Karl Wendl in Libyen
Gaddafi schlägt zurück
02.03.2011Diktator erobert "Rebellen-Städte" . ÖSTERREICH-Reporter live dabei.
Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi versuchen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Gaddafi lässt sich schon feiern.
„Ruhe, Ruhe“, schreit Ali Al-Mansuri, ein Bauingenieur, in sein Handy. Ich stehe am Hafen von Bengasi, direkt vor dem ausgebrannten Gerichtsgebäude. Gerade nehmen einige hundert Männer Abschied von einem 19-Jährigen – von Heckenschützen erschossen. Sein schlichter Holzsarg liegt unter einem weißen Tuch.
Zivile Opfer bei Kampf um Öl-Stadt Brega
Plötzlich erhält Al-Mansuri Nachrichten aus Brega, einer Stadt 50 Kilometer südwestlich von Bengasi. Brega ist heftig umkämpft. Erstmals seit Tagen: „Zuerst griff die Armee aus der Luft an, dann rückten die Sonderheiten von Al-Gaddafi an, schossen willkürlich auf Zivilisten“, erzählt Al-Mansuri. 14 Opfer werden beklagt, „Aber wir haben noch die Kontrolle“, behauptet er.
Brega ist ein wichtiger Ölhafen, hier steht auch die größte Raffinerie: „Verliert er die“, sagt Al-Mansuri, „sind 90 Prozent der libyschen Ölproduktion in unserer Hand“. Die zweitgrößte Raffinerie in der Nähe der ostlibyschen Stadt Tobruk ist schon in der Hand der Rebellen.
Während die Rebellen Brega verteidigen, fliegt Gaddafis Armee schwere Luftangriffe auf die Nachbarstadt Adschdabija. Munitionsdepots wurden bombardiert.
Gaddafi-treue Truppen hatten den Flughafen Marsa al-Brega am Dienstagabend angegriffen. Medienberichte, wonach die Soldaten das Flugfeld unter ihre Kontrolle gebracht hätten, wurden von den Aufständischen zurückgewiesen.
Heftige Kämpfe finden auch in der Stadt Sintan statt.
Rebellen feiern in Bengasi Sieg gegen Gaddafi
Währenddessen wurde in Bengasi, der zweitgrößten Stadt Libyens, in der Nacht auf Mittwoch gefeiert. Zehntausende versammelten sich am Hafen. Musik dröhnte, die Rebellen feuerten Freudensalven aus Kalaschnikows in den Nachthimmel: „Gaddafi ist ein toter Mann“, sagte Mohammed Al-Bakush (53), Uni-Professor im US-Bundesstaat Ohio, zu mir. Für den Befreiungskampf kehrte er zurück nach Libyen. Er zeigte mir „sein Bengasi“.
Gaddafi lässt sich im Fernsehen feiern
Wir fahren vorbei an ausgebrannten Polizei- und Militärkasernen, der geplünderten „National Commercial Bank“ und den abgefackelten Häusern der Gaddafi-Anhänger. Bei einem Café bleiben wir stehen. Wie überall steht eine Menschentraube vorm Fernseher: Wir sehen Muammar Gaddafi. Der angeschlagene Tyrann präsentiert sich als starker Mann, bejubelt von Anhängern spricht er, bezeichnet seine Gegner als üble Terroristen: „Ich werde Libyen verteidigen bis zum letzten Tropfen Blut“, sagt Gaddafi. Die Wut der TV-Zuseher ist spürbar: „Wir holen dich“, schreien die Männer und recken die Fäuste.
Gaddafi im O-Ton: "Tausende werden sterben"
Tripolis. Wieder trat Gaddafi im TV mit einer seiner berühmten Wut-Ansprachen auf. Im Staatsfunk meldete er sich anlässlich des „34. Jahrestags der Herrschaft des Volkes.“
Über seine Kampfeslust: „Bis zum letzten Mann und bis zur letzten Frau werde ich kämpfen, um mein Land zu verteidigen. Sollte das Ausland militärisch eingreifen, wird es Tausende Todesopfer geben – Tausende Libyer werden sterben, wenn Amerika oder die NATO intervenieren.“
Über das Einfrieren seines Vermögens: „Das ist einfach Diebstahl.“
Seine Gäste riefen wiederholt: „Gott, Muammar,
Libyen und sonst nichts.“
Ich war in Gaddafis Folter-Gefängnis
Hier wurden Regime-Gegner gefoltert und getötet: ‚Katiba‘ war Gaddafis Horror-Gefängnis. ÖSTERREICH-Reporter sah die Zellen unter der Erde.
Reporter Wendl am Eingang zum
Horror-Verlies - © TZ ÖSTERREICH/Wendl
Sie nennen es „Katiba“. Hier ließ Gaddafi seine Gegner einsperren, foltern, ermorden: „Jeder Stein der Katiba kann eine Horrorgeschichte erzählen“, sagt Ahmed, mein Fahrer. Das Areal steht mitten in der Stadt: Ein ausgebrannter Ex-Palast Gaddafis, daneben das Gefängnis. Umgeben ist der Komplex von einer drei Meter hohen Mauer: „Früher hörten wir nur die Schreie“, sagt Ahmed, „jetzt sehen wir, was er angerichtet hat.“
Einzelhaft
Durch ein gesprengtes Metalltor fahren wir auf einen Innenhof, so groß wie ein Fußballplatz. Am Ende des Platzes eine weiße Mauer: „Fuck“ ist an die Wand geschmiert. Hinter der Mauer: Knapp ein Dutzend schwere, 30 Zentimeter dicke Metalltüren. Sie führen zu unterirdischen Verliesen: „Hier wurden wir in Einzelhaft gehalten. Wie Tiere. Zehn Meter tief unter der Erde.“
Ich zwänge mich durch eine Tür. Sehe eine Betontreppe. Zwei Stockwerke geht es in die Tiefe. Es ist kalt, Schimmel an den Wänden. Dann komme ich in einen Raum, an den Wänden Metallhaken: „Hier wurden wir angekettet“, sagt Ahmed. 10, 15 Männer sollen hier jahrelang gesessen sein: „Das war aber nicht das Schlimmste“, sagt Ahmed. Er führt mich in einen anderen Gefängnisbunker. Einzelzellen sind zu sehen: kein Fenster, kein Licht, nichts. Nur Beton. Sechs Männer haben sie vor wenigen Tagen aus diesen Löchern geholt. Lebend: „Wir haben sie mit Baggern ausgegraben, die Betondecken durchschlagen.“
Folter unter Moschee
Noch immer wird in der Katiba gegraben: „Niemand kann sagen“, behauptet Ahmed, „ob es noch weitere unterirdische Gefängnisse gibt.“ Selbst unter der Moschee haben sie Geheimgänge zu Folterkellern gefunden: „Elektroschock, Schlafentzug, Schläge mit Kabeln“, das alles haben sie mit den Häftlingen gemacht. Es stinkt nach Urin, Kot. Obwohl bereits zahlreiche Keller aufgebrochen sind, frische Luft durchziehen kann, ist es beinahe unerträglich in diesen Löchern. Wie viele Menschen hier ums Leben kamen – niemand weiß es. „Sag der Welt, was du hier gesehen hast“, bittet mich Ahmed, als wir Gaddafis Folterlöcher wieder verlassen.
Hätte ich es nicht selbst gesehen, ich würde es nicht glauben, dass es das im Reich des Tyrannen gegeben hat.