Umfragen sehen einen Abstand von rund zehn Prozentpunkten zwischen Präsident und Herausforderin - Fernsehdebatte könnte entscheidend sein
Mit diesem Ergebnis hat der französische Präsident nicht gerechnet: Emmanuel Macron gewann zwar glatt die erste Runde der Präsidentenwahl am 10. April, seine stärkste Herausforderin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, blieb aber bloß 4,7 Prozentpunkte hinter ihm. Bei der Stichwahl am 24. April erscheint es daher nicht mehr unmöglich, dass sie dem Amtsinhaber an den Wahlurnen gefährlich werden kann.
Noch vor kurzem hatte wohl niemand einen derart knappen Ausgang vorausgesehen. Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar waren Macrons Umfragewerte steil in die Höhe geschnellt. Doch in den beiden Wochen vor der Wahl sanken sie rapide auf Vorkriegs-Niveau. Demgegenüber stieg die Zustimmung für Le Pen steil an - obwohl sie als langjährige Sympathisantin von Russlands Präsident Wladimir Putin bekannt ist. Die Rechtsaußen-Politikerin hatte allerdings den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt und die Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen befürwortet. Damit nahm sie etwaigen Attacken wegen ihrer früheren pro-russischen Positionen den Wind aus den Segeln.
Stimmenkonzentration
Am bedeutsamsten für Le Pens hohe Zustimmung war jedoch der Umstand, dass die Wählerinnen und Wähler offenbar bereits in der ersten Runde auf die Kandidaten mit den besten Chancen setzten. "Der berühmte Spruch 'in der ersten Runde wählt man, in der zweiten eliminiert man' hat sich diesmal umgekehrt", analysierte der Politologe Jérôme Joffré vom Institut CECOP gegenüber der Zeitung "Le Figaro". "Bereits in der ersten Wahlrunde haben die Wähler massiv eliminiert. Was ins Auge sticht, ist die Konzentration der Stimmen auf drei Kandidaten, die insgesamt fast drei Viertel der Voten erhielten."
Diese Stimmenkonzentration war auch der Grund für den vollständigen Zusammenbruch der traditionellen Volksparteien, der Sozialisten (PS) und der konservativen, neogaullistischen Republikaner (LR). Die Republikanerin Valérie Pécresse erhielt bloß 4,8 Prozent der Stimmen, die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, gar nur 1,75 Prozent. Demgegenüber konnte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit 21,95 Prozent landesweit reüssieren, in den östlichen Vororten von Paris kam der unter jungen Wählern besonders beliebte 70-Jährige sogar auf den ersten Platz.
"Staudamm gegen rechts"
Nun stellt sich die Frage, wen die Unterstützer der anderen Kandidaten wählen und in den Élysée-Palast befördern wollen - den 44-jährigen zentrumsliberalen Amtsinhaber Macron oder die 53-jährige Rechtspopulistin Le Pen? Direkt nach Wahlschluss am 10. April hatten sich bereits die Kandidaten von Republikanern, Sozialisten, Grünen und Kommunisten für Macron ausgesprochen. Mélenchon, der an der Spitze der linken Bewegung "La France Insoumise" (Unbeugsames Frankreich) steht, hatte zwar keine direkte Empfehlung für den Amtsinhaber abgegeben - der als Wirtschaftsliberaler in linken Kreisen oft sehr kritisch gesehen wird -, aber betont, seine Anhänger sollten "nicht Frau Le Pen wählen".
2002 zog der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen, Marine Le Pens Vater, überraschend in die Stichwahl gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac ein. Daraufhin formierte sich umgehend eine "republikanische Front", um den Front-National-Chef im Élysée zu verhindern. Chirac, dessen Popularität in den Monaten vor der Wahl stark gesunken war, wurde in der zweiten Runde mit sensationellen 82,2 Prozent wiedergewählt.
Doch dieser "Staudamm" gegen den Vorstoß von rechts war bereits bei der Wahl 2017, als Marine Le Pen erstmals gegen Macron antrat, bei weitem nicht mehr so stabil. Sie erhielt in der Stichwahl mit 33,9 Prozent fast genau ein Drittel der abgegebenen Stimmen.
Diesmal könnte die Differenz noch deutlich geringer ausfallen, wie Umfragen belegen, die derzeit im Durchschnitt einen Vorsprung Macrons von zehn Prozentpunkten voraussagen. Eine Befragung von OpinionWay und KéaPartners sah in der Woche vor Ostern die beiden Kandidaten sogar noch deutlich knapper beisammen, bei 53 gegen 47 Prozent. Zuletzt rückten sie allerdings weiter auseinander: Ipsos sah in einer am Ostermontag veröffentlichten Befragung den Staatspräsidenten gar bereits zwölf Prozentpunkte vor der Rechtspopulistin.
Die Fernsehdebatte der beiden Bewerber am Mittwochabend könnte daher entscheidend für den Wahlausgang sein. Vor fünf Jahren galt Le Pens TV-Auftritt in einer Diskussionssendung mit Macron als einer der Hauptgründe für ihr Scheitern.
Allerdings ist unklar, wie sich jener Teil der Wählerschaft verhalten wird, der für keine der beiden Seiten besondere Sympathie hegt. Bleiben sie zu Hause, wählen sie ungültig - oder votieren sie doch für die Anti-Establishment-Kandidatin Le Pen? Nicht weniger als 45 Prozent der Wähler des Drittplatzierten Mélenchon wollten etwa nicht sagen, wem sie ihre Stimme geben würden. Der Anteil jener Mélenchon-Wähler, die trotz des Aufrufs des Linkspolitikers der Rechtsaußen-Kandidatin ihre Stimme geben würden, liegt zwischen 18 und 25 Prozent. Das könnte noch viel Überraschungspotenzial für die Stichwahl bergen.
(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 0579-22, Format 88 x 70 mm)