Nach historischem Votum
Frust und blinde Wut in Athen
28.06.2011
Athen sagt Ja zum Sparen - und rettet so den Euro vor seiner größten Krise.
Kurz nach 16 Uhr versank die Innenstadt von Athen in nackter Gewalt: Tausende vermummte Demonstranten wollten das „Ja“ zum Sparpaket nicht hinnehmen und belagerten das Parlament: „Wartet nur, bis ihr rauskommt“, skandierten sie. Die Polizisten rund um das Parlament und am Syntagma-Platz konterten mit Tränengas.
Einsparungen von rund 78 Milliarden Euro bis 2015
Die Abstimmung davor im Parlament verlief denkbar knapp: Am Ende machten gerade einmal fünf Stimmen den Unterschied. 155 von 300 Abgeordneten sprachen sich für das Sparpaket der Regierung aus, 138 votierten dagegen. Ein hauchdünnes Resultat: 151 Stimmen waren nötig, um das Gesetz zu verabschieden.
Das Sparpaket sieht zwischen 2012 und 2015 Steuererhöhungen und Abgabenkürzungen von etwa 28 Milliarden Euro und Privatisierungen im Umfang von 50 Milliarden Euro vor. Insgesamt soll die Regierung von Papandreou 78 Milliarden Euro einsparen.
Vor allem die Mittel- und Unterschicht ist betroffen und frustriert: Kfz-Steuer, Mehrwertsteuer und Grundsteuer für Häuser werden erhöht. Angestellte und Beamte müssen „Soli“ von fünf Prozent zahlen. Die Gehälter werden gekürzt, aber die Arbeitszeit wird erhöht – und vieles mehr.
Jetzt kann Griechenland Milliardenhilfe erhalten
Das „Ja“ ist Voraussetzung, dass die EU und der Internationale Währungsfonds die nächste Tranche aus dem 110 Milliarden Euro schweren Hilfspaket freigeben (siehe Kasten). Ohne diese Unterstützung wäre Griechenland schon Mitte Juli zahlungsunfähig gewesen – ganz Europa zitterte deshalb bis zuletzt. Ein „Nein“ des Parlaments hätte auch den Euro in eine schwere Existenzkrise getrieben.
Frust und blinde Wut im Zentrum von Athen
Angst, Frust, Wut. Es ist Mittwoch, kurz vor 16 Uhr Ortszeit. Im Parlament läuft die Abstimmung über das 78-Milliarden-Sparpaket. Auf dem Syntagma-Platz und den Nebenstraßen tobt seit Mittag eine wilde Straßenschlacht. Tausende Vermummte liefern sich erbitterte Kämpfe mit der Polizei. Der letzte Verzweiflungsakt. Die Polizei antwortet mit einer noch nie da gewesenen Tränengasorgie. Der Platz wird im Minutentakt eingenebelt. Es kracht, zischt.
Hustend am Boden
Ohne Atemschutzmaske hält es hier keiner mehr aus. Wütende Demonstranten werfen Mistkübel um, zünden den Inhalt an. Steine fliegen. Die Lage eskaliert. Eine Demonstrantin schreit mir zu: „Polizei und Demonstranten schrecken vor nichts mehr zurück.“
Der Syntagma-Platz und umliegende Straßen sind Kampfzone. Nach jedem Tränengashagel schieben die Massen sich in die Nebenstraßen. Ich versuche, mein Hotel zu erreichen, 200 Meter vom Syntagma-Platz entfernt. Als der Portier die elektronisch gesicherte Tür öffnet, schieben sich mit mir drei Dutzend Demonstranten in die Lobby. Die Leute husten, keuchen, ringen nach Luft. Ihre Augen sind knallrot, ihre Gesichter weiß verschmiert: Alle haben Melox im Gesicht, eine weiße Paste, die das Tränengas neutralisiert. Eine junge Frau ruft: „Ich sehe nichts mehr!“
Tränengasschwaden ziehen ins Hotel. Chaos pur. Die Leute liegen hustend auf dem Boden, reiben sich die Augen. Auf einem Flachbildschirm in der Lobby läuft gerade die Abstimmung.
„Kampf geht weiter“
16.20 Uhr Ortszeit. Gebannt warten alle auf das Ergebnis. Vor dem Hotel tobt die Schlacht weiter. Vermummte versuchen, das Parlament zu stürmen. Die Polizei schlägt sie zurück.
Dann wird das Ergebnis live im TV bekannt gegeben. Die Parlamentarier stimmen mit „Ja“ für das Sparpaket. Blanke Verzweiflung. Zuerst Stille. Gespenstisch. Dann ein wildes Pfeifkonzert. Einige zünden aus Frust Mülltonnen an. Andere schleudern Steine. Ich treffe Dimitris Janussis (39), einen Chirurgen: „Im Moment haben wir verloren, aber unser Kampf geht weiter.“
Er bricht schon am Abend aus. Am Syntagma-Platz lodern Lagerfeuer, wie von Sinnen dreschen Demonstranten auf Polizeiwagen ein, ins Finanzministerium fliegt ein Brandsatz. „King George“ und „Grand Britannia“ – die zwei Luxushotels müssen evakuiert werden. Gruppen machen Jagd auf Politiker, die das Parlament verlassen. Die ATE-Bank bei der Uni wird gestürmt. „Wir wollen Geld verbrennen“, rufen die Chaoten.
Bis zum Abend gibt es 600 Verletzte. Es ist der Beginn einer langen, lauten Nacht in Athen.
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22:16 Uhr: Am Donnerstag gibt es noch eine weitere Abstimmung im Parlament, bei der es um die Anwendung der Gesetze geht. Dazu sind weitere Protest angekündigt worden.
21:49 Uhr: Die Lage in Athen hat sich beruhigt. Es gibt nur noch vereinzelt kleinere Unruhen. Dennoch bleibt die Polizei in Stellung.
21:31 Uhr: In der provisorischen Krankenstation wurden bisher 600 Menschen behandelt. Etwa 40 davon mussten in ein "echtes" Krankenhaus.
21:09 Uhr: In Athen herrscht gedrückte Stimmung, berichtet Harald Müllner, Pressesprecher des österreichischen Teams bei den Special Olympics, das derzeit in der griechischen Hauptstadt weilt: "Alle sind heute mit ernster Miene herumgelaufen. Ich habe kein Lachen gesehen."
20:51 Uhr: Die Schlacht am Syntagma-Platz ist in vollem Gange. Die Polizei setzt weiterhin massiv Tränengas ein.
20:34 Uhr: Tränengasschwaden ziehen durch die griechische Hauptstadt.
20:01 Uhr: Die bisherige offizielle Bilanz: Rund 200 Verletzte, die meisten von ihnen haben Augen- und Atemwegsbeschwerden. Zudem wurden 26 Polizisten verletzt. 38 Menschen wurden festgenommen.
19:47 Uhr: Die Feuerwehr konnte sieben Personen in letzter Sekunde aus den brennenden Gebäuden retten.
19:28 Uhr: Für die hunderten Verletzten wurde eine Krankenstation in der U-Bahnstation am Syntagma-Platz eingerichtet.
19:07 Uhr: Jetzt brennt auch die ATE-Bank. Demonstranten haben sie mit Molotow-Cocktails beworfen.
Rauch aus dem Finanzministerium/ (c) AP
18:37 Uhr: Der Abgeordnete Alexander Athanassiadis von der regierenden sozialdemokratischen PASOK-Partei wurde auf einer Straße in Athen mit Wurfgeschoßen angegriffen. Er hatte kurz zuvor für das milliardenschwere Sparpaket gestimmt, nachdem er zunächst ein Nein angekündigt hatte.
18:05 Uhr: Vor der Universität demolieren Randalierer eine ATE-Bank. Sie werfen Steine gegen die Scheiben und brüllen: "Wir wollen das Geld verbrennen", berichtet die BILD.
17:52 Uhr: Die Randalierer schlagen zurück. Sie haben das Postamt am Syntagma-Platz (Anm.: In dem Gebäude ist auch das Finanzministerium) angezündet.
17:15 Uhr: Wegen der schweren Ausschreitungen in Athen ist das Luxushotel "King George Palace Hotel" am Syntagma-Platz evakuiert worden.
(c) EPA
16:41 Uhr: Die Polizei versucht den Platz vor dem Parlament zu räumen. Die Beamten schießen Tränengas - auch auf friedliche Demonstranten.
16:16 Uhr: EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sehen in der Annahme des Sparpakets für Athen durch das griechische Parlament einen "wichtigen Schritt nach vorn".
15:48 Uhr: Für das Sparpaket und somit für den entscheidenden Schritt zur Abwendung eines Staatsbankrotts stimmten 155 der insgesamt 300 Abgeordneten. 138 votierten dagegen, fünf enthielten sich und zwei nahmen an der Abstimmung nicht teil.
15:16 Uhr: In Athen sind schwere Krawalle ausgebrochen. +++ Wir halten Sie hier mit den neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden +++
15:11 Uhr: Das griechische Parlament hat dem Sparpaket der Regierung am Mittwoch zugestimmt. Damit ist die entscheidende Voraussetzung für weitere Milliardenhilfen von EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), erfüllt. Somit ist die Staatspleite vorerst abgewendet. Die nächste Finanzspritze kann kommen.
15:07 Uhr: EILMELDUNG: GRIECHISCHES PARLAMENT STIMMT SPARPAKET ZU ++
14:35 Uhr: Leere Ränge im Parlament
Ganz Europa schaut gebannt auf das griechische Parlament, aber die Abgeordneten debattieren vor halbleeren Rängen. Auch die Regierungsbank ist bei der Diskussion am Mittwoch über das Sparprogramm kaum besetzt. Die Ränge im Plenarsaal füllen sich traditionell nur dann, wenn der Regierungschef spricht oder der Parlamentspräsident zur Abstimmung sucht.
14:10 Uhr: Die Chance, dass das brutale Sparprogramm das Parlament passiert, steigen
Der sozialistische Abgeordnete Thomas Robopoulos gab im Fernsehen bekannt, dass er seine bisherige Haltung aufgegeben habe und nun doch mit Ja stimmen werde. Die Front der Neinsager bröckelt.
13:55 Uhr: LIVE-Update von ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl: "Die Lage auf dem Syntagma-Platz eskaliert jetzt total. Eine Gruppe gewaltbereiter Demonstranten hat hier offenbar das Ruder in die Hand genommen. Ihr fester Wille: Der Sturm auf das Parlament. Doch die Polizei feuert eine Armada an Tränengas-Granaten ab. Die Demonstranten treten die Flucht zurück an, es ist kaum mehr auf dem Platz auszuhalten. Viele retten sich in nahegelegene Hotels, die Augen tränen, viele haben Atembeschwerden durch permanenten Husten".
13:33 Uhr: Ein Blick ins Parlament: Derzeit spricht der Finanzminister. Er beschwört die Abgeordenten, dem Sparpaket zuzustimmen. Die Opposition ist nach wie vor strikt dagegen.
13:23 Uhr: Krawalle
Etwa 200 Demonstranten liefern sich derzeit Straßenschlachten mit der Polizei vor dem Parlament, während dort die Abstimmung läuft.
12:47 Uhr: Tränengas-Wolke vor dem Parlament
Kurz vor der Abstimmung im Parlament eskaliert die Situation auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament. Eine riesige Tränengas-Wolke legt sich über den Platz. Die Polizei hat offenbar dutzende Granaten geworfen, um die aufgebrachte Menge zurückzuschlagen. Ohne Atemschutz kann man sich hier nicht mehr aufhalten.
12:11 Uhr: LIVE-Update von ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl vom Syntagma-Platz, dem Zentrum der Proteste: "Tausende Griechen haben sich hier versammelt, skandieren lautstark ihre Parolen gegen die Politiker. Moment geht es friedlich zu. Notiz am Rande: Athen scheint sich an den Streik und die Demonstrantengewöhnt zu haben. Verlässt man den Syntagma-Platz, ist es ruhig in der Millionen-Metropole. Wer auf die Akropolis gehen will, kann sie problemlos besuchen, wer ein Souvlaki bestellen möchte, kann dies in einem der Restaurants tun. Auch die Geschäfte haben geöffnet."
+++ 11:42 Uhr: Update aus dem Parlament - Chancen für "Ja" für Sparpaket gestiegen +++
Die Chancen für eine Annahme des griechischen Sparprogramms bei der entscheidenden Parlamentssitzung am Mittwoch in Athen sind gestiegen. Aus den Reihen der regierenden Sozialisten werden möglicherweise weniger Abweichler gegen das Vorhaben von Ministerpräsident Giorgos Papandreou stimmen als erwartet.
11:25 Uhr: Massenauflauf in Athen: Aus allen Landesteilen sind heute Tausende Griechen in die Hauptstadt gekommen, um ihrem Protest Luft zu machen.
11:10 Uhr: Info-update: Das griechische Parlament berät zur Zeit das Sparprogramm. Die Spannung steigt, die Abstimmung soll um 13 Uhr beginnen. Hier nochmals die einzelnen Punkte des brutalen Sparpakets:
- Grundrenten werden eingefroren, zusätzliche Altersversorgung ebenfalls. Wer mehr als 1.700 Euro hat, muss 10 Prozent abgeben.
- Mit rund 700.000 hat Griechenland die höchste Beamtendichte in der EU. Zigtausende sollen abgebaut werden.
- Vom Gehalt wird künftig eine Solidaritätssteuer abgezogen. 1.000 Euro im Monat sind frei, darüber wird mit bis zu 5 % besteuert.
- Die Kfz-Steuer wird um 10 % angehoben, im Restaurant und Café werden künftig 23 statt bisher 13 % Mehrwertsteuer eingehoben.
- Rechtsanwälte, Handwerker und andere Freiberufler müssen 300 Euro jährlich Extra-Steuer bezahlen.
- Wer ein Haus im Wert von über 200.000 Euro hat, muss künftig Extra-Abgaben leisten, Jachtbesitzer sowieso. Bei Häusern mit Pool gilt: je größer der Pool, desto höher die Steuer.
- Um 833 Mio. Euro sollen die Sozialleistungen heuer gesenkt werden, nächstes Jahr um 1,1 Mrd. Euro. Im Gesundheitswesen werden 310 Mio. eingespart.
10:33 Uhr: Neue IWF-Chefin spricht Klartext
Kurz vor der Abstimmung hat die designierte Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, die griechische Opposition zum Schulterschluss mit der Regierung gemahnt. "Die Opposition sollte im Sinne der nationalen Einheit die Regierung unterstützen. Es geht um das Schicksal des Landes", so Lagarde.
10:15 Uhr: Euro vor Abstimmung fest
Der Euro legt im Frühhandel deutlich gegenüber dem Dollar zu: Bis knapp nach 9 Uhr stieg der Euro auf 1,43945 Dollar. Auch gegen Pfund, Franken und Yen notiert er fester.
09:47 Uhr: Zitterpartie für Papandreou
Im Parlament sitzen 300 Abgeordnete. 151 Stimmen braucht Premier Papandreou für das Sparpaket. 155 Parteikollegen hat er auf seiner Seite; doch es gibt Abweichler. Damit ist mehr als unklar, ob das Sparpaket angenommen wird. Nicht nur Griechenland zittert vor dem Votum, sondern ganz Europa blickt gebannt nach Athen.
+++ 09:30 Uhr: Die historische Parlamentssitzung hat begonnen +++
Die mit Hochspannung erwartete Sitzung des griechischen Parlaments zur Verabschiedung des brutalen Sparprogramms hat bereits begonnen. Die Abstimmung ist für 13:00 Uhr vorgesehen.
09:25 Uhr: Erneut eskaliert die Gewalt in Athen
Wenige Stunden vor der Abstimmung über das umstrittene Sparpaket im griechischen Parlament hat es im Zentrum von Athen am Mittwochvormittag erneut gewalttätige Zusammenstöße gegeben. Die Polizei setzte Tränengas gegen eine Gruppe von 400 linksgerichteten Demonstranten ein, die unterwegs zum Syntagma-Platz vor dem Parlament war.
09:14 Uhr: Die umstrittene Abstimmung im griechischen Parlament über das Sparpaket findet laut EU-Ratskreisen um 13.00 Uhr statt.
09:03 Uhr: Die Abstimmung im Parlament wird knapp
Premier Papandreou muss um jede Stimme kämpfen. Auch in den eigenen Reihen ist der Unmut über das rigorose Sparprogramm groß.
08:21 Uhr: "Alle warten auf die Entscheidung des griechischen Parlaments"
Der Euro hat sich am Mittwoch vor der richtungsweisenden Abstimmung im griechischen Parlament knapp unter der Marke von 1,44 US-Dollar gehalten. In der Früh kostete die Gemeinschaftswährung 1,4380 Dollar und damit in etwa so viel wie am Vorabend. "Alle warten auf die Entscheidung des griechischen Parlaments", fasste die Commerzbank die Stimmung an den Finanzmärkten zusammen
08:05 Uhr: Polizei vor Parlament
Ein massives Polizeiaufgebot rund um das Parlament schützt die Abgeordneten vor der aufgebrachten Menge. Wie gestern haben auch heute die Beamte einen Sicherheitsgürtel um das Gebäude gebildet.
08:01 Uhr: Angst vor neuer Gewaltexplosion
Bei Ausschreitungen hatten am Dienstag Vermummte den ganzen Nachmittag vor dem Parlament randaliert. Die Polizei setzte massiv Tränengas und Schlagstöcke ein.
07:37 Uhr: Not-Betrieb in Krankenhäusern
Ärzte behandeln in Krankenhäusern nur Notfälle.
07:12 Uhr: Flüge fallen aus
Auch der Flugverkehr wird betroffen sein. Die Fluglotsen haben zwei vierstündige Arbeitsniederlegungen zwischen 07.00 Uhr und 11.00 Uhr MESZ und erneut zwischen 17.00 Uhr und 21.00 Uhr MESZ angekündigt
06:31 Uhr: Fähren und Züge werden bestreikt
Die Gewerkschaften in Griechenland setzen heute ihren Streik fort. Am zweiten Tag in Folge sollen die meisten Fähren und die Vorstadtbahn von dem Streik betroffen sein. Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken sollen ebenfalls bestreikt werden.
Seite 2: Lesen Sie den Augenzeugen-Bericht von ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl zum 1. Tag des Streiks in Athen
Steine fliegen auf Polizisten, Molotow-Cocktails explodieren, Sonnenschirme gehen in Flammen auf, Tränengas überall.
Athen gestern Nachmittag. Die Innenstadt kocht.
Zehntausende Demonstranten belagern den Syntagma-Platz vor dem Athener Parlament. Manche recken Spruchbänder in die Höhe. Andere beschimpfen griechische Politiker als Diebe oder toben gegen die Profitgier der Banken. Sogar ein Galgen ist aufgebaut. „Hängt einige Banker“ hat jemand auf ein Auto gesprayt.
„Wir kämpfen für unser Recht“, schreien die Demonstranten. Sie sind professionell ausgerüstet, manche sind vermummt, alle setzen ihre Gasmasken auf. Es ist der verzweifelte Kampf der Griechen gegen das Sparpaket.
Im Parlament debattieren sie das Sparpaket ...
Während die 300 griechischen Abgeordneten im Parlament die 78-Milliarden-Sparmaßnahmen diskutieren, hat sich die Bevölkerung längst zum offenen Kampf gegen die Regierung formiert: „Wir werden das nicht hinnehmen“, schreien Vermummte. Ihre Aggressivität zeigt, wird geballt der Frust der Menschen bereits ist.
„80 Prozent der Griechen wollen das Sparpaket nicht“, schreit Satiris Stefanopulos , (49), ein Ex-Journalist. Neben ihm schleudert ein Vermummter eine Brandbombe gegen einen verbarrikadierten Kiosk. Die Polizei antwortet mit Tränengashagel. In Sekunden ist der ganze Platz in eine graue Wolke gehüllt. Ich atme das Gas ein, spüre den sauren Geschmack. Die Lungen brennen, die Augen tränen, die Nase rinnt. Für Minuten sehe ich nichts mehr.
Es ist, als würde mein Hals anschwellen, ich ringe nach Luft: „Nicht tief einatmen“, schreit ein Mann. Eine Frau sprüht mir aus einer weißen Flasche eine Flüssigkeit ins Gesicht. Es ist Melox, ein Medikament, das innerhalb weniger Minuten die Wirkung von Tränengas neutralisiert, die Lungen wieder frei macht. Es wirkt gut, doch es hinterlässt weiße Spuren im Gesicht und auf der Kleidung, man sieht aus, als wäre man mit Kreidewasser abgespritzt worden.
... vor der Tür prügeln sich Demonstranten und Polizei
Allesandro Valasamidou (26) verschanzt sich hinter einem Kiosk, er brüllt in Richtung Parlament: „Ihr habt uns um unsere Zukunft betrogen, wir lassen uns das nicht mehr gefallen.“ Ein anderer schreit: „Im Parlament beschließen sie, was Europa will, das werden wir verhindern.“
16 Prozent sind in Griechenland arbeitslos. Jeder zweite Jugendliche hat keinen Job. „Die Reichen haben ihr Geld längst ins Ausland gebracht“, toben viele. Alle Gewerkschaften haben zum Streik aufgerufen: Busse und Bahnen bleiben für 48 Stunden in den Depots, Schulen sind geschlossen, auch die meisten Geschäfte. Die Einkaufsstraßen im Stadtzentrum wirken wie ausgestorben: „Ich weiß, wir schaden dem Tourismus“, sagt Aleka, eine Studentin: „Aber wenn wir jetzt nicht auf die Straße gehen, haben wir nie mehr eine Chance.“
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22:23 Uhr: Die Proteste seien auf den Syntagma-Platz beschränkt, berichtete der Augenzeuge. Etwas abseits davon und in anderen Stadtteilen sei "alles ruhig".
22:04 Uhr: Die designierte Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hat nur wenige Minuten nach ihrer Ernennung die griechische Opposition zum Schulterschluss mit der Regierung aufgefordert. Die derzeitige französische Finanz- und Wirtschaftsministerin sagte am Dienstag, die Opposition müsse die Regierungspartei in einem Geiste der nationalen Einheit unterstützen.
(c) Reuters
20:35 Uhr: Die Stimmung vor dem Parlament heizt sich wieder auf. Die Demonstranten drängen ins Parlament, die Polizei setzt Tränengas ein, berichtet die BILD.
20:04 Uhr: Totale Entspannung am Syntagma-Platz: Familien, alte und junge Menschen sind inzwischen in der Überzahl.
19:19 Uhr: Im Moment ist am Syntagma-Platz alles friedlich.
18:47 Uhr: Egal was heute im Parlament beschlossen wird, die Demonstranten bleiben am Syntagma-Platz. "Wir gehen hier nicht weg", ist der Tenor unter den Menschen, berichtet ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl.
18:01 Uhr: Immer noch sind tausende Menschen auf dem Syntagma-Platz. Es werden menschenketten gebildet, die bis zu einem etwas entfernt gelegenen Brunnen reichen. Die Menschen bringen so Wasserflaschen auf den Platz, die dort ausgeschüttet werden, um das Tränengas zu neutralisieren. ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtet, dass man sich derzeit nicht länger als 2-3 Minuten auf dem Syntagma-Platz aufhalten kann, weil so massiv Tränengas eingesetzt wurde.
17:33 Uhr: Vor einer McDonald's-Filiale stehen einige Sonnenschirme in Flammen, berichtet die BILD.
(c) AP
16:55 Uhr: Auch im nordgriechischen Saloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, gingen 7000 Menschen auf die Straße, um gegen die weiteren Einsparungen in Höhe von 28 Milliarden Euro zu demonstrieren.
16:38 Uhr: Zwischen 70 und 100 gewaltbereite Demonstranten liefern sich in Athen Schlachten mit der Polizei.
16:13 Uhr: Tausende Menschen sind vor dem Parlament in Athen. Drei Polizisten wurden verletzt, bei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen wurde eine Person durch einen Stich verletzt.
15:48 Uhr: Die Demonstranten suchen die Konfrontation mit den im Parlament tagenden Politikern: "Kommt raus, ihr Politiker!" skandieren sie in die Megaphone.
15:17 Uhr: Ersten Schätzungen zufolge sind über 20.000 aufgebrachte Griechen vor dem Parlamentsgebäude aufmarschiert. Angeheizt wird der Protest von den Gewerkschaften und den Kommunisten: Sie wollen das neue Sparpaket der Regierung stoppen.
15:15 Uhr: Mistkübel und Sonnenschirme von Cafés werden Opfer der Flammen. Aufgebrachte Jugendliche legen Feuer.
14:44 Uhr: ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl steht mitten in einer Tränengas-Wolke. Um ihn herum herrscht totales Chaos.
14:40 Uhr: Die Gewalt entlädt sich nun total: Wutentbrannte Demonstranten randalieren, zerstören Geschäfte. Mit Eisenstangen werden Auslagenfenster zerstört.
14:24 Uhr: Der Syntagma-Platz mitten in Athen wird jetzt zum Schlachtfeld. Molotow-Cocktails fliegen. Ein Kiosk geht in Flammen auf. Die Polizei hat eine Kette um das Parlament gebildet.
13:36 Uhr: Die Lage in Athen eskaliert: Vermummte Demonstranten greifen die Polizei mit Flaschen und Steinen an. Die Beamten setzen Tränengas ein.
(c) AP
13:26 Uhr: Auch die Journalisten streiken: Derzeit gibt es im Radio und im Fernsehen in Griechenland keine Nachrichten
13:01 Uhr: Österreichs Banken könnten sich wie jene in Frankreich an den Hilfen für Griechenland beteiligen. Auf entsprechende Fragen erklärte Bundeskanzler Werner Faymann (S) am Dienstag nach dem Ministerrat, es gebe hier Gespräche "ohne großer öffentlicher Begleitmusik" in enger Zusammenarbeit mit der Nationalbank.
12:52 Uhr: Dass die Menge gewaltbereit ist, zeigt der Galgen, den die Demonstranten symbolisch vor dem Parlament aufgestellt haben:
(c) Reuters
12:32 Uhr: Vor dem Parlament in Athen hat die Polizei einen Sicherheitsgürtel eingerichtet. So sollen die Demonstranten vor einem weiteren Vormarsch auf das Gebäude gestoppt werden.
11:54 Uhr: Die EU macht Druck auf Athen: EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn hat Griechenland neuerlich dazu gedrängt, das Sparpaket von Europäischer Union und IWF anzunehmen, um die fünfte Hilfstranche von zwölf Milliarden Euro zu erhalten
11:25 Uhr: Der österreichische Flugverkehr ist nur gering von dem Streik betroffen. Alle AUA und Fly Niki-Flüge nach Griechenland finden statt. Lediglich die Flugzeiten mussten angepasst werden.
11:16 Uhr: Mehr als 10.000 Demonstranten erreichten am Vormittag in Athen das Parlament. Lautstark forderten sie die Abgeordneten auf, das Sparprogramm nicht zu billigen:
(c) Reuters
11:00 Uhr: Die ersten Touristen bekommen die Auswirkungen des Streiks schon zu spüren: Die Fähren bleiben im Hafen. Tausende sind auf den Inseln gestrandet.
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10:41 Uhr: Griechenlands Ministerpräsident Papandreou ruft in der Parlamentsdebatte eindringlich auf, das harte Sparprogramm zu billigen. "Ihre Stimme am Mittwoch ist die einzige Chance, die unser Land hat, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können", sagte er.
10:26 Uhr: Rückblick: Von der Annahme des Spar-Pakets, mit dem 78 Milliarden Euro bis 2015 eingespart werden sollen, hängt die Auszahlung einer weiteren Kredittranche von EU und IWF in Höhe von 12 Milliarden Euro ab. Hier die Liste, wie eng die Griechen den Gürtel jetzt schnallen müssen:
- Grundrenten werden eingefroren, zusätzliche Altersversorgung ebenfalls. Wer mehr als 1.700 Euro hat, muss 10 Prozent abgeben.
- Mit rund 700.000 hat Griechenland die höchste Beamtendichte in der EU. Zigtausende sollen abgebaut werden.
- Vom Gehalt wird künftig eine Solidaritätssteuer abgezogen. 1.000 Euro im Monat sind frei, darüber wird mit bis zu 5 % besteuert.
- Die Kfz-Steuer wird um 10 % angehoben, im Restaurant und Café werden künftig 23 statt bisher 13 % Mehrwertsteuer eingehoben.
- Rechtsanwälte, Handwerker und andere Freiberufler müssen 300 Euro jährlich Extra-Steuer bezahlen.
- Wer ein Haus im Wert von über 200.000 Euro hat, muss künftig Extra-Abgaben leisten, Jachtbesitzer sowieso. Bei Häusern mit Pool gilt: je größer der Pool, desto höher die Steuer.
- Um 833 Mio. Euro sollen die Sozialleistungen heuer gesenkt werden, nächstes Jahr um 1,1 Mrd. Euro. Im Gesundheitswesen werden 310 Mio. eingespart.
10:08 Uhr: Ärzte behandeln in Krankenhäusern nur Notfälle.
10:02 Uhr: Auch der Flugverkehr wird betroffen sein: Die Fluglotsen haben zwei vierstündige Arbeitsniederlegungen zwischen 07:00 Uhr und 11:00 Uhr MESZ angekündigt und erneut zwischen 17:00 Uhr und 21:00 Uhr MESZ.
09:55 Uhr: Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken sollen ebenfalls bestreikt werden
09:15 Uhr: Für 48 Stunden sollen Züge, die meisten Fähren und die Vorstadtbahn von dem Streik betroffen sein. Dem öffentlichen Leben droht der Zusammenbruch.
08:22 Uhr: Zu dem Streik haben die beiden größten Gewerkschaftsverbände aufgerufen. Auch die hauptsächlich über das Internet organisierte Bewegung der "Empörten Bürger" will sich beteiligen. Die "Empörten Bürger" wollen am morgigen Mittwoch parallel zur Abstimmung im Parlament alle Zufahrtsstraßen zum Gebäude sperren.
Seite 2: Die Hintergründe zum Griechen-Streik
Morgen ist der Tag der Wahrheit für Athen. Das Parlament stimmt über das härteste Sparpaket aller Zeiten ab. Schon heute hat die Gewerkschaft deswegen zum zweitägigen Generalstreik aufgerufen.
Die Proteste könnten sich zu Straßenschlachten und sogar bis zum Bürgerkrieg ausweiten, fürchtet Vizepremier Theodoros Pangalos. Die Armee soll im Notfall die Polizei verstärken, lautet sein verzweifelter Plan, um die drohende Anarchie zu vermeiden.
Der Grund für den Aufstand in Griechenland: Das milliardenschwere Sparprogramm der Regierung bringt enorme Einschnitte – nur wenn es durchgeht, zahlen EU und IWF die nächste 12-Milliarden-Tranche ihrer Kredithilfe aus. Fließt das Geld nicht, ist Griechenland Mitte Juli pleite.
Jeder Grieche wird mit rund 7.000 Euro belastet
Das Sparprogramm ist insgesamt 78 Milliarden Euro schwer, davon sind 28 Milliarden Einsparungen, 50 Milliarden sollen Privatisierungen bringen. Bei einer Bevölkerung von etwas über elf Millionen heißt das, dass jeder rund 7.000 Euro beitragen muss. Und so werden es die Griechen spüren:
Die Einkommen der Griechen sind zwar schon um über 20 % gesunken, aber jetzt sollen Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst heuer noch um 800 Mio. Euro reduziert werden, um weitere 660 Mio. 2012.
Bis zu 5 % weg vom Gehalt als Solidaritätssteuer
Statt bisher 37,5 müssen die Griechen künftig 40 Stunden pro Woche arbeiten. Für Überstunden gibt es weniger Geld, Teilzeitarbeit und unbezahlter Urlaub werden verordnet. 70 Tage Urlaub wie bisher gibt’s sowieso nicht mehr. Und das den Griechen „heilige“ 14. Monatsgehalt soll drastisch gekürzt werden.
- Grundrenten werden eingefroren, zusätzliche Altersversorgung ebenfalls. Wer mehr als 1.700 Euro hat, muss 10 Prozent abgeben.
- Mit rund 700.000 hat Griechenland die höchste Beamtendichte in der EU. Zigtausende sollen abgebaut werden.
- Vom Gehalt wird künftig eine Solidaritätssteuer abgezogen. 1.000 Euro im Monat sind frei, darüber wird mit bis zu 5 % besteuert.
- Die Kfz-Steuer wird um 10 % angehoben, im Restaurant und Café werden künftig 23 statt bisher 13 % Mehrwertsteuer eingehoben.
- Rechtsanwälte, Handwerker und andere Freiberufler müssen 300 Euro jährlich Extra-Steuer bezahlen.
- Wer ein Haus im Wert von über 200.000 Euro hat, muss künftig Extra-Abgaben leisten, Jachtbesitzer sowieso. Bei Häusern mit Pool gilt: je größer der Pool, desto höher die Steuer.
- Um 833 Mio. Euro sollen die Sozialleistungen heuer gesenkt werden, nächstes Jahr um 1,1 Mrd. Euro. Im Gesundheitswesen werden 310 Mio. eingespart.
Angesichts dieser Härte verwundern die Proteste der Bevölkerung nicht, die Griechen sind am Limit. Jeder Zweite unter 30 ist arbeitslos. Die Zahl der Selbstmorde ist bereits um 30 Prozent gestiegen.
Was passiert bei Pleite?
Die wichtigsten Fragen rund um die Abstimmung der Griechen über ihr Sparpaket.
Athen. Voraussetzung für die Milliardenhilfen von EU und IWF ist, dass die Griechen das Sparprogramm absegnen. Nur dann kann die Rettung Griechenlands mit internationaler Unterstützung auf den Weg gebracht werden.
Was passiert, wenn das Parlament Nein sagt?
Geht das Sparpaket am Mittwoch nicht durch, bleibt die Möglichkeit, es bis Freitag doch noch abzusegnen. Die Euro-Finanzminister kommen erst am Sonntag (3. Juli) zusammen, um über die Freigabe der nächsten 12-Milliarden-Tranche zu beschließen.
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