"Erhebliches Konfliktpotenzial"
Experte warnt vor neuem Krieg im Balkan
24.01.2017
Ein eigentlich banaler Vorfall heizt die Stimmung zwischen Serbien und dem Kosovo an.
Die gescheiterte Aufnahme des direkten Zugverkehrs zwischen Belgrad und Nord-Mitrovica am Samstag hat die Stimmung zwischen Serbien und dem Kosovo wieder einmal eskalieren lassen. Der serbische Präsident Tomislav Nikolic drohte sogar mit dem Einsatz der Armee.
Der Personenzug war am Samstagabend auf Anordnung des serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic unweit der Grenze zum Kosovo gestoppt worden, nachdem klar geworden war, dass die Weiterfahrt von der kosovarischen Grenzpolizei und einer Eliteeinheit am Grenzübergang Donje Jarinje verhindert werden würde. In Prishtina war die einseitige Aufnahme des Zugverkehrs als Provokation empfunden worden - umso mehr, weil die Außenseite des Zuges mit der Aufschrift "Kosovo ist Serbien" in verschiedenen Sprachen versehen war.
Experte warnt vor Krieg am Balkan
Für Werner Weidenfeld stellt diese Situation ein „erhebliches Konfliktpotenzial“ dar. Der Direktor des Münchner Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) sagte gegenüber „FCOUS Online“: „Serbien will zwar in die EU und redet auch immer freundlich mit den EU-Diplomaten, wenn es um den Beitritt geht. Aber was in der EU offenbar niemand so richtig begreift, ist, dass diese Besonnenheit sich in blanke Aggression verwandelt, wenn es um Streitigkeiten mit dem Kosovo geht“. Er geht noch weiter: „Wenn die EU das nicht endlich begreift und viel entschiedener gegen die Serben auftritt, dann könnte schon bald wegen kleiner Streitigkeiten am Balkan ein neuer Krieg ausbrechen." Seiner Meinung nach müsse die EU Serbien klar machen, dass es mit einem Land, „das eine territoriale Meinungsverschiedenheit mit Gewalt lösen will, keine Beitrittsverhandlungen mehr gibt“. Dazu gehöre auch die Streichung der Fördergelder und Ähnliches.
Serbien will Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennen
Der Kosovo war eine Provinz Serbiens. Im Jahr 2008 erklärte der Kosovo nach fast zehn Jahren unter UNO-Verwaltung seine Unabhängigkeit. Davor war es beim Zerfall Jugoslawiens 1998/99 zum Krieg gekommen, in den die NATO aufseiten der Kosovo-Albaner gegen das Belgrader Milosevic-Regime eingriff. 90 Prozent der Kosovaren sind ethnische Albaner, der Norden wird aber von Serben dominiert.
Mehr als 100 Staaten haben den Kosovo anerkannt. Serbien will die Unabhängigkeit aber nicht anerkennen; laut der serbischen Verfassung ist der Kosovo ein Bestandteil Serbiens. Nichtsdestotrotz führen beide Seiten seit Jahren unter Vermittlung der EU einen Normalisierungsdialog. Vieles, was vereinbart wurde, wurde bisher aber nicht umgesetzt.
Nikolic drohte mit Armee-Einsatz
Nikolic drohte am Sonntag mit dem Einsatz der Armee. "Wir werden die Armee schicken, um die Serben vor ihrer potenziellen Ermordung zu schützen", sagte Staatspräsident Tomislav Nikolic nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates: "Wenn Serben umgebracht werden, werden wir die Armee schicken." Jede Aktion, die nicht im Einklang mit der Verfassung Serbiens sei, werde "schlecht enden".
Vucic beschuldige die kosovarischen Behörden "Kriegsspiele" zu betreiben: "Wir haben einen Zug und keinen Panzer geschickt." Die Spezialeinheit der kosovarischen Polizei sei mit Gewehren und gepanzerten Fahrzeugen angerückt. Serben aus der Region hatten die Polizisten eingekreist. Um Blutvergießen zu vermeiden, habe er die Rückkehr des Zuges nach Belgrad angeordnet, sagte Vucic. "Das ist meine letzte Warnung an die Albaner, keinen Angriff auf Serben im Kosovo zu versuchen", sagte der in Serbien alles bestimmende Politiker: "Denn das wird Serbien nicht erlauben."
Strecke hätte vermint werden sollen
Auch soll es nach seinen Angaben Stunden zuvor sogar einen Versuch kosovarischer Behörden gegeben haben, die Eisenbahnstrecke im Nord-Kosovo zu verminen, um die Weiterfahrt des Zuges zu verhindern. Die kosovarische Polizei hatte am Samstagnachmittag tatsächlich die Strecke zwischen dem Grenzübergang Donje Jarinje und Nord-Mitrovica auf eventuellen Sprengstoff geprüft. Dazu war es nach dem Auftauchen eines Videos gekommen, in dem die Anbringung von Sprengstoff angedeutet wurde. Gefunden wurde aber nichts.
Belgrad rief am Sonntag die Europäische Union auf, als Vermittlerin die "Bewegungsfreiheit nun zum einzigen Thema" des Normalisierungsdialogs zu machen. Die Aufforderung erfolgte nach einer Sondersitzung des serbischen Rates für Nationale Sicherheit.
Streit um einen Zug
Die Aufnahme des Zugverkehrs zwischen Belgrad und Nord-Mitrovica war von der serbischen Behörden nicht mit Prishtina akkordiert worden. Belgrad behauptet, dass der Personenzug eigentlich "Menschen und Städte im Einklang mit den Gesetzen aller Staaten und den EU-Werten" verbinden sollte. Der Zug war von Russland gekauft worden, das Serbien dabei unterstützt, die Aufnahme des Kosovo in die UNO und andere internationale Organisationen zu torpedieren.
Zwischen der zentralserbischen Stadt Kraljevo und Nord-Mitrovica verkehrt problemlos schon seit Jahren ein ganz normaler Personenzug ohne "nationalistische Aufkleber", wie es vom kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci beschrieben wurde.
Die versuchte Aufnahme des direkten Zugverkehrs erfolgte nach dem großen Unmut, den vor Tagen die Entscheidung eines französischen Gerichtes in Belgrad ausgelöst hatte, den auf Basis eines serbischen Haftbefehls am 4. Jänner in Frankreich festgenommenen kosovarischen Politiker Ramush Haradinaj vorläufig wieder freizulassen. Belgrad wirft Haradinaj Kriegsverbrechen vor und behauptet, Beweise für die Verbrechen gesammelt zu haben, die von der Anklage des UNO-Jugoslawientribunals vor Jahren nicht erfasst worden seien. Vor dem Haager Gericht war Haradinaj zweimal freigesprochen worden.