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Forscher schlagen Alarm: Zoonosen werden wahrscheinlicher

27.12.2024

Alleine heuer gab es 180 Epidemien in Afrika. 

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© APA/AFP/Glody MURHABAZI (Archivbild)
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Vor fünf Jahren hat der Beginn der Covid-19-Pandemie die Welt in Atem gehalten. Viele Infektionen mit hohen Sterbezahlen nehmen dagegen global wenig beachtet ihren Verlauf, berichtet Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen Österreich im APA-Gespräch. Allein auf dem afrikanischen Kontinent gab es heuer 180 Epidemien - von Mpox bis zu großen Cholera-Ausbrüchen. "Es ist im 21. Jahrhundert absolut inakzeptabel, dass Menschen an Cholera versterben", kritisierte er mangelnde Hilfe.

Bei Mpox (früher Affenpocken) hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die höchste Alarmstufe einer "gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite" ausgerufen, wie sie auch bei Corona längere Zeit gegolten hat, und diese am 22. November verlängert. Auch wenn wir von der Nachrichtenlage nicht sehr viel hören, bleibt es für die Betroffenen eine Epidemie von großer Tragweite, sagte Bachmann. Seit Beginn des Vorjahres wurden laut WHO in zwei Dutzend afrikanischen Ländern insgesamt mehr als 15.600 Mpox-Fälle registriert, vor allem in der Demokratischen Republik Kongo. Die Dunkelziffer ist wegen begrenzter Diagnosemöglichkeiten hoch.

Mpox-Impfstoffe limitiert

Es ist nach wie vor so, dass eine erhebliche Anzahl an Personen erkrankt und einige versterben. "In dem Zusammenhang ist es besonders bedauerlich, dass die präventiven Maßnahmen wie Impfstoffe nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung stehen", betonte Bachmann. "Das ist ein Nachhall, ein Echo, von dem, was wir aus der Covid-19-Pandemie kennen, mit der großen Verteilungsungerechtigkeit."

Die Produktion für Mpox-Impfstoffe sei limitiert. Es gebe in den Fabriken im globalen Norden wenig Interesse, zusätzliche Kapazitäten durch Umlagerung in den Produktionen zu schaffen. Hinzu komme, dass wohlhabende Länder größere Mengen des Impfstoffs bestellt haben und lagern. Wie bei den Covid-Impfstoffen ist es bei Mpox so weit, "dass Dosen im globalen Norden ablaufen und zur Vernichtung gebracht werden", betonte der humanitäre Berater von Ärzte ohne Grenzen Österreich mit Berufserfahrung in der pharmazeutischen Industrie.

Marburg-Virus eingedämmt

Die Reaktion auf den Ausbruch des Marburg-Virus in Ruanda heuer kann dagegen als Beispiel dafür genommen werden, was möglich ist, "wenn es an politischem Willen und Priorisierung nicht fehlt". Die hämorrhagische Fiebererkrankung ähnlich dem Ebola-Virus wurde mit einer international koordinierten Vorgangsweise bekämpft, berichtete Bachmann. Ein Impfstoffkandidat und ein Medikament wurden versuchsweise eingesetzt, "so konnte der Ausbruch unter Kontrolle gebracht werden". Von den 66 dokumentierten Fällen sind 15 Menschen verstorben. Das sei die niedrigste Mortalitätsrate in der Geschichte von Marburg-Ausbrüchen.

Das Marburg-Virus werde mit früheren Sterberaten von 25 bis über 90 Prozent je Ausbruch vom Bedrohungspotenzial anders eingeschätzt als Mpox, erklärte Bachmann zum Grund für die unterschiedliche internationale Reaktion. Mpox sei dagegen, wenn es im globalen Norden ausbricht, mit der dortigen gesundheitlichen Versorgung eine Krankheit ohne Langzeitfolgen.

Massive Impflücken

Hinzu kamen in Afrika dieses Jahr "bedauerlicherweise im Wesentlichen durch Impfungen vermeidbare Erkrankungen", wie Masern, Diphtherie und Keuchhusten, berichtete Bachmann. "Es ist nicht nur, aber schon auch der Covid-19-Pandemie geschuldet, dass es zu einer massiven Impflücke gekommen ist weltweit, aber noch mal disproportional im globalen Süden." Präventive Maßnahmen wie Impfungen seien depriorisiert worden. Der Experte von Ärzte ohne Grenzen war Anfang des Jahres in Niger, als es zu Diphtherie-Epidemien mit zehn Prozent Sterblichkeitsrate kam. "Diphtherie- und Keuchhusten-Ausbrüche in dieser Dimension haben wir seit Jahrzehnten nicht gesehen", sagte er.

Dazu kommt Cholera mit ebenfalls der größten Epidemie der Krankheit seit Jahrzehnten, berichtete Bachmann. Durch die Fluchtbewegung vor dem Konflikt im Sudan in den Südsudan sei es zu einem massiven Ausbruch mit hoher Sterblichkeitsrate gekommen. Gegen die bakterielle Darmerkrankung gibt es nicht genügend Impfstoffe. Einer der beiden Hersteller hatte heuer seine Produktion eingestellt. Nun wird, obwohl der optimale Schutz durch zwei Teilimpfungen entsteht, nur eine Impfung verabreicht, um mehr Menschen zu erreichen. Aber selbst mit diesem Impfschema können nicht alle geimpft werden, die geimpft werden müssten, sagte Bachmann. "Es ist eigentlich inakzeptabel, dass wir hier Mangelverwaltung betreiben müssen."

Zoonosen werden wahrscheinlicher

Auch außerhalb von Afrika sind Menschen in Ländern des globalen Südens von Epidemien betroffen. Bachmann verwies auf Indien oder auf Bangladesch, wo im Flüchtlingslager von Cox's Bazar rund 900.000 Rohingya unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten würden. Die sanitäre und hygienische Situation sei katastrophal, die Lebensbedingungen daher "geradezu ideal für Krankheitsausbrüche". Rund 40 Prozent litten an Krätze bzw. der Krätzmilbe, ehe durch gezielte Massenbehandlung der Ausbruch eingedämmt werden konnte. Mit 20 Prozent gibt es auch eine "extrem hohe Prävalenz von Hepatitis C in diesen Lagern".

"Das Reservoir an bekannten Erregern ist groß", betonte Bachmann. In Hinblick auf die "sich dramatisch öffnende Impflücke" gebe es sehr viel Potenzial für weitere Epidemien. Zudem gibt es Gebiete wie das Kongobecken und die zentralafrikanischen Regenwälder, die für Zoonosen, also von Wirbeltieren auf den Menschen übertragbare Krankheiten, besonders anfällig sind. "Wir Menschen dringen immer tiefer in diese Habitate ein, die Mobilitätsmuster verändern sich und die Verstädterung schreitet auch in Afrika voran", sagte Bachmann. Das lasse Zoonosen wahrscheinlicher werden.

Bereits jetzt sind die Menschen in Sub-Sahara-Afrika von multiplen Epidemien betroffen, warnte der humanitäre Experte von Ärzte ohne Grenzen. "Dabei kommt es zu einem extremen Flaschenhals, wenn es um die Gesundheitsversorgung der Menschen geht."

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