Ein israelisches Kommando stürmte Boote der "Solidaritätsflotte", die den Palästinensern Hilfsgüter bringen wollte.
Die israelischen Streitkräfte haben am Montag einen internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für den Gazastreifen gestürmt und mehrere Aktivisten getötet. Nach jüngsten Angaben der Armee wurden neun Aktivisten getötet. Außerdem seien sieben israelische Soldaten verletzt worden. Einer von ihnen schwebe weiterhin in Lebensgefahr. Die Armee hatte zunächst von zehn Toten gesprochen.
Der israelische Fernsehsender Kanal 10 korrigierte seine Angaben zu den Todesopfern der Erstürmung der Gaza-Flottille. Es seien mindestens zehn Menschen getötet worden, berichtete der Privatsender am Montag, nachdem er zuvor 19 Tote und 36 Verletzte gemeldet hatte. Die genauen Opferzahlen waren jedoch nach wie vor unklar. Eine türkische Nichtregierungsorganisation, die sich an der Hilfsflotte beteiligte, sprach von mindestens 15 Toten, die meisten von ihnen Türken.
Die internationale Gemeinschaft reagierte empört, die Türkei berief ihren Botschafter ab.
Keine Österreicher an Bord
An Bord der Gaza-"Solidaritätsflotte" waren offenbar keine Österreicher. Nach Angaben des Außenamtssprechers Peter Launsky-Tieffenthal am Montag gebe es sowohl aus österreichischen wie auch aus israelischen Kanälen derzeit keinen Hinweis auf die Anwesenheit von Österreichern auf den Booten. Zuvor hatte es unbestätigte Meldungen gegeben, wonach auch Österreicher an Bord eines der Schiffe gewesen seien.
Entgegen ersten Informationen haben sich nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts zehn Deutsche an Bord der Hilfsflotte für den Gazastreifen befunden. Ein Sprecher sagte am Montag in Berlin, Mitarbeiter der deutschen Botschaft seien in der israelischen Hafenstadt Ashdod, wo einige der Schiffe angelangt seien, und "bemühen sich um Zugang". Der israelische Botschafter sei außerdem im Auswärtigen Amt in Berlin gewesen und sei "um gründliche Aufklärung des Vorgangs insbesondere zur Situation der deutschen Staatsangehörigen gebeten" worden, sagte der Sprecher.
Die beiden deutschen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, die sich auf dem von israelischen Soldaten gestürmten Schiff "Mavi Marmara" befanden, sind wohlauf. Das teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Montagabend in Berlin mit. Auch drei weiteren Deutschen gehe es den Umständen entsprechend gut. Nach Angaben der Linkspartei sei auch der frühere Linken-Abgeordnete Norman Paech unverletzt.
Bangen um Mankell
Der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell, der sich an Bord eines der Schiffe des von Israel gestoppten Hilfskonvois für den Gaza-Streifen befunden hatte, war am Montagabend gemeinsam mit vier weiteren prominenten Aktivisten aus Schweden in Gewahrsam der israelischen Armee in der Hafenstadt Ashdod. Das sagte der Pressechef im schwedischen Außenministerium, Anders Jörle, gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT.
Jörle dementierte Berichte skandinavischer Online-Medien vom Nachmittag, wonach Mankell bei dem israelischen Angriff verletzt worden sei. Leichte Gesichtsverletzungen im Tumult an Bord eines der Schiffe habe jedoch der schwedisch-israelische Künstler Dror Feiler davongetragen, hieß es seitens des Sprechers.
Laut Ministerium wurden insgesamt neun Schweden von der israelischen Armee festgenommen. Vier davon befänden sich in einem Gefängnis in Beersheba. Die fünf, unter denen sich Mankell, Feiler sowie der Grünen-Abgeordnete Mehmet Kaplan befinden, seien vor die Wahl gestellt worden, Israel mittels "freiwilliger Deportation" sofort zu verlassen oder ebenfalls ins Gefängnis zu gehen, sagte der Sprecher.
Widersprüche
Was genau sich in den frühen Morgenstunden im Mittelmeer abspielte, war unklar. Ein Reporter berichtete von einem der Schiffe, die Israelis hätten schon geschossen, bevor sie an Bord gekommen seien. Die israelischen Streitkräfte wiederum erklärten, die Soldaten seien mit Messern, Eisenstangen und scharfer Munition attackiert worden.
Die israelischen Streitkräfte haben nach Angaben von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu aus Notwehr gehandelt. Die Soldaten seien angegriffen worden, sagte Netanyahu am Montag nach einem Treffen mit dem kanadischen Regierungschef Stephen Harper in Toronto. Die Schiffe hätten nach Waffen durchsucht werden sollen, und das sechste habe bei der Kontrolle nicht kooperiert.
"Free Gaza"
Die Organisation "Free Gaza", die den Konvoi zusammengestellt hatte, nannte das israelische Vorgehen "abscheulich". "Wir sind Zivilisten", sagte Sprecherin Greta Berlin auf Zypern.
Die israelische Marine schleppte bis Montagnachmittag vier der sechs Schiffe in den Hafen von Ashdod. Das türkische Passagierschiff "Marmara" mit rund 570 Aktivisten an Bord war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch auf See. Israel hat angekündigt, all jenen den Prozess zu machen, die Soldaten verletzt hätten. Die anderen Aktivisten sollen ausgewiesen werden. Falls sie nicht freiwillig das Land verlassen, sollen sie inhaftiert werden.
Empörung in der Türkei
Die Türkei hat am Montag im UN-Sicherheitsrat die scharfe Kritik an Israel erneuert. Israel habe "jegliche internationale Legitimität verloren", sagte der türkische Außenminister Ahmed Davutoglu in New York. Davutoglu warf Israel ein "schweres Verbrechen unter Missachtung aller Werte, die wir seit der Gründung der Vereinten Nationen zu verteidigen geschworen haben" vor.
Israels Erstürmung des internationalen Hilfskonvois sei eine "schwere Verletzung des internationalen Rechts". "In einfachen Worten, das kommt Banditentum und Piraterie gleich, Mord im Auftrag des Staates". Ein Staat, der einen solchen Weg einschlage, habe seine Legitimität verloren, sagte Davutoglu in einer emotionalen Rede im Rat. Der UN-Sicherheitsrat war am heutigen Montag zu einer Sondersitzung wegen des israelischen Angriffs auf einen internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für Palästinenser zusammengekommen.
Ausschreitungen in Paris und Athen
Bei Protesten gegen die israelische Erstürmung eines Schiffskonvois mit Hilfslieferungen für den Gazastreifen ist es am Montag in Athen und Paris zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Vor der israelischen Botschaft in Athen demonstrierten rund 2.500 Menschen, Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Blendgranaten ein. Einige Demonstranten warfen Steine und versuchten zum Botschaftsgebäude vorzudringen. In Paris ging die Polizei mit Tränengas und Pfefferspray gegen mehrere hundert Demonstranten vor.
An dem Protest in der französischen Hauptstadt beteiligten sich laut Polizei rund 1.200 Menschen. Sie brachten den Verkehr nahe der israelischen Botschaft zum Erliegen, viele riefen "Israel, Mörder" und "Wir alle sind Palästinenser".
Spindelegger bestürzt
Außenminister Michael Spindelegger (V) zeigte sich bestürzt über die "blutige Eskalation". "Ein solches Blutvergießen ist schockierend, und ich erwarte mir eine rasche und lückenlose Aufklärung", erklärte der Außenminister. Der Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Johannes Kyrle, sei beauftragt worden, den israelischen Botschafter umgehend einzubestellen und auf Klarstellung der Situation zu dringen.
Faymann fordert Aufklärung
Bundeskanzler Werner Faymann hat sich bestürzt gezeigt und die Weiterverfolgung des Friedensprozess eingemahnt. "Darüber hinaus ist eine umfassende Untersuchung und eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle dringend notwendig", so der österreichische Regierungschef in einer Aussendung.
Der Bundeskanzler sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Nach der gewaltsamen Erstürmung von Booten durch die israelische Armee vor der Küste des Gaza-Streifens sei die Lage in der Region äußerst ernst. Nun müsse allen Konfliktparteien daran liegen, die Situation wieder zu deeskalieren. Österreich setze sich auch als Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in der am Montagabend stattfindenden Sitzung aktiv für ein Ende der Gewalt ein, so der Bundeskanzler.
Bedauern
Auch in Spanien, Schweden, Frankreich und Griechenland verlangten die Regierungen Aufklärung von den israelischen Botschaftern. Italien bedauerte den "Tod von Zivilpersonen", Norwegen sprach von einer vollkommen inakzeptablen Militärattacke gegen zivile Aktivisten. Der finnische Außenminister Alexander Stubb zeigte sich "zutiefst erschüttert". Der französische Präsident Nicolas Sarkozy sagte: "Die Umstände dieser Tragödie, die die Dringlichkeit eines Neustarts des Friedensprozesses unterstreicht, müssen vollständig aufgeklärt werden."
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte nach einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman: "Ich habe darauf gedrungen, dass es eine umfassende, transparente und neutrale Untersuchung geben muss über alle Umstände." Nach Angaben des Außenamtes waren insgesamt sechs Deutsche mit der "Solidaritätsflotte" unterwegs, darunter zwei Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.