Nur eine verfassungsgemäße Legitimität kann einen Bürgerkrieg verhindern.
Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi lehnt einen Rücktritt weiter strikt ab. In einer am späten Dienstagabend im ägyptischen Fernsehen live übertragenen Rede betonte der Islamist, er sei der erste demokratisch gewählte Präsident des Landes. Mursi unterstrich weiter, er arbeite unter der Legitimität der geltenden Verfassung. Nur eine verfassungsgemäße Legitimität könne einen Bürgerkrieg verhindern, sagte Mursi in Anspielung auf das von der Armee gestellte Ultimatum an ihn. Er selbst habe keine andere Option, als die, seine Verpflichtungen weiter zu erfüllen, die ihm auf demokratischem Wege auferlegt wurde.
Tote und Verletzte bei Unruhen in Kairo
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo sind am Dienstag bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mohammed Mursi mindestens sieben Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Das teilten die behandelnden Ärzte mit. Unter den Verletzten waren demnach mehrere, die lebensgefährliche Schussverletzungen erlitten. Die Bilanz der Ärzte bezog sich auf Auseinandersetzungen im Stadtviertel Giza.
Die politische Krise in Ägypten erreichte am Dienstag einen neuen Höhepunkt: Binnen 24 Stunden erklärte der fünfte Minister seinen Rücktritt, Präsident Mursi traf zu einem Krisentreffen mit Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sissi zusammen und in Kairo strömten erneut zehntausende Anhänger und Gegner Mursis auf die Straße.
Die Kritiker des Präsidenten versammelten sich auf dem Tahrir-Platz, seine Anhänger versammelten sich unterdessen in anderen Teilen der Stadt zu Großkundgebungen.
Ultimatum an Mursi läuft Mittwoch aus
Am Mittwochnachmittag läuft ein Ultimatum der Militärs für den Präsidenten ab: Wenn es bis dahin keinen Kompromiss mit der Opposition gibt, will die Armee notfalls das Ruder übernehmen und einen eigenen Fahrplan aus der Krise vorlegen. Die Muslimbrüder wollen sich gegen eine Entmachtung Mursis wehren. Angesichts der Lage verschärfte das Außenministerium seine Reisehinweise. Von "nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo und anderen Großstädten, insbesondere im Nildelta, wo an mehreren Orten teils gewaltsame Kundgebungen stattfinden", werde abgeraten, hieß es am Dienstagabend auf der Website.
Schusswechsel in Kairo
Die jüngsten Unruhen begannen am Rande der Hauptstadt Kairo, als Unterstützer des Präsidenten auf dem Weg zu einer Kundgebung mit Gegnern zusammenstießen, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. In Giza im Großraum Kairo starben zwei Menschen. Auch in der zweitgrößten Stadt Alexandria und in der nordöstlich von Kairo gelegenen Stadt Banha habe es Feuergefechte gegeben. In Kairo seien mindestens 15 Menschen verletzt worden. In Alexandria wurden nach Krankenhausangaben mindestens 33 Menschen verletzt.
Mursi war zuvor mit Armeechef und Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sisi sowie Regierungschef Hisham Kandil zu einer Krisensitzung zusammengekommen. In einer Erklärung hieß es, es werde "über die aktuellen politischen Entwicklungen beraten". Über ein Ergebnis wurde zunächst nichts bekannt.
Mursi verärgert über Armee
Auf das Armee-Ultimatum hatte der Präsident zuvor sehr verärgert reagiert. Nach Angaben der Zeitung "Al Ahram" beklagte das Präsidialamt, dass Mursi im Vorfeld nicht konsultiert worden sei. Das Vorgehen der Militärs verdeutlicht die Sonderstellung der Armee, die in Ägypten wie ein Staat im Staate agiert. Die Armee wies indes die Vorwürfe eines Putsches zurück und betonte, lediglich eine Lösung der Krise forcieren zu wollen.
Die Protestbewegung kritisiert Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam.
Mursi-Anhänger und -Gegner beziehen Stellung
Ein Bündnis aus einflussreichen islamistischen Politikern und Geistlichen rief die Ägypter in allen Provinzen auf, die legitime Führung im Land zu verteidigen. "Jeder Putsch gegen die legitime Regierung und Verfassung wird das Land ins Chaos und eine ungewisse Zukunft stürzen", erklärten die Islamisten der Allianz zur Unterstützung der Legitimität.
Die Gegner des Präsidenten drohen mit weiteren Aktionen - allen voran die Protestbewegung Tamarud ("Rebellion"). Die Gruppierung hatte seit Anfang Mai nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi gesammelt.
Obama: Mursi soll in Opposition
US-Präsident Barack Obama forderte den ägyptischen Staatschef in einem Telefongespräch auf, auf die Opposition zugehen. Das Weiße Haus teilte mit, Obama habe unterstrichen, die gegenwärtige Krise sei nur in einem politischen Prozess zu lösen. Demokratie bedeute mehr als Wahlen. "Es geht auch darum, dass die Stimmen aller Ägypter gehört und von der Regierung repräsentiert werden."
Wirtschaftslage verschlechtert sich weiter
Die Unruhen verschlechtern inzwischen mehr und mehr die Wirtschaftslage, lassen die Zahl der Arbeitslosen und die Kriminalität steigen. Die Währungsreserven schrumpfen. Es gibt Engpässe bei der Versorgung mit Benzin und anderen Waren.
Seit Sonntag ist Mursi als erster frei gewählter Präsident des Landes ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.
Juristische Schlappe für Mursi
Im Machtkampf musste Mursi zudem eine juristische Schlappe hinnehmen. Das höchste Kassationsgericht erklärte die Ernennung von Talaat Abdullah zum Generalstaatsanwalt durch das Staatsoberhaupt für ungültig. Die Richter ordneten die Rückkehr des im November 2012 entlassenen obersten Strafverfolgers Abdel Meguid Mahmoud an.
Außerdem laufen Mursi die Minister weg. Nachdem am Montag bereits fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht hatten, folgte Außenminister Mohammed Kamel Amr.
VIDEO TOP-GEKLICKT: Mursi weist Ultimatum zurück
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