Noch keine endgültige Entscheidung zu US-Militärangriff, Großbritannien für Reaktion bereit.
Angesichts der Zuspitzung im Syrien-Konflikt hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres einen eindringlichen Appell an den UNO-Sicherheitsrat gerichtet. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates müssten dafür sorgen, dass die "Situation nicht außer Kontrolle" gerate, forderte Guterres am Mittwoch.
US-Präsident Donald Trump hatte zuvor als Vergeltung für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma einen Raketenangriff auf Syrien angekündigt, eine endgültige Entscheidung ist laut Weißem Haus aber noch nicht gefallen.
Spaltung des Sicherheitsrats
Guterres zeigte sich "tief beunruhigt" über die derzeitige Spaltung des Sicherheitsrates in der Syrien-Frage. "Ich habe die Entwicklungen im Sicherheitsrat genau verfolgt und bedaure, dass der Rat bisher nicht in der Lage war, zu einer Einigung in dieser Frage zu kommen", erklärte Guterres mit Blick auf die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die UNO-Bemühungen letztlich darauf abzielen müssten, "das schreckliche Leid des syrischen Volkes zu beenden".
Der Sicherheitsrat hatte erst am Dienstag zu Syrien getagt. Russland legte bei der Dringlichkeitssitzung erwartungsgemäß sein Veto gegen einen von den USA vorgelegten Resolutionsentwurf zu dem jüngsten mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien ein. Zwei von Russland zur Abstimmung vorgelegte Resolutionsentwürfe wurden ebenfalls abgelehnt. Der UNO-Sicherheitsrat befasst sich am Donnerstag erneut mit dem Syrien-Konflikt.
US-Raketenangriff angekündigt
Trump hatte am Mittwoch als Vergeltung für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien einen Raketenangriff angekündigt und dabei ausdrücklich Russland vor einer Unterstützung des syrischen Machthabers Bashar al-Assad gewarnt. Moskau habe angekündigt, "alle auf Syrien abgefeuerten Raketen abzuschießen", schrieb der US-Präsident in einem Tweet. "Bereite dich vor, Russland, denn sie werden kommen, hübsch und neu und smart'!"
Russland wies Trumps Drohungen entschieden zurück. "Alle Seiten" müssten Schritte unterlassen, die in Wirklichkeit "durch nichts gerechtfertigt" seien, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Moskau beteilige sich nicht an Trumps "Twitter-Diplomatie". Auch Präsident Wladimir Putin mahnte zu Zurückhaltung, er hoffe, "dass der gesunde Menschenverstand letztlich die Oberhand behält".
Trumps Sprecherin Sarah Sanders betonte später erneut, die USA sähen Assad und Moskau in der Verantwortung für den mutmaßlichen Chemiewaffenangriff. Eine endgültige Entscheidung über einen Raketenangriff sei indes noch nicht gefallen: "Alle Optionen liegen auf dem Tisch." Demnach wurden am Abend mit Verteidigungsminister Jim Mattis und CIA-Chef Mike Pompeo im Weißen Haus die möglichen Optionen diskutiert.
Trump telefonierte mit Erdogan
Am Abend telefonierte Trump überdies mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu Syrien, wie aus Erdogans Umfeld verlautete. Beide hätten ihre Sichtweise ausgetauscht, hieß es. Details wurden nicht bekannt. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte Russland und die USA zuvor zur Mäßigung aufgerufen.
Das NATO-Mitglied Türkei und Russland hatten sich zuletzt angenähert. Ankara unterstützt allerdings gegen Assad kämpfende Rebellen, während Moskau ein treuer Verbündeter Assads ist.
Großbritannien und Frankreich für Reaktion bereit
Die britische Premierministerin Theresa May berief unterdessen für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung ihres Kabinetts zum Syrien-Konflikt ein. Dabei werde Großbritanniens Reaktion auf den mutmaßlichen Chemiewaffenangriff diskutiert, teilte ihr Büro mit. Großbritannien bringt einer Zeitung zufolge zudem bereits seine U-Boote für einen etwaigen Militärschlag in Stellung. May habe befohlen, dass sich die U-Boote in Reichweite für einen Angriff mit "Tomahawk"-Marschflugkörpern bringen, berichtet der "Daily Telegraph" unter Berufung auf Regierungskreise. Der Angriff könne Donnerstagnacht beginnen.
Auch Frankreich erwägt einen möglichen Militärangriff in Syrien. Präsident Emmanuel Macron will in den kommenden Tagen eine Entscheidung treffen. Er versicherte im Vorfeld, ein Angriff würde auf Chemiewaffeneinrichtungen in dem Bürgerkriegsland, nicht auf Assad-Verbündete abzielen.
Angesichts eines möglicherweise unmittelbar bevorstehenden US-Angriffs begann die syrische Armee indes nach Angaben von Aktivisten bereits mit der Evakuierung von Gebäuden in Damaskus.
Warnung vor US-Militärschlag
Der Nahost-Experte Guido Steinberg warnte vor einem US-Militärschlag in Syrien. "Das Risiko, dass sich die Spannungen zwischen den USA und Russland zuspitzen, ist deutlich größer als der Nutzen, den ein US-Angriff auf Assads Militär hat", sagte er der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Donnerstag). "Es ist nicht auszuschließen, dass die Amerikaner einen russischen Soldaten in Syrien treffen, die dort präsent sind", sagte der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das berge eine enorme Gefahr.
"Das Regime setzt Giftgas ein, um die Bevölkerung zu terrorisieren und die Menschen aus den Rebellengebieten zu vertreiben. So war es 2013 und Anfang vergangenen Jahres", sagte Steinberg. Ernste Konsequenzen habe es für Assad nicht gegeben, weil Russland und der Iran ihre schützende Hand über ihn halten. Schon vor einem Jahr hatten die USA nach einer Giftgasattacke eine syrische Luftwaffenbasis bombardiert. Das habe keinerlei Auswirkungen auf die Lage in Syrien und auf die Fähigkeit der Assad-Führung gehabt, weiter Giftgas einzusetzen, sagte Steinberg. Für eine westliche Intervention im kriegszerrütteten Syrien ist es nach Auffassung Steinbergs zu spät. "Eine Militäraktion gegen Assad wäre nicht möglich, ohne gegen die Russen zu kämpfen. Und das ist keine Option."
Pompeo signalisiert eine harte Haltung gegenüber Russland. Die Zeiten seien vorbei, in denen Russland durch eine schwache US-Politik aggressives Verhalten ermöglicht wurde, wird der CIA-Direktor laut Redetext am Donnerstag bei der Senats-Anhörung zu seiner Nominierung als US-Außenminister sagen. Er wird verschiedene Schritte aufführen, die die härtere Linie von Präsident Trump gegenüber der Regierung in Moskau unterstreichen sollen, darunter Sanktionen und die Ausweisung russischer Diplomaten. In Trumps nationaler Sicherheitsstrategie sei Russland zu Recht als eine Gefahr für die USA identifiziert worden, so Pompeo. Er soll dem Text zufolge aber auch sagen, dass die schwierige Russland-Diplomatie fortgesetzt werden müsse.