erstaufnahmeland zu entlasten. Bisher sind aus diesen beiden Ländern aber nur 1.145 Personen in andere EU-Staaten umgesiedelt worden, wie die EU-Kommission am Dienstag mitteilte. Österreich hat dabei weder Schutzsuchende aus Italien, noch aus Griechenland aufgenommen. Die Quote für Resettlement (Umsiedelung von bereits anerkannten Flüchtlingen) hat die Alpenrepublik allerdings mit 1.395 von 1.900 zugesagten Plätzen schon zu einem Großteil erreicht.
"Wir wollen einen rechtlich bindenden Ansatz" sagte die Christdemokratin Roberta Metsola (Malta), die gemeinsam mit der Sozialdemokratin Kashetu Kyenge (Italien) den Bericht erstellt hatte: "Schnell und leicht lässt sich die Migrationskrise nicht lösen." Kyenge sagte: "Wir beharren darauf, dass es verbindliche Umsiedlungen gibt. Und wir brauchen eindeutige Solidarität."
System der legalen Migration
"Wir alle sind uns einig, dass es nun an der Zeit ist, ein chaotisches, ungeordnetes System der Zuwanderung durch ein System der legalen Migration zu ersetzen", sagte der für Inneres zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Die Kommission hatte vor einer Woche zwei Möglichkeiten des weiteren Vorgehens vorgeschlagen: Entweder eine Korrektur des bestehenden Systems durch Verteilung von Flüchtlingen an andere Mitgliedstaaten oder die Festlegung eines Verteilungsschlüssels, mit dem auch die Zuständigkeit für Asylanträge aufgeteilt wird. Die Kommission werde noch ergänzende Vorschläge machen.
In dem Bericht wird ein EU-weites "Neuansiedlungsprogramm mit verpflichtender Teilnahme aller Mitgliedstaaten" gefordert. Die EU müsse "eine bedeutende Zahl" von Flüchtlingen ansiedeln, um illegale Migration zu verhindern. Eine konkrete Lösung für das neue Asylsystem wurde vom Parlament nicht empfohlen. Allerdings wurde eine zentrale Zuständigkeit der EU bei Entscheidungen über Asylanträge und die Verteilung von Asylsuchenden auf alle EU-Staaten zur Diskussion gestellt. Die Entschließung ist für die EU nicht bindend, sie stärkt aber die Position der Brüsseler Kommission, die ebenfalls eine Reform der Asyl- und Flüchtlingspolitik fordert.
Hilfe in Idomeni
Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, forderte eine Ad-hoc-Mission der EU, welche untersuchen solle, in wie weit europäisches und internationales Recht durch den Flüchtlingsdeal mit der Türkei gebrochen worden sei. Die EU-Abgeordnete Angelika Mlinar (NEOS) sagte, derzeit würden Flüchtlinge aus Syrien nicht mehr auf legalem Weg weiter in die Türkei, nach Jordanien oder in den Libanon kommen. An der türkischen Grenze gebe es rund 250.000 Flüchtlinge auf syrischer Seite.
Der sozialdemokratische Fraktionsvize, Josef Weidenholzer, forderte, es müssten alle völkerrechtlichen Bestimmungen im Zuge des EU-Türkei Flüchtlingsdeals eingehalten werden. Es sei derzeit noch nicht möglich zu sagen, ob es sich bei den Verstößen um Einzelfälle oder systematische Vergehen handle. In Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze müsse die EU rasch helfen, die Situation dort sei "völlig außer Kontrolle geraten". Der SPÖ-Europaabgeordnete Eugen Freund bezeichnete es als "großes Problem, dass wir uns zu sehr in die Hand der Türkei begeben haben", weil die EU selbst die Flüchtlingskrise nicht lösen konnte.
Weniger Flüchtlinge in Griechenland
In Griechenland selbst kommen indes weiter weniger Flüchtlinge über die Türkei an. Innerhalb der letzten 24 Stunden hätten nur 80 Migranten auf die griechischen Ägäis-Inseln übergesetzt, teilte der Stab für die Flüchtlingskrise am Dienstagvormittag mit. Im Vormonat waren es noch knapp 900 Neuankünfte täglich. Die Rückführungen in die Türkei gemäß des Abkommens der EU mit der Türkei sollen jedoch erst in frühestens zwei Wochen fortgesetzt werden - bis dahin habe man über die Asylanträge der Schutzsuchenden entschieden, so eine Regierungssprecherin.
Im improvisierten Flüchtlingscamp in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze blieb die Situation angespannt. Am Vormittag kursierten erneut Gerüchte über eine Grenzöffnung. Griechische Medien machten Aktivisten für die Verbreitung der Falschmeldungen verantwortlich. Am Sonntag war die Situation deshalb eskaliert.