Nahel M. wurde am Samstag beerdigt

Frankreich zittert vor neuen Mega-Krawallen

01.07.2023

In mehreren französischen Städten ist es die vierte Nacht in Folge zu Ausschreitungen gekommen. Am Samstag wurde der 17-jährige Lieferfahrer Nahel M. beerdigt. 

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Mehr als 1.300 Menschen seien festgenommen worden, teilte das Innenministerium am Samstag mit. Wegen der Ausschreitungen sagte Präsident Emmanuel Macron seinen geplanten Deutschland-Besuch ab. Ausgelöst wurden die Krawalle durch den Tod eines 17-Jährigen nordafrikanischer Abstammung. Nahel M. wurde am Samstag im engsten Familienkreis in Nanterre bestattet.

Der Jugendliche, dessen Familie aus Algerien stammt, war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre von einem Polizisten erschossen worden. Die Anwälte der Familie appellierten im Vorfeld an die Medien, den Trauerfeierlichkeiten fernzubleiben. Auf einem Twitter-Video war zu sehen, wie der weiße Sarg des Toten zu Grabe getragen wurde.

Nach vorläufigen Zahlen des Innenministeriums wurden bei den neuerlichen Krawallen in der Nacht auf Samstag landesweit 1.350 Fahrzeuge angezündet, 234 Gebäude in Brand gesetzt oder beschädigt und 2.560 Brände auf Straßen gelegt. 79 Polizisten und Gendarmen wurden demnach verletzt. Insgesamt 1311 Menschen wurden festgenommen, deutlich mehr als in der Nacht zuvor. Insgesamt flaute die Gewalt nach den Worten von Innenminister Gérald Darmanin aber ab.

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Besonders heftig waren die Ausschreitungen in Marseille. In Frankreichs zweitgrößter Stadt leben zahlreiche Menschen nordafrikanischer Herkunft. Dort brach laut Polizei "in Verbindung" mit den Ausschreitungen in einem Supermarkt ein Feuer aus. Im Zentrum der südfranzösischen Hafenstadt schleuderten junge und oft vermummte Demonstranten Wurfgeschosse auf Polizeitransporter, die Polizei setzte Tränengas ein. Auch in Paris gingen die Unruhen weiter. Nach Angaben der Behörden handelt es sich bei den Randalierern um mobile, gut vernetzte und oft "sehr junge" Menschen.

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Die französischen Behörden hatten ihre Maßnahmen am Freitag nochmals verschärft, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen. 45.000 Polizisten und Gendarmen wurden mobilisiert, etwa 5.000 mehr als in der Nacht zuvor.

Öffi-Verkehr eingeschränkt

Zudem wurde ab 21.00 Uhr landesweit der Verkehr von Bussen und Straßenbahnen eingestellt und der Verkauf von Feuerwerk und entflammbaren Flüssigkeiten untersagt. Großveranstaltungen wie Konzerte wurden abgesagt, mehrere Orte verhängten nächtliche Ausgangssperren.

Im Ballungsraum Paris sollte auch am Samstagabend wieder der Verkehr von Bussen und Straßenbahnen ruhen und der abendliche Métro-Betrieb um eine Stunde verkürzt werden. In Marseille sollte der gesamte öffentliche Verkehr ab 18.00 Uhr eingestellt werden. Erneut wurden dort alle Protestkundgebungen untersagt. Ein Fanclub des Fußballvereins Olympique Marseille rief alle jungen Bewohner der Stadt zur Zurückhaltung auf.

Macron trifft Bürgermeister

Macron will sich wegen der Krawalle mit Bürgermeistern treffen. Einige Kommunalpolitiker hatten zuvor Ausgangssperren und eine Verstärkung der Polizei gefordert, um der heftigen Krawallen Herr zu werden. Der Präsident müsse wegen der innenpolitischen Situation in den nächsten Tagen in Frankreich bleiben, teilten der Elysee-Palast und das Bundespräsidialamt am Samstag mit. Macron habe mit dem deutschen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert und diesen über die Situation in seinem Land unterrichtet, sagte eine Sprecherin Steinmeiers. "Präsident Macron hat darum gebeten, den geplanten Staatsbesuch in Deutschland zu verschieben."

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Der Bürgermeister von Marseille, Benoit Payan, rief die Regierung auf, umgehend zusätzliche Sicherheitskräfte zu schicken. "Die Plünderungs- und Gewaltszenen sind inakzeptabel", schrieb er Freitagnacht auf Twitter. In Lyon, Frankreichs drittgrößter Stadt, setzte die Polizei Schützenpanzerwagen und einen Hubschrauber ein. Auch der dortige Bürgermeister Gregory Doucet forderte Verstärkung. In Paris räumte die Polizei am Freitagabend die Place de la Concorde, den größten Platz der Hauptstadt. Dort hatten sich zahlreiche Menschen zu einer Protestkundgebung versammelt.

Schwerste Krise seit Gelbwesten 2018

Der Gewaltausbruch hat Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung in die schwerste Krise seit Beginn der Gelbwesten-Proteste im Jahr 2018 gestürzt. Die Verhängung des Notstandes hat Macron bisher nicht angeordnet - ausgeschlossen ist das Darmanin zufolge allerdings nicht. "Wir schließen keine Hypothese aus, und wir werden nach heute Abend sehen, wie sich der Präsident der Republik entscheidet", sagte er dem Sender TF1 am Freitagabend.

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Viele Menschen aus armen Stadtvierteln, in denen Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher ethnischer Herkunft leben, fühlen sich benachteiligt und von der Regierung vernachlässigt. Seit langem häufen sich zudem Beschwerden über Polizeigewalt und Rassismus. Die Krawalle erinnern an die Straßenschlachten im Jahr 2005, die damals drei Wochen lang dauerten. Damals hatten sich in Paris zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in einem Transformatorenhäuschen versteckt und kamen durch Stromschlag ums Leben. Präsident Jacques Chirac sah sich seinerzeit gezwungen, den Ausnahmezustand zu verhängen.

Polizist nach Todesschuss in U-Haft

Videoaufnahmen von der Tötung von Nahel M. wurden in den sozialen Medien verbreitet. Der Polizist hat eingeräumt, den Schuss auf den Jugendlichen abgegeben zu haben, als dieser mit seinem Wagen trotz der Kontrolle weiterfuhr. Sein Anwalt Laurent-Franck Lienard sagte, sein Mandant habe auf das Bein des Fahrers gezielt, sei aber beim Anfahren des Autos angefahren worden, wodurch er in Richtung Brust geschossen habe. "Offensichtlich wollte er den Fahrer nicht töten", sagte Lienard im Fernsehsender BFM. Der Polizist ist in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Totschlag.

Österreich, Deutschland, Großbritannien und die USA hatten wegen der Unruhen ihre Bürger mit Reiseplänen in Frankreich bereits am Freitag zur Vorsicht aufgerufen und ihre Sicherheitshinweise aktualisiert. Der Vorsitzende des Verbandes des Hotel- und Gaststättengewerbes, Thierry Marx, berichtete von zahlreichen Reservierungsabsagen.

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