Frankreichs Finanzministerin
Lagarde kandidiert als IWF-Chefin
25.05.2011
Die konservative Politikerin will Dominique Strauss-Kahn nachfolgen.
Europa hat beste Aussichten, in der Schuldenkrise den wichtigen Chefposten des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu behalten. Knapp eine Woche nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn wegen eines Sex-Skandals kündigte am Mittwoch Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde ihre Kandidatur an. Zuvor hatte sie sich die Zustimmung der entscheidenden Verbündeten gesichert: Diplomaten zufolge wird die 55-jährige konservative Politikerin nicht nur von der Europäischen Union (EU) unterstützt, sondern auch den USA und China. Allein die Stimmen von EU und den Vereinigten Staaten würden reichen, um die Anwärterin auch gegen den Widerstand von Schwellenländern durchzusetzen. Allerdings dringen aufstrebende Staaten wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) in einer gemeinsamen Erklärung vehement darauf, dass die Europäer ihren traditionellen Anspruch auf den IWF-Chefsessel aufgeben.
Lagarde bereit zu Reformen
Lagarde machte deutlich, diese Forderungen ernst zu nehmen, und signalisierte ihre Bereitschaft zu Reformen. Sollte sie gewählt werden, werde sie sich dafür einsetzen, dass der Währungsfonds flexibler werde und der Einfluss der Staaten gestärkt werde, sagte sie bei einer Pressekonferenz in Paris. Das Amt bezeichnete Lagarde als "immense Herausforderung, die ich mit Demut angehe, und in der Hoffnung, die größtmögliche Zustimmung zu erreichen". Die Unterstützung aus einer ganzen Reihe von Ländern habe sie zu ihrer Kandidatur ermutigt. "Ein Europäer zu sein, sollte kein Plus sein, es sollte aber auch kein Minus sein", sagte die Französin.
Auch Kanzlerin Merkel für Lagarde
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich für Lagarde starkgemacht - nicht zuletzt in Ermangelung eines geeigneten deutschen Kandidaten. "Die Bundesregierung unterstützt diese Kandidatur nachdrücklich", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Angesichts der Schuldenkrise in vielen Euro-Ländern begrüßte auch EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso die Kandidatur der Französin. "Frau Lagarde ist in der internationalen Gemeinschaft gut angesehen", sagte er. Der IWF ist an den gewaltigen Rettungspaketen für Griechenland, Irland und Portugal in großem Umfang beteiligt. Lagarde gilt als Gegnerin radikaler Schritte zur Lösung der Krise. Sie bekräftigte, grundsätzlich gegen eine Umschuldung zu sein. Eine solcher Schritt war zuletzt für das schwer angeschlagene Griechenland im Gespräch.
Christine Lagarde im Visier der französischen Justiz
Die Kandidatur der Französin gefährden könnte noch die heimische Justiz. Lagarde sieht sich mit Vorwürfen des Amtsmissbrauchs konfrontiert, weil sie gegen den Rat ihres Ministeriums in einen Rechtsstreit einen für den Staat sehr kostspieligen Vergleich akzeptierte. Nach Auskunft von Diplomaten haben französische Regierungsvertreter gegenüber anderen Regierungen bereits signalisiert, dass dieser Fall Lagardes Bewerbung nicht stoppen werde. Die Ministerin äußerte sich selbst gelassen: "Ich handelte im Interesse des Staates und unter Beachtung der Gesetze."
Erste Frau an der Spitze des IWF
Lagarde wäre die erste Frau, die auf den IWF-Chefsessel gewählt wird. Bislang wird der Posten seit Gründung des wichtigen Kreditgebers für in Not geratene Länder am Ende des Zweiten Weltkrieges von einem Europäer besetzt. An dieser ungeschriebenen Regel rütteln die führenden Schwellenländer mittlerweile heftig, sie verweisen auf ihr deutlich gestiegenes Gewicht in der Weltwirtschaft. Auf einen gemeinsamen Kandidaten bereits für die anstehende Neubesetzung konnten sich die Schwellenländer aber nicht einigen. Bisher schicken lediglich Mexiko und womöglich noch Südafrika und Kasachstan eigene Kandidaten ins Rennen.
Auch China unterstützt die Französin
Die Gunst der Chinesen erwarb sich Lagarde im Rahmen der Verhandlungen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G-20), die in diesem Jahr unter dem Vorsitz Frankreichs geführt werden. Französischen Regierungsvertretern zufolge begrüßte Peking insbesondere Lagardes sensiblen Umgang mit dem strittigen Thema Yuan-Kurs. Vor allem die USA werfen China vor, sich durch eine künstliche Abwertung der heimischen Währung unfaire Handelsvorteile zu verschaffen.
Faymann: "Hochqualifizierte Ministerin"
Österreich wird die französische Finanzminsterin Christine Lagarde bei ihrer Kandidatur für die Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützen. Das kündigte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) Mittwochnachmittag am Rande der OECD-Jubiläumsfeierlichkeiten in Paris vor Journalisten an. Lagarde sei eine "hochqualifizierte Ministerin" und mit Sicherheit geeignet, die wichtige Aufgabe auszufüllen, zeigte sich Faymann überzeugt. Auch die österreichische Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer bzw. einer Verbreiterung der Einnahmenbasis, um die Staatsaufgaben zu finanzieren, werde von ihr mitgetragen.
Steckbrief von Christine Lagarde auf Seite 2 >>
Steckbrief Christine Lagarde
Nach dem Rücktritt von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hat Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde heute, Mittwoch, offiziell ihre Kandidatur für die IWF-Führung bekanntgegeben.
- Geboren am 1. Jänner 1956 als Christine Lallouette wurde sie von ihrer Mutter und ihrer Großmutter großgezogen. Der Vater, ein Englisch-Professor, starb früh. Als Jugendliche war sie Mitglied des französischen Synchronschwimmerinnen-Teams.
- Mit 25 Jahren schloss Lagarde ihr Studium (Englisch und Arbeitsrecht) in Paris ab und trat in die Chicagoer Kanzlei Baker McKenzie ein. Schnell erwarb sie sich den Ruf einer harten Verhandlerin und wurde erste Chefin des Unternehmens.
- Präsident Nicholas Sarkozy ernannte sie 2007 zur Wirtschaftsministerin, nachdem sie zuvor bereits das Handelsressort geleitet hatte.
- Durch souveränes Auftreten erwarb sie sich im Kreis der führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20) großes Ansehen. Sie war zudem maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des 750-Milliarden-Euro-Rettungsfonds in der Finanzkrise 2009 und bei der Begrenzung der Macht von Hedge-Fonds.
- In der aktuellen Schuldenkrise tritt sie mit Nachdruck einer Umschuldung Griechenlands entgegen. Sie verlangt Solidarität innerhalb der Euro-Zone: Große Länder wie Frankreich und Deutschland müssten in Schwierigkeiten geratenen kleineren Ländern helfen. Diese wiederum seien zu schmerzhaften Reformen verpflichtet, wie Privatisierungen und Sparprogrammen.
- Sie ist die erste und bisher einzige Wirtschaftsministerin der G-8-Staaten. "Die Financial Times" verlieh ihr im vergangenen Jahr den Titel der besten Finanzministerin der Euro-Zone. Auf der "Forbes"-Liste der wichtigsten Frauen der Welt steht sie auf Platz 17.
- Innenpolitisch setzte Lagarde eine Abschwächung der von den Sozialisten eingeführten 35-Stunden-Woche durch.
- Gefährden könnte ihre Kandidatur ein Verfahren wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder. Ein Staatsanwalt empfahl Anfang Mai, Lagardes Rolle bei der Entschädigung des Geschäftsmanns Bernard Tapie zu untersuchen. Dieser hatte 1993 seinen Anteil am Sportartikelkonzern Adidas durch die damals staatliche Bank Credit Lyonnais verkauft. Dieser bekam später einen Nachschlag von 285 Mio. Euro, dem Lagarde gegen Widerstand aus ihrem Ministerium zustimmte.